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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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europäisches Sonnenbad, verdorbene Unterleiber werden in Deutsch¬
land gesund, erdfahle Gesichter rothen sich auf den Gipfeln der Schweiz
und in den Ebenen Italiens, Rußlands schmutzige Leibwäsche -- ein
Lieblingsgegenstand der vornehmsten Russen -- wenn sie auch unter
Schein und Glanz, unter noblen Oberkleivern und strahlenden Orden
verborgen war, kommt nun doch einmal in die Hände der alten,
ehrlichen, unermüdlichen deutschen Waschfrau.

Wie lange ist es her, da galt der Russe noch in unseren deut¬
schen Thälern, Bädern und am sonnigen Rhein als wirkliches Wun¬
derthier, jetzt schaukeln seine leicht erkenntlichen Wagen überall, auf
allen Straßen umher. Der Russe hat keine Theilnahme für uns,
für unsern politischen Gram, für unseren leidenschaftlichen Kampf, für
unsere chronischen Bewegungen; aber er beobachtet mit Scharfsinn,
vielleicht auch mit Spott und Schadenfreude. Es bleibt eine unläug-
bare Thatsache, daß der Russe bei uns politische Klinik zu studiren
und an dem Krankenbette einer nicht geviertheilren, sondern fast ge-
vierzigtheilten Nation die herrschenden Hirn- und die wechselnden
Unterleibsschwächen in ihren offenen und versteckten Symptomen ken¬
nen zu lernen. Indem der Russe so nur ein Auge für Deutschlands
Schwächen hat, sieht er die Kraft und die Tüchtigkeit desselben nicht
und kann dafür immer einmal zu voreiligen Schlüssen und versuchen
verleitet werden. Hier auf der Ostsee findet die Völkerwanderung
in das große Klinikum statt. Umgekehrt aber zieht auch Deutschland
leichter und massenhafter nach Nußland und fordert so, hier wie dort,
die Entwicklung der Moskowiter. Rußlands Staatsräthe sonnen sich
jetzt auf den Hügeln des Rheins und der russischen Literatur kannst
Du alljährlich an Bord jener Schiffe leibhaftig begegnen. Hier fin¬
dest Du die Träger der russischen Größe, denen ein ruhiger, kontem¬
plativer Sommer in unseren Bädern entgegenglänzt; Rußlands die
Welt umnetzende Couriere erblickst Du, die heilige Mappe auf der
Brust und den Säbel an der Seite, und wiederum erblickst Du das
leichtfertige Volk der deutschen Künstler, welches kein Vaterland kennt
und das Gold über Alles schätzt, so wie Gestalten aus allen Natio¬
nen in bunter Vermischung.

Aber, ach! Da stand ich nun im Gewühl und Gedränge der
Reisenden, unter den Bergen des hin und her gestoßenen Gepäckes/


europäisches Sonnenbad, verdorbene Unterleiber werden in Deutsch¬
land gesund, erdfahle Gesichter rothen sich auf den Gipfeln der Schweiz
und in den Ebenen Italiens, Rußlands schmutzige Leibwäsche — ein
Lieblingsgegenstand der vornehmsten Russen — wenn sie auch unter
Schein und Glanz, unter noblen Oberkleivern und strahlenden Orden
verborgen war, kommt nun doch einmal in die Hände der alten,
ehrlichen, unermüdlichen deutschen Waschfrau.

Wie lange ist es her, da galt der Russe noch in unseren deut¬
schen Thälern, Bädern und am sonnigen Rhein als wirkliches Wun¬
derthier, jetzt schaukeln seine leicht erkenntlichen Wagen überall, auf
allen Straßen umher. Der Russe hat keine Theilnahme für uns,
für unsern politischen Gram, für unseren leidenschaftlichen Kampf, für
unsere chronischen Bewegungen; aber er beobachtet mit Scharfsinn,
vielleicht auch mit Spott und Schadenfreude. Es bleibt eine unläug-
bare Thatsache, daß der Russe bei uns politische Klinik zu studiren
und an dem Krankenbette einer nicht geviertheilren, sondern fast ge-
vierzigtheilten Nation die herrschenden Hirn- und die wechselnden
Unterleibsschwächen in ihren offenen und versteckten Symptomen ken¬
nen zu lernen. Indem der Russe so nur ein Auge für Deutschlands
Schwächen hat, sieht er die Kraft und die Tüchtigkeit desselben nicht
und kann dafür immer einmal zu voreiligen Schlüssen und versuchen
verleitet werden. Hier auf der Ostsee findet die Völkerwanderung
in das große Klinikum statt. Umgekehrt aber zieht auch Deutschland
leichter und massenhafter nach Nußland und fordert so, hier wie dort,
die Entwicklung der Moskowiter. Rußlands Staatsräthe sonnen sich
jetzt auf den Hügeln des Rheins und der russischen Literatur kannst
Du alljährlich an Bord jener Schiffe leibhaftig begegnen. Hier fin¬
dest Du die Träger der russischen Größe, denen ein ruhiger, kontem¬
plativer Sommer in unseren Bädern entgegenglänzt; Rußlands die
Welt umnetzende Couriere erblickst Du, die heilige Mappe auf der
Brust und den Säbel an der Seite, und wiederum erblickst Du das
leichtfertige Volk der deutschen Künstler, welches kein Vaterland kennt
und das Gold über Alles schätzt, so wie Gestalten aus allen Natio¬
nen in bunter Vermischung.

Aber, ach! Da stand ich nun im Gewühl und Gedränge der
Reisenden, unter den Bergen des hin und her gestoßenen Gepäckes/


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[0564] europäisches Sonnenbad, verdorbene Unterleiber werden in Deutsch¬ land gesund, erdfahle Gesichter rothen sich auf den Gipfeln der Schweiz und in den Ebenen Italiens, Rußlands schmutzige Leibwäsche — ein Lieblingsgegenstand der vornehmsten Russen — wenn sie auch unter Schein und Glanz, unter noblen Oberkleivern und strahlenden Orden verborgen war, kommt nun doch einmal in die Hände der alten, ehrlichen, unermüdlichen deutschen Waschfrau. Wie lange ist es her, da galt der Russe noch in unseren deut¬ schen Thälern, Bädern und am sonnigen Rhein als wirkliches Wun¬ derthier, jetzt schaukeln seine leicht erkenntlichen Wagen überall, auf allen Straßen umher. Der Russe hat keine Theilnahme für uns, für unsern politischen Gram, für unseren leidenschaftlichen Kampf, für unsere chronischen Bewegungen; aber er beobachtet mit Scharfsinn, vielleicht auch mit Spott und Schadenfreude. Es bleibt eine unläug- bare Thatsache, daß der Russe bei uns politische Klinik zu studiren und an dem Krankenbette einer nicht geviertheilren, sondern fast ge- vierzigtheilten Nation die herrschenden Hirn- und die wechselnden Unterleibsschwächen in ihren offenen und versteckten Symptomen ken¬ nen zu lernen. Indem der Russe so nur ein Auge für Deutschlands Schwächen hat, sieht er die Kraft und die Tüchtigkeit desselben nicht und kann dafür immer einmal zu voreiligen Schlüssen und versuchen verleitet werden. Hier auf der Ostsee findet die Völkerwanderung in das große Klinikum statt. Umgekehrt aber zieht auch Deutschland leichter und massenhafter nach Nußland und fordert so, hier wie dort, die Entwicklung der Moskowiter. Rußlands Staatsräthe sonnen sich jetzt auf den Hügeln des Rheins und der russischen Literatur kannst Du alljährlich an Bord jener Schiffe leibhaftig begegnen. Hier fin¬ dest Du die Träger der russischen Größe, denen ein ruhiger, kontem¬ plativer Sommer in unseren Bädern entgegenglänzt; Rußlands die Welt umnetzende Couriere erblickst Du, die heilige Mappe auf der Brust und den Säbel an der Seite, und wiederum erblickst Du das leichtfertige Volk der deutschen Künstler, welches kein Vaterland kennt und das Gold über Alles schätzt, so wie Gestalten aus allen Natio¬ nen in bunter Vermischung. Aber, ach! Da stand ich nun im Gewühl und Gedränge der Reisenden, unter den Bergen des hin und her gestoßenen Gepäckes/

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/564>, abgerufen am 23.12.2024.