Breslauer Zeitung, gezeichnet: "-- Aus der Mark" erschienen, für deren Verfasser man hier einen "liberalen" Publizisten halt. et!>N"U u. s, w.
Vom Theater? Es ist wieder still geworden. Charlotte von Hagn ist auf ihrer Urlaubsreife begriffen, und man vermißt sie in der That sehr. In Bezug auf sichere und correcte Zeichnung glänzt diese Schauspielerin einzig vor allen. Adolphine Neumann, die talent¬ volle junge Schauspielerin, welche eine der Besten unserer Bühne zu werden versprach, hat uns nun auch verlassen, freilich für immer und ohne Hoffnung auf Wiedersehen. Der Tod entführte sie plötzlich und viel zu früh. Madame Schröder-Devrient ist schon seit mehreren Tagen fort, ihre Leistungen haben keinen günstigen Totaleindruck ge¬ macht. Ihre Stimme reicht nicht mehr aus, und dabei schaden ihr die jugendlichen Rollen, die sie nicht zu geben vermag. Ihr Spiel ist oft überladen. Gegenwärtig vermag nur der Name Döring's das Haus zu füllen. Der Name, nicht anders. Döring als Tragiker ist mir durchaus ungenügend. Er ist ein Talent und reich begabt; er hat die Mittel, -- aber ihm fehlt die Schule. Bei Seidelmann war es umgekehrt; der hatte mit einem ungünstigen Organ zu käm¬ pfen, aber er bewältigte, er benutzte es; sein Studium, seine Auffas¬ sung waren tief begründet, eine psychologische Wahrheit. Döring hat große Momente, -- wo ihm die Natur zu Hilfe kommt. An ihm habe ich zuerst gefühlt, wie nöthig uns Theaterschulen wären. In komischen Rollen ist er Meister, aber in dem Genre Seidelmanns, das er ausfüllen soll, in den großen tragischen Gemälden Shakspea- re's ist er unvollkommen. Neuerdings brachte er uns Lear und Hein¬ rich "V. Daß er trotz seiner Mängel der einzige ist, durch den die Darstellung belebter wird, brauche ich wohl nicht zu sagen. Fast schien es, als ob man durch eine mangelhafte Besetzung aller übrigen Rol¬ len uns den Dichter verleiden wolle. Oder ist es vielleicht nur die Absicht, die Größe Döring's durch Contraste zu veranschaulichen?
Wie in Wien die Tantieme für dramatische Schriftsteller, ist sie auch bei uns nur auf drei Jahre "zur Probe" sixirt, nach deren Ab¬ lauf sie wieder aufgehoben werden kann. Ich hege diese letztere Be¬ sorgnis) nicht, aber die Bestimmungen selbst scheinen nicht um¬ fassend und -- nicht genügend. Zuerst ist nicht gesagt, wer oder wel¬ che Umstände für die Wahl der Bühne entscheiden. Dies ist nicht unwesentlich, da das neue Opernhaus im Durchschnitt das Doppelte einbringen wird, wie das Schauspielhaus, abgesehen davon, daß nach Anlage eines großartigen Bühnenwerks die Scenirung von nicht ge¬ ringem Einfluß auf den Erfolg ist. Betreffs der Oper sodann ist der Eomponist zu schlecht bedacht. Ein Schauspiel, welches den Abend füllt, erhält zehn Prozent, die Oper nur neun, wovon drei auf das
Breslauer Zeitung, gezeichnet: „— Aus der Mark" erschienen, für deren Verfasser man hier einen „liberalen" Publizisten halt. et!>N«U u. s, w.
Vom Theater? Es ist wieder still geworden. Charlotte von Hagn ist auf ihrer Urlaubsreife begriffen, und man vermißt sie in der That sehr. In Bezug auf sichere und correcte Zeichnung glänzt diese Schauspielerin einzig vor allen. Adolphine Neumann, die talent¬ volle junge Schauspielerin, welche eine der Besten unserer Bühne zu werden versprach, hat uns nun auch verlassen, freilich für immer und ohne Hoffnung auf Wiedersehen. Der Tod entführte sie plötzlich und viel zu früh. Madame Schröder-Devrient ist schon seit mehreren Tagen fort, ihre Leistungen haben keinen günstigen Totaleindruck ge¬ macht. Ihre Stimme reicht nicht mehr aus, und dabei schaden ihr die jugendlichen Rollen, die sie nicht zu geben vermag. Ihr Spiel ist oft überladen. Gegenwärtig vermag nur der Name Döring's das Haus zu füllen. Der Name, nicht anders. Döring als Tragiker ist mir durchaus ungenügend. Er ist ein Talent und reich begabt; er hat die Mittel, — aber ihm fehlt die Schule. Bei Seidelmann war es umgekehrt; der hatte mit einem ungünstigen Organ zu käm¬ pfen, aber er bewältigte, er benutzte es; sein Studium, seine Auffas¬ sung waren tief begründet, eine psychologische Wahrheit. Döring hat große Momente, — wo ihm die Natur zu Hilfe kommt. An ihm habe ich zuerst gefühlt, wie nöthig uns Theaterschulen wären. In komischen Rollen ist er Meister, aber in dem Genre Seidelmanns, das er ausfüllen soll, in den großen tragischen Gemälden Shakspea- re's ist er unvollkommen. Neuerdings brachte er uns Lear und Hein¬ rich »V. Daß er trotz seiner Mängel der einzige ist, durch den die Darstellung belebter wird, brauche ich wohl nicht zu sagen. Fast schien es, als ob man durch eine mangelhafte Besetzung aller übrigen Rol¬ len uns den Dichter verleiden wolle. Oder ist es vielleicht nur die Absicht, die Größe Döring's durch Contraste zu veranschaulichen?
Wie in Wien die Tantieme für dramatische Schriftsteller, ist sie auch bei uns nur auf drei Jahre „zur Probe" sixirt, nach deren Ab¬ lauf sie wieder aufgehoben werden kann. Ich hege diese letztere Be¬ sorgnis) nicht, aber die Bestimmungen selbst scheinen nicht um¬ fassend und — nicht genügend. Zuerst ist nicht gesagt, wer oder wel¬ che Umstände für die Wahl der Bühne entscheiden. Dies ist nicht unwesentlich, da das neue Opernhaus im Durchschnitt das Doppelte einbringen wird, wie das Schauspielhaus, abgesehen davon, daß nach Anlage eines großartigen Bühnenwerks die Scenirung von nicht ge¬ ringem Einfluß auf den Erfolg ist. Betreffs der Oper sodann ist der Eomponist zu schlecht bedacht. Ein Schauspiel, welches den Abend füllt, erhält zehn Prozent, die Oper nur neun, wovon drei auf das
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Breslauer Zeitung, gezeichnet: „— Aus der Mark" erschienen, für
deren Verfasser man hier einen „liberalen" Publizisten halt.
et!>N«U u. s, w.
Vom Theater? Es ist wieder still geworden. Charlotte von
Hagn ist auf ihrer Urlaubsreife begriffen, und man vermißt sie in
der That sehr. In Bezug auf sichere und correcte Zeichnung glänzt
diese Schauspielerin einzig vor allen. Adolphine Neumann, die talent¬
volle junge Schauspielerin, welche eine der Besten unserer Bühne zu
werden versprach, hat uns nun auch verlassen, freilich für immer und
ohne Hoffnung auf Wiedersehen. Der Tod entführte sie plötzlich und
viel zu früh. Madame Schröder-Devrient ist schon seit mehreren
Tagen fort, ihre Leistungen haben keinen günstigen Totaleindruck ge¬
macht. Ihre Stimme reicht nicht mehr aus, und dabei schaden ihr
die jugendlichen Rollen, die sie nicht zu geben vermag. Ihr Spiel
ist oft überladen. Gegenwärtig vermag nur der Name Döring's das
Haus zu füllen. Der Name, nicht anders. Döring als Tragiker ist
mir durchaus ungenügend. Er ist ein Talent und reich begabt; er
hat die Mittel, — aber ihm fehlt die Schule. Bei Seidelmann
war es umgekehrt; der hatte mit einem ungünstigen Organ zu käm¬
pfen, aber er bewältigte, er benutzte es; sein Studium, seine Auffas¬
sung waren tief begründet, eine psychologische Wahrheit. Döring hat
große Momente, — wo ihm die Natur zu Hilfe kommt. An ihm
habe ich zuerst gefühlt, wie nöthig uns Theaterschulen wären. In
komischen Rollen ist er Meister, aber in dem Genre Seidelmanns,
das er ausfüllen soll, in den großen tragischen Gemälden Shakspea-
re's ist er unvollkommen. Neuerdings brachte er uns Lear und Hein¬
rich »V. Daß er trotz seiner Mängel der einzige ist, durch den die
Darstellung belebter wird, brauche ich wohl nicht zu sagen. Fast schien
es, als ob man durch eine mangelhafte Besetzung aller übrigen Rol¬
len uns den Dichter verleiden wolle. Oder ist es vielleicht nur die
Absicht, die Größe Döring's durch Contraste zu veranschaulichen?
Wie in Wien die Tantieme für dramatische Schriftsteller, ist sie
auch bei uns nur auf drei Jahre „zur Probe" sixirt, nach deren Ab¬
lauf sie wieder aufgehoben werden kann. Ich hege diese letztere Be¬
sorgnis) nicht, aber die Bestimmungen selbst scheinen nicht um¬
fassend und — nicht genügend. Zuerst ist nicht gesagt, wer oder wel¬
che Umstände für die Wahl der Bühne entscheiden. Dies ist nicht
unwesentlich, da das neue Opernhaus im Durchschnitt das Doppelte
einbringen wird, wie das Schauspielhaus, abgesehen davon, daß nach
Anlage eines großartigen Bühnenwerks die Scenirung von nicht ge¬
ringem Einfluß auf den Erfolg ist. Betreffs der Oper sodann ist der
Eomponist zu schlecht bedacht. Ein Schauspiel, welches den Abend
füllt, erhält zehn Prozent, die Oper nur neun, wovon drei auf das
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/543>, abgerufen am 22.12.2024.
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