Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

geflüchtet! Es mag manches Drama hinter diesen Namen stecken,
welche den Pranger an der Börse füllen!

Es wird mit dem Gelde aber auch großartig umgegangen. Es
gibt hier Comptone, an welchen für den Lehrling mehr abfällt, als
>M! Jenenser Professor Gehalt bezieht. So kommt es denn auch, daß
hier Alles dein Gelde dienen muß. Mail kann's ja bezahlen. Das
irdische Paradies ist hier täglich feil. Darum sieht man auch so
viele wunderliche Gestalten, deren geistlose Züge den raffinirtesten
und zugleich gemeinsten Materialismus verkünden, und die nun in
reiferen Jahren nachholen, was sie in jüngeren über dem Jagen nach
Geld entbehren mußten! Wer an der <i'!Mo bei Streit geges¬
sen hat, der wird die luxuriösen Freuden einer Hamburgischen Tafel
kennen und sie hoch über das Frankfurter Gemengsel stellen. Es ist
schon englische Weise; nicht tausenderlei, sondern derbe und prächtig.
Die See versorgt Hamburg mit Fischen, wie sie die alten Römer
speisten, Holstein mit einem Rindfleisch von altdeutschem Kern, in den
Vierlanden wird das köstlichste Gemüse und Obst gezogen, Eng¬
land schickt seine Biere,, Frankreich, Spanien und der Rhein die feu¬
rigsten und mildesten Weine, Holland gibt seine Austern, und die
Seeluft Appetit. Von der Entartung der unteren Klassen des weib¬
lichen Geschlechts hat man aber in Mitteldeutschland keinen Begriff.
Der Fremde kann von Glück sagen, wenn der Kellner ihm nur --
Cigarren anbietet!

Man ballt ungewöhnlich schnell --- bald neunhundert neue Häu¬
ser in zwei Jahren -- und hoch. Ich habe einige von acht Etagen
gezählt. Freilich, während der Arme sonst als Troglodyte die tun^
feigen Keller bevölkerte, wird er nun, wie in Berlin, unterm Dach
sein Schwalbennest suchen müssen; man sorgt indessen dafür, daß die
Wasserleitung überall bis in den obersten Stock hinauf geht. Dage¬
gen wird mit dem Bau nicht selten unverantwortlich leichtsinnig ver¬
fahren, und es ist nicht ungewöhnlich, daß ein Stück Mauer -- zu¬
weilen ein ganzes Haus -- zusammenstürzt. Wo bleibt da die ham^
burgische Solidität? Grenzenlose Speculationswuth ist die Ursache.
Der Eigenthümer accordirt mit einem Architecten so genau als mög¬
lich, der wieder ebenso mit einem Maurermeister, der wieder mit den
einzelnen Gesellen; auf diese Art und Weise wird Alles erklärlich und
es ist noch viel Unglück zu erwarten. Der Luxus, womit Viele ihre


geflüchtet! Es mag manches Drama hinter diesen Namen stecken,
welche den Pranger an der Börse füllen!

Es wird mit dem Gelde aber auch großartig umgegangen. Es
gibt hier Comptone, an welchen für den Lehrling mehr abfällt, als
>M! Jenenser Professor Gehalt bezieht. So kommt es denn auch, daß
hier Alles dein Gelde dienen muß. Mail kann's ja bezahlen. Das
irdische Paradies ist hier täglich feil. Darum sieht man auch so
viele wunderliche Gestalten, deren geistlose Züge den raffinirtesten
und zugleich gemeinsten Materialismus verkünden, und die nun in
reiferen Jahren nachholen, was sie in jüngeren über dem Jagen nach
Geld entbehren mußten! Wer an der <i'!Mo bei Streit geges¬
sen hat, der wird die luxuriösen Freuden einer Hamburgischen Tafel
kennen und sie hoch über das Frankfurter Gemengsel stellen. Es ist
schon englische Weise; nicht tausenderlei, sondern derbe und prächtig.
Die See versorgt Hamburg mit Fischen, wie sie die alten Römer
speisten, Holstein mit einem Rindfleisch von altdeutschem Kern, in den
Vierlanden wird das köstlichste Gemüse und Obst gezogen, Eng¬
land schickt seine Biere,, Frankreich, Spanien und der Rhein die feu¬
rigsten und mildesten Weine, Holland gibt seine Austern, und die
Seeluft Appetit. Von der Entartung der unteren Klassen des weib¬
lichen Geschlechts hat man aber in Mitteldeutschland keinen Begriff.
Der Fremde kann von Glück sagen, wenn der Kellner ihm nur —
Cigarren anbietet!

Man ballt ungewöhnlich schnell --- bald neunhundert neue Häu¬
ser in zwei Jahren — und hoch. Ich habe einige von acht Etagen
gezählt. Freilich, während der Arme sonst als Troglodyte die tun^
feigen Keller bevölkerte, wird er nun, wie in Berlin, unterm Dach
sein Schwalbennest suchen müssen; man sorgt indessen dafür, daß die
Wasserleitung überall bis in den obersten Stock hinauf geht. Dage¬
gen wird mit dem Bau nicht selten unverantwortlich leichtsinnig ver¬
fahren, und es ist nicht ungewöhnlich, daß ein Stück Mauer — zu¬
weilen ein ganzes Haus — zusammenstürzt. Wo bleibt da die ham^
burgische Solidität? Grenzenlose Speculationswuth ist die Ursache.
Der Eigenthümer accordirt mit einem Architecten so genau als mög¬
lich, der wieder ebenso mit einem Maurermeister, der wieder mit den
einzelnen Gesellen; auf diese Art und Weise wird Alles erklärlich und
es ist noch viel Unglück zu erwarten. Der Luxus, womit Viele ihre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180309"/>
            <p xml:id="ID_1571" prev="#ID_1570"> geflüchtet! Es mag manches Drama hinter diesen Namen stecken,<lb/>
welche den Pranger an der Börse füllen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1572"> Es wird mit dem Gelde aber auch großartig umgegangen. Es<lb/>
gibt hier Comptone, an welchen für den Lehrling mehr abfällt, als<lb/>
&gt;M! Jenenser Professor Gehalt bezieht. So kommt es denn auch, daß<lb/>
hier Alles dein Gelde dienen muß. Mail kann's ja bezahlen. Das<lb/>
irdische Paradies ist hier täglich feil. Darum sieht man auch so<lb/>
viele wunderliche Gestalten, deren geistlose Züge den raffinirtesten<lb/>
und zugleich gemeinsten Materialismus verkünden, und die nun in<lb/>
reiferen Jahren nachholen, was sie in jüngeren über dem Jagen nach<lb/>
Geld entbehren mußten! Wer an der &lt;i'!Mo bei Streit geges¬<lb/>
sen hat, der wird die luxuriösen Freuden einer Hamburgischen Tafel<lb/>
kennen und sie hoch über das Frankfurter Gemengsel stellen. Es ist<lb/>
schon englische Weise; nicht tausenderlei, sondern derbe und prächtig.<lb/>
Die See versorgt Hamburg mit Fischen, wie sie die alten Römer<lb/>
speisten, Holstein mit einem Rindfleisch von altdeutschem Kern, in den<lb/>
Vierlanden wird das köstlichste Gemüse und Obst gezogen, Eng¬<lb/>
land schickt seine Biere,, Frankreich, Spanien und der Rhein die feu¬<lb/>
rigsten und mildesten Weine, Holland gibt seine Austern, und die<lb/>
Seeluft Appetit. Von der Entartung der unteren Klassen des weib¬<lb/>
lichen Geschlechts hat man aber in Mitteldeutschland keinen Begriff.<lb/>
Der Fremde kann von Glück sagen, wenn der Kellner ihm nur &#x2014;<lb/>
Cigarren anbietet!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1573" next="#ID_1574"> Man ballt ungewöhnlich schnell --- bald neunhundert neue Häu¬<lb/>
ser in zwei Jahren &#x2014; und hoch. Ich habe einige von acht Etagen<lb/>
gezählt. Freilich, während der Arme sonst als Troglodyte die tun^<lb/>
feigen Keller bevölkerte, wird er nun, wie in Berlin, unterm Dach<lb/>
sein Schwalbennest suchen müssen; man sorgt indessen dafür, daß die<lb/>
Wasserleitung überall bis in den obersten Stock hinauf geht. Dage¬<lb/>
gen wird mit dem Bau nicht selten unverantwortlich leichtsinnig ver¬<lb/>
fahren, und es ist nicht ungewöhnlich, daß ein Stück Mauer &#x2014; zu¬<lb/>
weilen ein ganzes Haus &#x2014; zusammenstürzt. Wo bleibt da die ham^<lb/>
burgische Solidität? Grenzenlose Speculationswuth ist die Ursache.<lb/>
Der Eigenthümer accordirt mit einem Architecten so genau als mög¬<lb/>
lich, der wieder ebenso mit einem Maurermeister, der wieder mit den<lb/>
einzelnen Gesellen; auf diese Art und Weise wird Alles erklärlich und<lb/>
es ist noch viel Unglück zu erwarten. Der Luxus, womit Viele ihre</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] geflüchtet! Es mag manches Drama hinter diesen Namen stecken, welche den Pranger an der Börse füllen! Es wird mit dem Gelde aber auch großartig umgegangen. Es gibt hier Comptone, an welchen für den Lehrling mehr abfällt, als >M! Jenenser Professor Gehalt bezieht. So kommt es denn auch, daß hier Alles dein Gelde dienen muß. Mail kann's ja bezahlen. Das irdische Paradies ist hier täglich feil. Darum sieht man auch so viele wunderliche Gestalten, deren geistlose Züge den raffinirtesten und zugleich gemeinsten Materialismus verkünden, und die nun in reiferen Jahren nachholen, was sie in jüngeren über dem Jagen nach Geld entbehren mußten! Wer an der <i'!Mo bei Streit geges¬ sen hat, der wird die luxuriösen Freuden einer Hamburgischen Tafel kennen und sie hoch über das Frankfurter Gemengsel stellen. Es ist schon englische Weise; nicht tausenderlei, sondern derbe und prächtig. Die See versorgt Hamburg mit Fischen, wie sie die alten Römer speisten, Holstein mit einem Rindfleisch von altdeutschem Kern, in den Vierlanden wird das köstlichste Gemüse und Obst gezogen, Eng¬ land schickt seine Biere,, Frankreich, Spanien und der Rhein die feu¬ rigsten und mildesten Weine, Holland gibt seine Austern, und die Seeluft Appetit. Von der Entartung der unteren Klassen des weib¬ lichen Geschlechts hat man aber in Mitteldeutschland keinen Begriff. Der Fremde kann von Glück sagen, wenn der Kellner ihm nur — Cigarren anbietet! Man ballt ungewöhnlich schnell --- bald neunhundert neue Häu¬ ser in zwei Jahren — und hoch. Ich habe einige von acht Etagen gezählt. Freilich, während der Arme sonst als Troglodyte die tun^ feigen Keller bevölkerte, wird er nun, wie in Berlin, unterm Dach sein Schwalbennest suchen müssen; man sorgt indessen dafür, daß die Wasserleitung überall bis in den obersten Stock hinauf geht. Dage¬ gen wird mit dem Bau nicht selten unverantwortlich leichtsinnig ver¬ fahren, und es ist nicht ungewöhnlich, daß ein Stück Mauer — zu¬ weilen ein ganzes Haus — zusammenstürzt. Wo bleibt da die ham^ burgische Solidität? Grenzenlose Speculationswuth ist die Ursache. Der Eigenthümer accordirt mit einem Architecten so genau als mög¬ lich, der wieder ebenso mit einem Maurermeister, der wieder mit den einzelnen Gesellen; auf diese Art und Weise wird Alles erklärlich und es ist noch viel Unglück zu erwarten. Der Luxus, womit Viele ihre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/596>, abgerufen am 22.12.2024.