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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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i
Aus Berlin.
I.

S. Wiese. -- Bauer's Literaturzeitung und Kulturgeschichte. -- Reichard'e
Bürgerthum. -- Döring. -- Ein Bild für die 'schlesischen Weber.

Die Pensionären dreihundert Thaler-Seelen werden allem Ver¬
muthen nach binnen Kurzem einen Zuwachs erhalten. Wer erinnert sich
wohl noch eines Poeten, der vor Jahren zuweilen in Taschenbüchern
mit Liebesseufzern auftauchte, Balladen sang und alte Mären neu
aufstützte: des Herrn Sigismund Wiese? Der Mann hat das Thor
seines Herzens geöffnet und -- zwei Dramen auf einmal herausge¬
lassen, "Jesus", ein Stück, welches vierhundert sieben und siebzig
Seiten groß Octav umfaßt, und "Moses". Ich habe K. Gutzkow
stark im Verdacht, daß er diese beiden Werke durch eine Nachfrage
nach Herrn Wiese im Telegraphen veranlaßte. Wenn das der Fall
wäre, so hatte sich Gutzkow nicht geringen Dank verdient, weniger
zwar beim Publicum, als bei dem Verfasser selbst. Tieck nämlich ist
beim Könige um Ertheilung der dreihundert Thaler-Pension für den
Dichter eingekommen, und es steht vielleicht zu erwarten, daß bald
eine dieser großartigen Schöpfungen auf die Bühne gebracht werde.
Beide sind streng mit historischer Treue nach den Ueberlieferungen be¬
arbeitet, wahre "Leben, Thaten und Himmelfahrten". Ich kann nicht
umhin, Ihnen eine kurze Probe daraus mitzutheilen, und zwar aus
dem ersten Acte des "Jesus". Die Scene ist das Innere der Höhle
(wie schauerlich!) nahe bei Bethlehem. Das Jesuskind in der Krippe-
Maria lehnt über dem Kinde. Joseph tritt ein.


Joseph. Maria! (sie hört ihn nicht.) O mir ziemte, Hinzuknieen,
An beten bei dem Anblick dieser Liebe,
Die süß das herrliche Geschöpf verklärt.
In ihrem Kinde lebt die schöne Mutter.
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Aus Berlin.
I.

S. Wiese. — Bauer's Literaturzeitung und Kulturgeschichte. — Reichard'e
Bürgerthum. — Döring. — Ein Bild für die 'schlesischen Weber.

Die Pensionären dreihundert Thaler-Seelen werden allem Ver¬
muthen nach binnen Kurzem einen Zuwachs erhalten. Wer erinnert sich
wohl noch eines Poeten, der vor Jahren zuweilen in Taschenbüchern
mit Liebesseufzern auftauchte, Balladen sang und alte Mären neu
aufstützte: des Herrn Sigismund Wiese? Der Mann hat das Thor
seines Herzens geöffnet und — zwei Dramen auf einmal herausge¬
lassen, „Jesus", ein Stück, welches vierhundert sieben und siebzig
Seiten groß Octav umfaßt, und „Moses". Ich habe K. Gutzkow
stark im Verdacht, daß er diese beiden Werke durch eine Nachfrage
nach Herrn Wiese im Telegraphen veranlaßte. Wenn das der Fall
wäre, so hatte sich Gutzkow nicht geringen Dank verdient, weniger
zwar beim Publicum, als bei dem Verfasser selbst. Tieck nämlich ist
beim Könige um Ertheilung der dreihundert Thaler-Pension für den
Dichter eingekommen, und es steht vielleicht zu erwarten, daß bald
eine dieser großartigen Schöpfungen auf die Bühne gebracht werde.
Beide sind streng mit historischer Treue nach den Ueberlieferungen be¬
arbeitet, wahre „Leben, Thaten und Himmelfahrten". Ich kann nicht
umhin, Ihnen eine kurze Probe daraus mitzutheilen, und zwar aus
dem ersten Acte des „Jesus". Die Scene ist das Innere der Höhle
(wie schauerlich!) nahe bei Bethlehem. Das Jesuskind in der Krippe-
Maria lehnt über dem Kinde. Joseph tritt ein.


Joseph. Maria! (sie hört ihn nicht.) O mir ziemte, Hinzuknieen,
An beten bei dem Anblick dieser Liebe,
Die süß das herrliche Geschöpf verklärt.
In ihrem Kinde lebt die schöne Mutter.
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[0664] T a g e b u rh. i Aus Berlin. I. S. Wiese. — Bauer's Literaturzeitung und Kulturgeschichte. — Reichard'e Bürgerthum. — Döring. — Ein Bild für die 'schlesischen Weber. Die Pensionären dreihundert Thaler-Seelen werden allem Ver¬ muthen nach binnen Kurzem einen Zuwachs erhalten. Wer erinnert sich wohl noch eines Poeten, der vor Jahren zuweilen in Taschenbüchern mit Liebesseufzern auftauchte, Balladen sang und alte Mären neu aufstützte: des Herrn Sigismund Wiese? Der Mann hat das Thor seines Herzens geöffnet und — zwei Dramen auf einmal herausge¬ lassen, „Jesus", ein Stück, welches vierhundert sieben und siebzig Seiten groß Octav umfaßt, und „Moses". Ich habe K. Gutzkow stark im Verdacht, daß er diese beiden Werke durch eine Nachfrage nach Herrn Wiese im Telegraphen veranlaßte. Wenn das der Fall wäre, so hatte sich Gutzkow nicht geringen Dank verdient, weniger zwar beim Publicum, als bei dem Verfasser selbst. Tieck nämlich ist beim Könige um Ertheilung der dreihundert Thaler-Pension für den Dichter eingekommen, und es steht vielleicht zu erwarten, daß bald eine dieser großartigen Schöpfungen auf die Bühne gebracht werde. Beide sind streng mit historischer Treue nach den Ueberlieferungen be¬ arbeitet, wahre „Leben, Thaten und Himmelfahrten". Ich kann nicht umhin, Ihnen eine kurze Probe daraus mitzutheilen, und zwar aus dem ersten Acte des „Jesus". Die Scene ist das Innere der Höhle (wie schauerlich!) nahe bei Bethlehem. Das Jesuskind in der Krippe- Maria lehnt über dem Kinde. Joseph tritt ein. Joseph. Maria! (sie hört ihn nicht.) O mir ziemte, Hinzuknieen, An beten bei dem Anblick dieser Liebe, Die süß das herrliche Geschöpf verklärt. In ihrem Kinde lebt die schöne Mutter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/664>, abgerufen am 22.12.2024.