neuen Häuser einrichten lassen, die feenhafte Pracht der Boutiken und Läden, die sich hier entfalten wird, sind unglaublich.
Das hiesige Theater, welches einst und zwar mit Recht eines so großen Rufes genoß, wo ein Schröder die wahren Interessen der Kunst zu schützen wußte, ist nicht mehr, was man von einem solchen Institute erwarten sollte. Leider thut sich mit sehr viel Prätension jetzt ein Neues Theater hier auf, welches sonst als zweites Theater ganz bescheiden in einem Hofe fungirte, und durch mancher¬ lei gute Leistungen, gewiß aber noch mehr durch Charlatanenen und durch seine Billigkeit wird es das Theaterinteresse spalten. Das Stadttheater hat keine vom Publicum unabhängige Geldquelle, und die Direction, vom kaufmännischen Speculativnsgeiste der Stadt nicht wenig ange¬ steckt, will verdienen. Die natürliche Folge ist, daß diese Direction ganz auf den Geschmack des Publicums eingehen und die Charla- tanerie und den Spektakel noch über das neue Theater hinaus wird steigern müssen, um die höheren Preise rechtfertigen zu können. Das ist eine traurige Zukunft stir die Hamburger Bühnen. Es sind die größten Lücken im Schauspiel wie in der Oper da. Für Madame Walker ist Fräulein Jazede aus München mit einer weit schwä¬ cheren Stimme engagirt. Die Einzelpartien sind immer noch besser als die Ensembles. Der erste Liebhaber, Herr Hendrichs, hat eine schone Figur, ein schönes Organ, aber ein kaltes, seelenloses, auf Pathos und Effect hinarbeitendes Spiel, er kann einen Baison nicht ersetzen. Madame Lenz hat sich die Rollen einer munteren Liebha¬ berin noch immer nicht nehmen lassen; sie ist zwar eine liebenswür¬ dige Frau, aber, was Damen nicht gerne hören wollen, für die,e Partien zu alt geworden, und eine auch noch so durchdachte Coquet- terie kann die natürliche Jugend nicht ersetzen. Herr Brüning erregt noch immer durch seine Komik das Gelächter des Publicums, er ist aber weit geschickter zum dummen Bauerjungen, als zum feinen Weltmann; das einzige Mitglied der Hamburger Bühne, welches man auf den ersten Blick als einen Künstler erkennt, ist der alte Lenz; er outrirt nicht, er hascht nicht nach Effect, er drängt sich nicht in den Vordergrund und studirt seinen Charakter. Man muß ihn in Shakspeare'schen Lustspielen gesehen haben, um seinen Werth zu erkennen; leider altert er aber merklich und die große Schwäche seiner Augen ist ihm sehr hinderlich.
Grenzboten IL44. I. 7?
neuen Häuser einrichten lassen, die feenhafte Pracht der Boutiken und Läden, die sich hier entfalten wird, sind unglaublich.
Das hiesige Theater, welches einst und zwar mit Recht eines so großen Rufes genoß, wo ein Schröder die wahren Interessen der Kunst zu schützen wußte, ist nicht mehr, was man von einem solchen Institute erwarten sollte. Leider thut sich mit sehr viel Prätension jetzt ein Neues Theater hier auf, welches sonst als zweites Theater ganz bescheiden in einem Hofe fungirte, und durch mancher¬ lei gute Leistungen, gewiß aber noch mehr durch Charlatanenen und durch seine Billigkeit wird es das Theaterinteresse spalten. Das Stadttheater hat keine vom Publicum unabhängige Geldquelle, und die Direction, vom kaufmännischen Speculativnsgeiste der Stadt nicht wenig ange¬ steckt, will verdienen. Die natürliche Folge ist, daß diese Direction ganz auf den Geschmack des Publicums eingehen und die Charla- tanerie und den Spektakel noch über das neue Theater hinaus wird steigern müssen, um die höheren Preise rechtfertigen zu können. Das ist eine traurige Zukunft stir die Hamburger Bühnen. Es sind die größten Lücken im Schauspiel wie in der Oper da. Für Madame Walker ist Fräulein Jazede aus München mit einer weit schwä¬ cheren Stimme engagirt. Die Einzelpartien sind immer noch besser als die Ensembles. Der erste Liebhaber, Herr Hendrichs, hat eine schone Figur, ein schönes Organ, aber ein kaltes, seelenloses, auf Pathos und Effect hinarbeitendes Spiel, er kann einen Baison nicht ersetzen. Madame Lenz hat sich die Rollen einer munteren Liebha¬ berin noch immer nicht nehmen lassen; sie ist zwar eine liebenswür¬ dige Frau, aber, was Damen nicht gerne hören wollen, für die,e Partien zu alt geworden, und eine auch noch so durchdachte Coquet- terie kann die natürliche Jugend nicht ersetzen. Herr Brüning erregt noch immer durch seine Komik das Gelächter des Publicums, er ist aber weit geschickter zum dummen Bauerjungen, als zum feinen Weltmann; das einzige Mitglied der Hamburger Bühne, welches man auf den ersten Blick als einen Künstler erkennt, ist der alte Lenz; er outrirt nicht, er hascht nicht nach Effect, er drängt sich nicht in den Vordergrund und studirt seinen Charakter. Man muß ihn in Shakspeare'schen Lustspielen gesehen haben, um seinen Werth zu erkennen; leider altert er aber merklich und die große Schwäche seiner Augen ist ihm sehr hinderlich.
Grenzboten IL44. I. 7?
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neuen Häuser einrichten lassen, die feenhafte Pracht der Boutiken
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Das hiesige Theater, welches einst und zwar mit Recht eines
so großen Rufes genoß, wo ein Schröder die wahren Interessen der
Kunst zu schützen wußte, ist nicht mehr, was man von einem solchen
Institute erwarten sollte. Leider thut sich mit sehr viel Prätension
jetzt ein Neues Theater hier auf, welches sonst als zweites
Theater ganz bescheiden in einem Hofe fungirte, und durch mancher¬
lei gute Leistungen, gewiß aber noch mehr durch Charlatanenen und durch
seine Billigkeit wird es das Theaterinteresse spalten. Das Stadttheater
hat keine vom Publicum unabhängige Geldquelle, und die Direction,
vom kaufmännischen Speculativnsgeiste der Stadt nicht wenig ange¬
steckt, will verdienen. Die natürliche Folge ist, daß diese Direction
ganz auf den Geschmack des Publicums eingehen und die Charla-
tanerie und den Spektakel noch über das neue Theater hinaus wird
steigern müssen, um die höheren Preise rechtfertigen zu können. Das
ist eine traurige Zukunft stir die Hamburger Bühnen. Es sind die
größten Lücken im Schauspiel wie in der Oper da. Für Madame
Walker ist Fräulein Jazede aus München mit einer weit schwä¬
cheren Stimme engagirt. Die Einzelpartien sind immer noch besser
als die Ensembles. Der erste Liebhaber, Herr Hendrichs, hat
eine schone Figur, ein schönes Organ, aber ein kaltes, seelenloses, auf
Pathos und Effect hinarbeitendes Spiel, er kann einen Baison nicht
ersetzen. Madame Lenz hat sich die Rollen einer munteren Liebha¬
berin noch immer nicht nehmen lassen; sie ist zwar eine liebenswür¬
dige Frau, aber, was Damen nicht gerne hören wollen, für die,e
Partien zu alt geworden, und eine auch noch so durchdachte Coquet-
terie kann die natürliche Jugend nicht ersetzen. Herr Brüning
erregt noch immer durch seine Komik das Gelächter des Publicums,
er ist aber weit geschickter zum dummen Bauerjungen, als zum feinen
Weltmann; das einzige Mitglied der Hamburger Bühne, welches
man auf den ersten Blick als einen Künstler erkennt, ist der alte
Lenz; er outrirt nicht, er hascht nicht nach Effect, er drängt sich
nicht in den Vordergrund und studirt seinen Charakter. Man muß
ihn in Shakspeare'schen Lustspielen gesehen haben, um seinen Werth
zu erkennen; leider altert er aber merklich und die große Schwäche
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/597>, abgerufen am 23.12.2024.
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