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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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gen, wohleingerichteten Gasthöfen, Conditoreien, Theatern, Musikge¬
sellschaften, Akademien, Kunst- und Gelehrtenvereinen. Die Regierung
zahlt große Summen für antike Dramen, gestiefelte Kater, Sommer-
nachtsträume, Ballettänzerinnen und Königsstädter Commissionsräthe.
Die Frau wirkliche geheime Räthin fährt mit ihren Fräulein Töch¬
tern auf die Kunstausstellung und ist wirklich sehr zufrieden. Sr.
Hochwohlgeboren der Herr Professor und der Herr Justizpräsident
finden die Antigone unübertrefflich, der Herr Major und der Herr
Hofmaler sind entzückt über die erzene Reitergruppe. Den jungen
(^esandtschastssecretären hat das Pas de Deur der Demoiselles L.
und Y. die genußreichsten Stunden verschafft; der Herr Braumeister
und der Herr Parfümeriefabrikant finden das Spiel Beckmann's un¬
vergleichlich; der Herr Assessor und der Herr Lieutenant streiten zwei
Monate, ob Döring oder Seidelmann den Marinelli schlechter ge¬
spielt. -- So ist für das Vergnügen eines Jeden! gesorgt. Der
Staat hilft nach, wo die Fonds dieser Kunst- und Vergnügungsan---
statten nicht ausreichen, und der steuerbare Bürger hilft dem Staate,
diese Zahlungen machen zu können. Aber unter diesen steuerbaren
Bürgern gibt es zwei Drittel, denen die kühnste Amazonengruppe, die
bestinstrumentirte Symphonie, die kleinsten Balletfüße, das wichtigste
antike Costüme nicht das mindeste Vergnügen machen. Haben diese
guten Leute nicht ein Recht, zu sagen: Meine Herren Gebildete,
Wohlhabende, Hochgestellte, wir zahlen sür Euere Vergnügungen,
warum zahlt Ihr nicht für die unserigen? Wir müssen dieses sandige
Berlin so gut und noch mehr bevölkern und erhalten helfen wie Ihr,
warum habt Ihr nur für Euch gesorgt und nicht für uns,?

Es gibt wenige Städte in Deutschland, ja überhaupt auf dem
Continente, wo der Gegensatz zwischen Reich und Arm auf eine so
unverschämte Weise zur Schau liegt, wie in Berlin; wo die Genüsse
der höheren Stände mit frecherer Offenheit aus dem Seckel der nied¬
rigeren bezahlt werden, als hier. Je höher die Kunst hier im Ge¬
gensatze zu der dürftigen Natur ausgebildet wird, um so schreiender
ist die Grausamkeit, die gegen den Armen, gegen den Ungebildeten
geübt wird. Wenn anderswo der raffinirte Genuß in Theatern, Con¬
certen, Museen schwelgt, so kann er sich gegenüber der Mittellosigkeit
wenigstens dadurch entschuldigen, daß er auf die öffentliche" Gärten
und Spaziergänge hinweist, die Zerstreuung und Erholung auch dein


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gen, wohleingerichteten Gasthöfen, Conditoreien, Theatern, Musikge¬
sellschaften, Akademien, Kunst- und Gelehrtenvereinen. Die Regierung
zahlt große Summen für antike Dramen, gestiefelte Kater, Sommer-
nachtsträume, Ballettänzerinnen und Königsstädter Commissionsräthe.
Die Frau wirkliche geheime Räthin fährt mit ihren Fräulein Töch¬
tern auf die Kunstausstellung und ist wirklich sehr zufrieden. Sr.
Hochwohlgeboren der Herr Professor und der Herr Justizpräsident
finden die Antigone unübertrefflich, der Herr Major und der Herr
Hofmaler sind entzückt über die erzene Reitergruppe. Den jungen
(^esandtschastssecretären hat das Pas de Deur der Demoiselles L.
und Y. die genußreichsten Stunden verschafft; der Herr Braumeister
und der Herr Parfümeriefabrikant finden das Spiel Beckmann's un¬
vergleichlich; der Herr Assessor und der Herr Lieutenant streiten zwei
Monate, ob Döring oder Seidelmann den Marinelli schlechter ge¬
spielt. — So ist für das Vergnügen eines Jeden! gesorgt. Der
Staat hilft nach, wo die Fonds dieser Kunst- und Vergnügungsan---
statten nicht ausreichen, und der steuerbare Bürger hilft dem Staate,
diese Zahlungen machen zu können. Aber unter diesen steuerbaren
Bürgern gibt es zwei Drittel, denen die kühnste Amazonengruppe, die
bestinstrumentirte Symphonie, die kleinsten Balletfüße, das wichtigste
antike Costüme nicht das mindeste Vergnügen machen. Haben diese
guten Leute nicht ein Recht, zu sagen: Meine Herren Gebildete,
Wohlhabende, Hochgestellte, wir zahlen sür Euere Vergnügungen,
warum zahlt Ihr nicht für die unserigen? Wir müssen dieses sandige
Berlin so gut und noch mehr bevölkern und erhalten helfen wie Ihr,
warum habt Ihr nur für Euch gesorgt und nicht für uns,?

Es gibt wenige Städte in Deutschland, ja überhaupt auf dem
Continente, wo der Gegensatz zwischen Reich und Arm auf eine so
unverschämte Weise zur Schau liegt, wie in Berlin; wo die Genüsse
der höheren Stände mit frecherer Offenheit aus dem Seckel der nied¬
rigeren bezahlt werden, als hier. Je höher die Kunst hier im Ge¬
gensatze zu der dürftigen Natur ausgebildet wird, um so schreiender
ist die Grausamkeit, die gegen den Armen, gegen den Ungebildeten
geübt wird. Wenn anderswo der raffinirte Genuß in Theatern, Con¬
certen, Museen schwelgt, so kann er sich gegenüber der Mittellosigkeit
wenigstens dadurch entschuldigen, daß er auf die öffentliche» Gärten
und Spaziergänge hinweist, die Zerstreuung und Erholung auch dein


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[0711] gen, wohleingerichteten Gasthöfen, Conditoreien, Theatern, Musikge¬ sellschaften, Akademien, Kunst- und Gelehrtenvereinen. Die Regierung zahlt große Summen für antike Dramen, gestiefelte Kater, Sommer- nachtsträume, Ballettänzerinnen und Königsstädter Commissionsräthe. Die Frau wirkliche geheime Räthin fährt mit ihren Fräulein Töch¬ tern auf die Kunstausstellung und ist wirklich sehr zufrieden. Sr. Hochwohlgeboren der Herr Professor und der Herr Justizpräsident finden die Antigone unübertrefflich, der Herr Major und der Herr Hofmaler sind entzückt über die erzene Reitergruppe. Den jungen (^esandtschastssecretären hat das Pas de Deur der Demoiselles L. und Y. die genußreichsten Stunden verschafft; der Herr Braumeister und der Herr Parfümeriefabrikant finden das Spiel Beckmann's un¬ vergleichlich; der Herr Assessor und der Herr Lieutenant streiten zwei Monate, ob Döring oder Seidelmann den Marinelli schlechter ge¬ spielt. — So ist für das Vergnügen eines Jeden! gesorgt. Der Staat hilft nach, wo die Fonds dieser Kunst- und Vergnügungsan--- statten nicht ausreichen, und der steuerbare Bürger hilft dem Staate, diese Zahlungen machen zu können. Aber unter diesen steuerbaren Bürgern gibt es zwei Drittel, denen die kühnste Amazonengruppe, die bestinstrumentirte Symphonie, die kleinsten Balletfüße, das wichtigste antike Costüme nicht das mindeste Vergnügen machen. Haben diese guten Leute nicht ein Recht, zu sagen: Meine Herren Gebildete, Wohlhabende, Hochgestellte, wir zahlen sür Euere Vergnügungen, warum zahlt Ihr nicht für die unserigen? Wir müssen dieses sandige Berlin so gut und noch mehr bevölkern und erhalten helfen wie Ihr, warum habt Ihr nur für Euch gesorgt und nicht für uns,? Es gibt wenige Städte in Deutschland, ja überhaupt auf dem Continente, wo der Gegensatz zwischen Reich und Arm auf eine so unverschämte Weise zur Schau liegt, wie in Berlin; wo die Genüsse der höheren Stände mit frecherer Offenheit aus dem Seckel der nied¬ rigeren bezahlt werden, als hier. Je höher die Kunst hier im Ge¬ gensatze zu der dürftigen Natur ausgebildet wird, um so schreiender ist die Grausamkeit, die gegen den Armen, gegen den Ungebildeten geübt wird. Wenn anderswo der raffinirte Genuß in Theatern, Con¬ certen, Museen schwelgt, so kann er sich gegenüber der Mittellosigkeit wenigstens dadurch entschuldigen, daß er auf die öffentliche» Gärten und Spaziergänge hinweist, die Zerstreuung und Erholung auch dein kli-i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/711>, abgerufen am 23.12.2024.