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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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sterbend brachte man ihn nach Ostende und legte ihn in ein kleines
Boot, welches nach Jersey unter Segel ging. In Guernsey, als
der Unglückliche dem Sterben nahe war, brachte man ihn ein'ö Land.
Hier an eine Mauer gelegt, das Gesicht gegen die Sonne gewendet,
mit Beulen bedeckt und von Allen verlassen, verdankte Chateaubriand
sein Leben der Barmherzigkeit einer armen Fischerin, welche ihn in
ihre Hütte bringen ließ und in seiner Krankheit pflegte.

Im Frühling 1793 reiste Chateaubriand nach London, um ein
Leben voll Elend und Armuth dort zuzubringen. In einem Winkel
einer Vorstadt, ohne Freunde und ohne Mittel, hinsiechend, fast ster¬
bend, mußte er mit erschöpfenden und geisttödtenden Arbeiten sein
Leben fristen. Er übersetzte für Buchhändler, gab Unterricht in der
französischen Sprache, und erholte sich Abends von der ermüdenden
Einförmigkeit seiner verkauften Tagesstunden an einer Arbeit, deren
Entwurf schon von der Kraft eines so jugendlichen und im Kampf
mit so drückenden Unglück beschäftigten Geistes zeigt. Dies Werk
war sein Versuch über die Revolutionen, welcher ihm zwei Jahre der
Studien kostete, und 1796 in London erschien. Der Zweck dieses
Buches, welches damals in Frankreich gar nicht beachtet wurde, ist,
zu zeigen, daß es nichts Neues unter der Sonne gebe, und daß man
in allen ältern und neuern Revolutionen die Personen und Grund¬
züge der französischen wiederfinde. Zahlreiche, oft gezwungene, zu¬
weilen richtige, aber immer geistreiche und von tiefen Studien zei¬
gende Parallelen charakterisiren dies Werk. Es athmet. Bitterkeit,
Menschenhaß, Skeptizismus und selbst Unglauben; der Jüngling hatte
noch nicht jenen Glauben, welcher die Last des Unglücks erleichtert.
Wir wollen ihn selbst erzählen lassen, wie der Philosoph zum Christen
wurde, und wie er den "Geist des Christenthums" als Sühne für den
Versuch schrieb.

"Meine Mutter, in ihrem 72. Jahre in's Gefängniß geworfen,
starb in Armuth und Elend. Der Gedanke an meine Verirrungen
verbitterte ihre letzten Stunden; und sterbend beschwor sie eine meiner
Schwestern, mich zu dem Glauben wieder zurückzuführen, in dem ich
erzogen worden. Als ich diesen Brief bekam, war auch meine
Schwester nicht mehr; sie war an den Folgen ihrer Einkerkerung ge¬
storben. Diese zwei Stimmen aus dem Grabe, diese Leichen, die
mir den Tod erklärten, haben mich bekehrt. Ich wurde Christ. Es ist


sterbend brachte man ihn nach Ostende und legte ihn in ein kleines
Boot, welches nach Jersey unter Segel ging. In Guernsey, als
der Unglückliche dem Sterben nahe war, brachte man ihn ein'ö Land.
Hier an eine Mauer gelegt, das Gesicht gegen die Sonne gewendet,
mit Beulen bedeckt und von Allen verlassen, verdankte Chateaubriand
sein Leben der Barmherzigkeit einer armen Fischerin, welche ihn in
ihre Hütte bringen ließ und in seiner Krankheit pflegte.

Im Frühling 1793 reiste Chateaubriand nach London, um ein
Leben voll Elend und Armuth dort zuzubringen. In einem Winkel
einer Vorstadt, ohne Freunde und ohne Mittel, hinsiechend, fast ster¬
bend, mußte er mit erschöpfenden und geisttödtenden Arbeiten sein
Leben fristen. Er übersetzte für Buchhändler, gab Unterricht in der
französischen Sprache, und erholte sich Abends von der ermüdenden
Einförmigkeit seiner verkauften Tagesstunden an einer Arbeit, deren
Entwurf schon von der Kraft eines so jugendlichen und im Kampf
mit so drückenden Unglück beschäftigten Geistes zeigt. Dies Werk
war sein Versuch über die Revolutionen, welcher ihm zwei Jahre der
Studien kostete, und 1796 in London erschien. Der Zweck dieses
Buches, welches damals in Frankreich gar nicht beachtet wurde, ist,
zu zeigen, daß es nichts Neues unter der Sonne gebe, und daß man
in allen ältern und neuern Revolutionen die Personen und Grund¬
züge der französischen wiederfinde. Zahlreiche, oft gezwungene, zu¬
weilen richtige, aber immer geistreiche und von tiefen Studien zei¬
gende Parallelen charakterisiren dies Werk. Es athmet. Bitterkeit,
Menschenhaß, Skeptizismus und selbst Unglauben; der Jüngling hatte
noch nicht jenen Glauben, welcher die Last des Unglücks erleichtert.
Wir wollen ihn selbst erzählen lassen, wie der Philosoph zum Christen
wurde, und wie er den „Geist des Christenthums" als Sühne für den
Versuch schrieb.

„Meine Mutter, in ihrem 72. Jahre in's Gefängniß geworfen,
starb in Armuth und Elend. Der Gedanke an meine Verirrungen
verbitterte ihre letzten Stunden; und sterbend beschwor sie eine meiner
Schwestern, mich zu dem Glauben wieder zurückzuführen, in dem ich
erzogen worden. Als ich diesen Brief bekam, war auch meine
Schwester nicht mehr; sie war an den Folgen ihrer Einkerkerung ge¬
storben. Diese zwei Stimmen aus dem Grabe, diese Leichen, die
mir den Tod erklärten, haben mich bekehrt. Ich wurde Christ. Es ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/60>, abgerufen am 23.12.2024.