Wie hat sich Deutschland in den drei Monaten deiner Abwesenheit geändert! --
Im Goldglanz der sinkenden Sonne zeigten sich jetzt Lübecks spitze Thürme am Saume der Ebene. Ich hatte niemals Lübeck ge¬ sehen, aber ich wußte keine deutsche Stadt, vielleicht Nürnberg aus¬ genommen, die schon auf das Gemüth deö Knaben einen so tiefen Eindruck gemacht hätte und an die sich so viel große Erinnerungen knüpften. Jetzt lag das Bild vor mir. Spitze, scharf vom Purpur- rothen Abendhimmel nmrissene Thürme deuteten die gesunkene Kö¬ nigin der gesunkenen Hansa an. Das Princip der Hansa war nicht poetisch, wohl aber ihre Erscheinung. Verbündete deutsche Städte hielten eine Flotte, welche die Meere beherrschte und vor der mehr als Einmal die Könige gezittert haben, und jetzt -- das ganze Deutschland hat keine, kein Schiff, keine deutsche Flagge! Unter den reichen Hansastädten war Lübeck das Hauptjuwel, die Städte des mittlern Deutschlands verbanden sich damit, die reichen Burgundi¬ schen Städte führten die große Handelskette bis an den Canal und, prächtig entfaltet durch das Kreuzzuglcben, schlössen sich ihnen wieder die italienischen Staaten" Venedig, Florenz, Genua, Pisa an. Da¬ mals war die Ostsee die Handelsstraße Lübeck der Markt des Nordens, es zeigte sich da ein HandelSgelreibe, dessen Großar¬ tigkeit wir jetzt kaum zu ahnen vermögen. Wenn man nur weis;, daß Lübeck auf demselben Raume, wo jetzt 24,000 Einwohner leben, einst 200,000 umfaßte, so fühlt man schon, welche gewaltige Verän¬ derungen mit dieser Stadt vorgegangen sino und mir wurde ein Aufstand immer natürlicher. War es doch die Stadt des kühnen Johann Wullenweber, in die ich einzog! Jeden Augenblick dachte ich die trotzathmcnden mittelalterlichen Bürger aus dem Boden stei¬ gen, die Häuser der Patrizier stürmen und an ihre Thore mit Arte" klopfen zu sehen. Aber die Leute, welche mir begegneten, sahen kei¬ neswegs wie Rebellen aus, es war keine von den Leidenschaften in ihren Gesichtern zu lesen, welche sonst eine Revolution zu erwecken pflegt, es schienen eben nur ruhige Bürger zu sein, welche frische Luft schöpfen wollten.
Und als ich dann an der Abendtafel im Gasthofe zur Stadt Hamburg am Klingenbcrge saß, wie war ich voller Scham, daß ich dem ruhigen deutschen Bürger eine Revolution hatte zutrauen
Wie hat sich Deutschland in den drei Monaten deiner Abwesenheit geändert! —
Im Goldglanz der sinkenden Sonne zeigten sich jetzt Lübecks spitze Thürme am Saume der Ebene. Ich hatte niemals Lübeck ge¬ sehen, aber ich wußte keine deutsche Stadt, vielleicht Nürnberg aus¬ genommen, die schon auf das Gemüth deö Knaben einen so tiefen Eindruck gemacht hätte und an die sich so viel große Erinnerungen knüpften. Jetzt lag das Bild vor mir. Spitze, scharf vom Purpur- rothen Abendhimmel nmrissene Thürme deuteten die gesunkene Kö¬ nigin der gesunkenen Hansa an. Das Princip der Hansa war nicht poetisch, wohl aber ihre Erscheinung. Verbündete deutsche Städte hielten eine Flotte, welche die Meere beherrschte und vor der mehr als Einmal die Könige gezittert haben, und jetzt — das ganze Deutschland hat keine, kein Schiff, keine deutsche Flagge! Unter den reichen Hansastädten war Lübeck das Hauptjuwel, die Städte des mittlern Deutschlands verbanden sich damit, die reichen Burgundi¬ schen Städte führten die große Handelskette bis an den Canal und, prächtig entfaltet durch das Kreuzzuglcben, schlössen sich ihnen wieder die italienischen Staaten« Venedig, Florenz, Genua, Pisa an. Da¬ mals war die Ostsee die Handelsstraße Lübeck der Markt des Nordens, es zeigte sich da ein HandelSgelreibe, dessen Großar¬ tigkeit wir jetzt kaum zu ahnen vermögen. Wenn man nur weis;, daß Lübeck auf demselben Raume, wo jetzt 24,000 Einwohner leben, einst 200,000 umfaßte, so fühlt man schon, welche gewaltige Verän¬ derungen mit dieser Stadt vorgegangen sino und mir wurde ein Aufstand immer natürlicher. War es doch die Stadt des kühnen Johann Wullenweber, in die ich einzog! Jeden Augenblick dachte ich die trotzathmcnden mittelalterlichen Bürger aus dem Boden stei¬ gen, die Häuser der Patrizier stürmen und an ihre Thore mit Arte» klopfen zu sehen. Aber die Leute, welche mir begegneten, sahen kei¬ neswegs wie Rebellen aus, es war keine von den Leidenschaften in ihren Gesichtern zu lesen, welche sonst eine Revolution zu erwecken pflegt, es schienen eben nur ruhige Bürger zu sein, welche frische Luft schöpfen wollten.
Und als ich dann an der Abendtafel im Gasthofe zur Stadt Hamburg am Klingenbcrge saß, wie war ich voller Scham, daß ich dem ruhigen deutschen Bürger eine Revolution hatte zutrauen
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0566"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180279"/><pxml:id="ID_1499"prev="#ID_1498"> Wie hat sich Deutschland in den drei Monaten deiner Abwesenheit<lb/>
geändert! —</p><lb/><pxml:id="ID_1500"> Im Goldglanz der sinkenden Sonne zeigten sich jetzt Lübecks<lb/>
spitze Thürme am Saume der Ebene. Ich hatte niemals Lübeck ge¬<lb/>
sehen, aber ich wußte keine deutsche Stadt, vielleicht Nürnberg aus¬<lb/>
genommen, die schon auf das Gemüth deö Knaben einen so tiefen<lb/>
Eindruck gemacht hätte und an die sich so viel große Erinnerungen<lb/>
knüpften. Jetzt lag das Bild vor mir. Spitze, scharf vom Purpur-<lb/>
rothen Abendhimmel nmrissene Thürme deuteten die gesunkene Kö¬<lb/>
nigin der gesunkenen Hansa an. Das Princip der Hansa war nicht<lb/>
poetisch, wohl aber ihre Erscheinung. Verbündete deutsche Städte<lb/>
hielten eine Flotte, welche die Meere beherrschte und vor der mehr<lb/>
als Einmal die Könige gezittert haben, und jetzt — das ganze<lb/>
Deutschland hat keine, kein Schiff, keine deutsche Flagge! Unter den<lb/>
reichen Hansastädten war Lübeck das Hauptjuwel, die Städte des<lb/>
mittlern Deutschlands verbanden sich damit, die reichen Burgundi¬<lb/>
schen Städte führten die große Handelskette bis an den Canal und,<lb/>
prächtig entfaltet durch das Kreuzzuglcben, schlössen sich ihnen wieder<lb/>
die italienischen Staaten« Venedig, Florenz, Genua, Pisa an. Da¬<lb/>
mals war die Ostsee die Handelsstraße Lübeck der Markt<lb/>
des Nordens, es zeigte sich da ein HandelSgelreibe, dessen Großar¬<lb/>
tigkeit wir jetzt kaum zu ahnen vermögen. Wenn man nur weis;,<lb/>
daß Lübeck auf demselben Raume, wo jetzt 24,000 Einwohner leben,<lb/>
einst 200,000 umfaßte, so fühlt man schon, welche gewaltige Verän¬<lb/>
derungen mit dieser Stadt vorgegangen sino und mir wurde ein<lb/>
Aufstand immer natürlicher. War es doch die Stadt des kühnen<lb/>
Johann Wullenweber, in die ich einzog! Jeden Augenblick dachte<lb/>
ich die trotzathmcnden mittelalterlichen Bürger aus dem Boden stei¬<lb/>
gen, die Häuser der Patrizier stürmen und an ihre Thore mit Arte»<lb/>
klopfen zu sehen. Aber die Leute, welche mir begegneten, sahen kei¬<lb/>
neswegs wie Rebellen aus, es war keine von den Leidenschaften in<lb/>
ihren Gesichtern zu lesen, welche sonst eine Revolution zu erwecken<lb/>
pflegt, es schienen eben nur ruhige Bürger zu sein, welche frische Luft<lb/>
schöpfen wollten.</p><lb/><pxml:id="ID_1501"next="#ID_1502"> Und als ich dann an der Abendtafel im Gasthofe zur Stadt<lb/>
Hamburg am Klingenbcrge saß, wie war ich voller Scham, daß<lb/>
ich dem ruhigen deutschen Bürger eine Revolution hatte zutrauen</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0566]
Wie hat sich Deutschland in den drei Monaten deiner Abwesenheit
geändert! —
Im Goldglanz der sinkenden Sonne zeigten sich jetzt Lübecks
spitze Thürme am Saume der Ebene. Ich hatte niemals Lübeck ge¬
sehen, aber ich wußte keine deutsche Stadt, vielleicht Nürnberg aus¬
genommen, die schon auf das Gemüth deö Knaben einen so tiefen
Eindruck gemacht hätte und an die sich so viel große Erinnerungen
knüpften. Jetzt lag das Bild vor mir. Spitze, scharf vom Purpur-
rothen Abendhimmel nmrissene Thürme deuteten die gesunkene Kö¬
nigin der gesunkenen Hansa an. Das Princip der Hansa war nicht
poetisch, wohl aber ihre Erscheinung. Verbündete deutsche Städte
hielten eine Flotte, welche die Meere beherrschte und vor der mehr
als Einmal die Könige gezittert haben, und jetzt — das ganze
Deutschland hat keine, kein Schiff, keine deutsche Flagge! Unter den
reichen Hansastädten war Lübeck das Hauptjuwel, die Städte des
mittlern Deutschlands verbanden sich damit, die reichen Burgundi¬
schen Städte führten die große Handelskette bis an den Canal und,
prächtig entfaltet durch das Kreuzzuglcben, schlössen sich ihnen wieder
die italienischen Staaten« Venedig, Florenz, Genua, Pisa an. Da¬
mals war die Ostsee die Handelsstraße Lübeck der Markt
des Nordens, es zeigte sich da ein HandelSgelreibe, dessen Großar¬
tigkeit wir jetzt kaum zu ahnen vermögen. Wenn man nur weis;,
daß Lübeck auf demselben Raume, wo jetzt 24,000 Einwohner leben,
einst 200,000 umfaßte, so fühlt man schon, welche gewaltige Verän¬
derungen mit dieser Stadt vorgegangen sino und mir wurde ein
Aufstand immer natürlicher. War es doch die Stadt des kühnen
Johann Wullenweber, in die ich einzog! Jeden Augenblick dachte
ich die trotzathmcnden mittelalterlichen Bürger aus dem Boden stei¬
gen, die Häuser der Patrizier stürmen und an ihre Thore mit Arte»
klopfen zu sehen. Aber die Leute, welche mir begegneten, sahen kei¬
neswegs wie Rebellen aus, es war keine von den Leidenschaften in
ihren Gesichtern zu lesen, welche sonst eine Revolution zu erwecken
pflegt, es schienen eben nur ruhige Bürger zu sein, welche frische Luft
schöpfen wollten.
Und als ich dann an der Abendtafel im Gasthofe zur Stadt
Hamburg am Klingenbcrge saß, wie war ich voller Scham, daß
ich dem ruhigen deutschen Bürger eine Revolution hatte zutrauen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/566>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.