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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Louis Philipp und Talleyrand.
<Aus dem unter der Presse befindlichen dritten Theil von Birch'ö Louis Philipp.)



Niemand in Frankreich ließ sich von jeher welliger von den
symptomatischen Erscheinungen täuschen und hatte eine richtigere Dia¬
gnose für die inneren Zustände, die zum Durchbruch kommen wollten, als
Louis Philipp. Um nicht genöthigt zu werden, seinen Plan zu ändern, durfte
Ludwig Philipp nur Jeden den seinen verfolgen lassen, jedoch so, daß er
nur dahin gelangte, die Eifersucht des Andern rege zu machen; so'
daß sie sich gegenseitig aus dem Wege räumten und dieser offen blieb
für den stets fertigen Entschluß des Königs, dessen Stärke war, daß
er die Schwächen Aller genau kannte; jeder Feldherr, der lange Krieg
führte, mußte die Fehler des Gegners für seinen Sieg ausbeuten,
aber auch verstehen, sie mit Energie zu benutzen. Aber Frankreich,
seine Wohlfahrt, das Glück des Volks, seine Entwickelung, seine Zu¬
kunft? Wer möchte behaupten wollen oder dürfen, daß unter denen,
die dem Könige widerstrebten, nicht auch Manche in der redlichen
Ueberzeugung handelten, das wahre Wohl ihrer Nation zu fördern?
Glücklicherweise ist Niemand von ihnen in den Fall gekommen, auf
die thatsächlichen Ergebnisse seines Systems hinweisen zu können, und
das des Königs hat nun schon in das zweite Jahrzehent hinein
Frankreich geordnet, mächtig, geachtet erhalten, ohne daß irgend ein
Weg versandet wurde, den es für eine heilsame Entwickelung der
Zukunft wählen möchte, wenn diese nicht mit der usurpatorischen For¬
derung der Alleinherrschaft auftritt. Die große gesellschaftliche Frage,
die, von den Ueberforderungen eines mißleiteten Proletariats entklei¬
det, noch immer einen heiligen Anspruch auf die höchste Beachtung
in der Brust eines jeden recht denkenden Mannes hat, ist nicht blos
die Frankreichs, sondern die der ganzen Welt, und Ludwig Philipp
kennt ihre volle Bedeutung; er hat sie verfolgt von dem blutigen


Louis Philipp und Talleyrand.
<Aus dem unter der Presse befindlichen dritten Theil von Birch'ö Louis Philipp.)



Niemand in Frankreich ließ sich von jeher welliger von den
symptomatischen Erscheinungen täuschen und hatte eine richtigere Dia¬
gnose für die inneren Zustände, die zum Durchbruch kommen wollten, als
Louis Philipp. Um nicht genöthigt zu werden, seinen Plan zu ändern, durfte
Ludwig Philipp nur Jeden den seinen verfolgen lassen, jedoch so, daß er
nur dahin gelangte, die Eifersucht des Andern rege zu machen; so'
daß sie sich gegenseitig aus dem Wege räumten und dieser offen blieb
für den stets fertigen Entschluß des Königs, dessen Stärke war, daß
er die Schwächen Aller genau kannte; jeder Feldherr, der lange Krieg
führte, mußte die Fehler des Gegners für seinen Sieg ausbeuten,
aber auch verstehen, sie mit Energie zu benutzen. Aber Frankreich,
seine Wohlfahrt, das Glück des Volks, seine Entwickelung, seine Zu¬
kunft? Wer möchte behaupten wollen oder dürfen, daß unter denen,
die dem Könige widerstrebten, nicht auch Manche in der redlichen
Ueberzeugung handelten, das wahre Wohl ihrer Nation zu fördern?
Glücklicherweise ist Niemand von ihnen in den Fall gekommen, auf
die thatsächlichen Ergebnisse seines Systems hinweisen zu können, und
das des Königs hat nun schon in das zweite Jahrzehent hinein
Frankreich geordnet, mächtig, geachtet erhalten, ohne daß irgend ein
Weg versandet wurde, den es für eine heilsame Entwickelung der
Zukunft wählen möchte, wenn diese nicht mit der usurpatorischen For¬
derung der Alleinherrschaft auftritt. Die große gesellschaftliche Frage,
die, von den Ueberforderungen eines mißleiteten Proletariats entklei¬
det, noch immer einen heiligen Anspruch auf die höchste Beachtung
in der Brust eines jeden recht denkenden Mannes hat, ist nicht blos
die Frankreichs, sondern die der ganzen Welt, und Ludwig Philipp
kennt ihre volle Bedeutung; er hat sie verfolgt von dem blutigen


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[0684] Louis Philipp und Talleyrand. <Aus dem unter der Presse befindlichen dritten Theil von Birch'ö Louis Philipp.) Niemand in Frankreich ließ sich von jeher welliger von den symptomatischen Erscheinungen täuschen und hatte eine richtigere Dia¬ gnose für die inneren Zustände, die zum Durchbruch kommen wollten, als Louis Philipp. Um nicht genöthigt zu werden, seinen Plan zu ändern, durfte Ludwig Philipp nur Jeden den seinen verfolgen lassen, jedoch so, daß er nur dahin gelangte, die Eifersucht des Andern rege zu machen; so' daß sie sich gegenseitig aus dem Wege räumten und dieser offen blieb für den stets fertigen Entschluß des Königs, dessen Stärke war, daß er die Schwächen Aller genau kannte; jeder Feldherr, der lange Krieg führte, mußte die Fehler des Gegners für seinen Sieg ausbeuten, aber auch verstehen, sie mit Energie zu benutzen. Aber Frankreich, seine Wohlfahrt, das Glück des Volks, seine Entwickelung, seine Zu¬ kunft? Wer möchte behaupten wollen oder dürfen, daß unter denen, die dem Könige widerstrebten, nicht auch Manche in der redlichen Ueberzeugung handelten, das wahre Wohl ihrer Nation zu fördern? Glücklicherweise ist Niemand von ihnen in den Fall gekommen, auf die thatsächlichen Ergebnisse seines Systems hinweisen zu können, und das des Königs hat nun schon in das zweite Jahrzehent hinein Frankreich geordnet, mächtig, geachtet erhalten, ohne daß irgend ein Weg versandet wurde, den es für eine heilsame Entwickelung der Zukunft wählen möchte, wenn diese nicht mit der usurpatorischen For¬ derung der Alleinherrschaft auftritt. Die große gesellschaftliche Frage, die, von den Ueberforderungen eines mißleiteten Proletariats entklei¬ det, noch immer einen heiligen Anspruch auf die höchste Beachtung in der Brust eines jeden recht denkenden Mannes hat, ist nicht blos die Frankreichs, sondern die der ganzen Welt, und Ludwig Philipp kennt ihre volle Bedeutung; er hat sie verfolgt von dem blutigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/684>, abgerufen am 22.12.2024.