Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

müssen wir sagen, dies deutsche Product auf den stolzen Ungarn, der
sich ohnehin besser als der Deutsche und namentlich als der Oester^
reicher glaubt, hervorbringen muß. Ein komischer Umstand gesellte
sich noch hinzu, um den Unsinn deS Stückes zu erhöhen.

Der Wiener Verfasser des Stückes hat für den Mangel an in¬
nerer Komik desselben durch ein wohlfeiles äußeres Mittel sich zu hel¬
fen gewußt. Er hat den Bösewicht, den am Ende der Teu¬
fel holt (tanzende Willis walzen mit ihm, bis er den Geist auf¬
gibt), zu einem Ungarn gestempelt, um durch dessen ungarisch-
deutschen Dialekt Lachen zu erregen. Dies ist ein gewöhnlicher
abgenützter Kunstgriff der Wiener Localpossenschreiber. Diese guten
Leute, die weder das Talent, noch die Freiheit haben, ein Element
zu benützen, das für die österreichischen Bühnen so reichadrig aus¬
zubeuten wäre, die sittlichen und nationalen Gegensätze der verschie¬
denen Völkerstämme, die als Unterthanen eines und desselben Staa¬
tes an einander geheftet sind, begnügen sich mit dem gemeinen Mittel,
den Dialekt zur Zielscheibe ihrer Späße zu machen. Der Ungar
und der Böhme sind meist die Sündenböcke an den Localbühnen
Wiens. In Preßburg aber möchte man Keinem rathen, ein ähnliches
Späßchen zu wagen und auf Kosten eines Magyaren Lachen zu er¬
regen. Der Direktor und die Schauspieler fühlten auch diesen Abend
sehr wohl, daß, wenn sie das Stück nach dem Wiener Zuschnitte ge¬
ben wollten, sie selber unter den Prügeln der versammelten Landtags-
jugend einen Todtentanz tanzen könnten. So wurde denn der g'spoßige
Bösewicht aus dem Ungarischen in's Österreichische versetzt, d. h.
während in Wien der Ungar in die Hölle kam, wurde in Preßburg
dem Oesterreicher diese Ehre zu Theil, was die naiven Zuschauer
sehr ergötzte und das Stück rettete, um so mehr, als am Schlüsse
der ungarische Nationaltanz von dem gestimmten Kinderballet ganz
allerliebst aufgeführt wurde.

Am anderen Morgen gegen halb zehn Uhr kam der Freund,
dessen ich (im vorigen Artikel) erwähnte, um mich zu der Sitzung abzuholen,
die an diesem Tage die Ständetafel hielt. -- Er schlug mir vor, ihn
zuerst in seine Wohnung zu begleiten, mich dort mit einem Attila
(einem Schnürrock mit stehendem Kragen, dem ungarischen National¬
kleid) zu bekleiden und mir einen Säbel umzugürten, weil ich ohne
dies Costüm der Sitzung nicht beiwohnen könnte. Ich wunderte mich,


müssen wir sagen, dies deutsche Product auf den stolzen Ungarn, der
sich ohnehin besser als der Deutsche und namentlich als der Oester^
reicher glaubt, hervorbringen muß. Ein komischer Umstand gesellte
sich noch hinzu, um den Unsinn deS Stückes zu erhöhen.

Der Wiener Verfasser des Stückes hat für den Mangel an in¬
nerer Komik desselben durch ein wohlfeiles äußeres Mittel sich zu hel¬
fen gewußt. Er hat den Bösewicht, den am Ende der Teu¬
fel holt (tanzende Willis walzen mit ihm, bis er den Geist auf¬
gibt), zu einem Ungarn gestempelt, um durch dessen ungarisch-
deutschen Dialekt Lachen zu erregen. Dies ist ein gewöhnlicher
abgenützter Kunstgriff der Wiener Localpossenschreiber. Diese guten
Leute, die weder das Talent, noch die Freiheit haben, ein Element
zu benützen, das für die österreichischen Bühnen so reichadrig aus¬
zubeuten wäre, die sittlichen und nationalen Gegensätze der verschie¬
denen Völkerstämme, die als Unterthanen eines und desselben Staa¬
tes an einander geheftet sind, begnügen sich mit dem gemeinen Mittel,
den Dialekt zur Zielscheibe ihrer Späße zu machen. Der Ungar
und der Böhme sind meist die Sündenböcke an den Localbühnen
Wiens. In Preßburg aber möchte man Keinem rathen, ein ähnliches
Späßchen zu wagen und auf Kosten eines Magyaren Lachen zu er¬
regen. Der Direktor und die Schauspieler fühlten auch diesen Abend
sehr wohl, daß, wenn sie das Stück nach dem Wiener Zuschnitte ge¬
ben wollten, sie selber unter den Prügeln der versammelten Landtags-
jugend einen Todtentanz tanzen könnten. So wurde denn der g'spoßige
Bösewicht aus dem Ungarischen in's Österreichische versetzt, d. h.
während in Wien der Ungar in die Hölle kam, wurde in Preßburg
dem Oesterreicher diese Ehre zu Theil, was die naiven Zuschauer
sehr ergötzte und das Stück rettete, um so mehr, als am Schlüsse
der ungarische Nationaltanz von dem gestimmten Kinderballet ganz
allerliebst aufgeführt wurde.

Am anderen Morgen gegen halb zehn Uhr kam der Freund,
dessen ich (im vorigen Artikel) erwähnte, um mich zu der Sitzung abzuholen,
die an diesem Tage die Ständetafel hielt. — Er schlug mir vor, ihn
zuerst in seine Wohnung zu begleiten, mich dort mit einem Attila
(einem Schnürrock mit stehendem Kragen, dem ungarischen National¬
kleid) zu bekleiden und mir einen Säbel umzugürten, weil ich ohne
dies Costüm der Sitzung nicht beiwohnen könnte. Ich wunderte mich,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0528" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180241"/>
            <p xml:id="ID_1428" prev="#ID_1427"> müssen wir sagen, dies deutsche Product auf den stolzen Ungarn, der<lb/>
sich ohnehin besser als der Deutsche und namentlich als der Oester^<lb/>
reicher glaubt, hervorbringen muß. Ein komischer Umstand gesellte<lb/>
sich noch hinzu, um den Unsinn deS Stückes zu erhöhen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1429"> Der Wiener Verfasser des Stückes hat für den Mangel an in¬<lb/>
nerer Komik desselben durch ein wohlfeiles äußeres Mittel sich zu hel¬<lb/>
fen gewußt. Er hat den Bösewicht, den am Ende der Teu¬<lb/>
fel holt (tanzende Willis walzen mit ihm, bis er den Geist auf¬<lb/>
gibt), zu einem Ungarn gestempelt, um durch dessen ungarisch-<lb/>
deutschen Dialekt Lachen zu erregen. Dies ist ein gewöhnlicher<lb/>
abgenützter Kunstgriff der Wiener Localpossenschreiber. Diese guten<lb/>
Leute, die weder das Talent, noch die Freiheit haben, ein Element<lb/>
zu benützen, das für die österreichischen Bühnen so reichadrig aus¬<lb/>
zubeuten wäre, die sittlichen und nationalen Gegensätze der verschie¬<lb/>
denen Völkerstämme, die als Unterthanen eines und desselben Staa¬<lb/>
tes an einander geheftet sind, begnügen sich mit dem gemeinen Mittel,<lb/>
den Dialekt zur Zielscheibe ihrer Späße zu machen. Der Ungar<lb/>
und der Böhme sind meist die Sündenböcke an den Localbühnen<lb/>
Wiens. In Preßburg aber möchte man Keinem rathen, ein ähnliches<lb/>
Späßchen zu wagen und auf Kosten eines Magyaren Lachen zu er¬<lb/>
regen. Der Direktor und die Schauspieler fühlten auch diesen Abend<lb/>
sehr wohl, daß, wenn sie das Stück nach dem Wiener Zuschnitte ge¬<lb/>
ben wollten, sie selber unter den Prügeln der versammelten Landtags-<lb/>
jugend einen Todtentanz tanzen könnten. So wurde denn der g'spoßige<lb/>
Bösewicht aus dem Ungarischen in's Österreichische versetzt, d. h.<lb/>
während in Wien der Ungar in die Hölle kam, wurde in Preßburg<lb/>
dem Oesterreicher diese Ehre zu Theil, was die naiven Zuschauer<lb/>
sehr ergötzte und das Stück rettete, um so mehr, als am Schlüsse<lb/>
der ungarische Nationaltanz von dem gestimmten Kinderballet ganz<lb/>
allerliebst aufgeführt wurde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1430" next="#ID_1431"> Am anderen Morgen gegen halb zehn Uhr kam der Freund,<lb/>
dessen ich (im vorigen Artikel) erwähnte, um mich zu der Sitzung abzuholen,<lb/>
die an diesem Tage die Ständetafel hielt. &#x2014; Er schlug mir vor, ihn<lb/>
zuerst in seine Wohnung zu begleiten, mich dort mit einem Attila<lb/>
(einem Schnürrock mit stehendem Kragen, dem ungarischen National¬<lb/>
kleid) zu bekleiden und mir einen Säbel umzugürten, weil ich ohne<lb/>
dies Costüm der Sitzung nicht beiwohnen könnte. Ich wunderte mich,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0528] müssen wir sagen, dies deutsche Product auf den stolzen Ungarn, der sich ohnehin besser als der Deutsche und namentlich als der Oester^ reicher glaubt, hervorbringen muß. Ein komischer Umstand gesellte sich noch hinzu, um den Unsinn deS Stückes zu erhöhen. Der Wiener Verfasser des Stückes hat für den Mangel an in¬ nerer Komik desselben durch ein wohlfeiles äußeres Mittel sich zu hel¬ fen gewußt. Er hat den Bösewicht, den am Ende der Teu¬ fel holt (tanzende Willis walzen mit ihm, bis er den Geist auf¬ gibt), zu einem Ungarn gestempelt, um durch dessen ungarisch- deutschen Dialekt Lachen zu erregen. Dies ist ein gewöhnlicher abgenützter Kunstgriff der Wiener Localpossenschreiber. Diese guten Leute, die weder das Talent, noch die Freiheit haben, ein Element zu benützen, das für die österreichischen Bühnen so reichadrig aus¬ zubeuten wäre, die sittlichen und nationalen Gegensätze der verschie¬ denen Völkerstämme, die als Unterthanen eines und desselben Staa¬ tes an einander geheftet sind, begnügen sich mit dem gemeinen Mittel, den Dialekt zur Zielscheibe ihrer Späße zu machen. Der Ungar und der Böhme sind meist die Sündenböcke an den Localbühnen Wiens. In Preßburg aber möchte man Keinem rathen, ein ähnliches Späßchen zu wagen und auf Kosten eines Magyaren Lachen zu er¬ regen. Der Direktor und die Schauspieler fühlten auch diesen Abend sehr wohl, daß, wenn sie das Stück nach dem Wiener Zuschnitte ge¬ ben wollten, sie selber unter den Prügeln der versammelten Landtags- jugend einen Todtentanz tanzen könnten. So wurde denn der g'spoßige Bösewicht aus dem Ungarischen in's Österreichische versetzt, d. h. während in Wien der Ungar in die Hölle kam, wurde in Preßburg dem Oesterreicher diese Ehre zu Theil, was die naiven Zuschauer sehr ergötzte und das Stück rettete, um so mehr, als am Schlüsse der ungarische Nationaltanz von dem gestimmten Kinderballet ganz allerliebst aufgeführt wurde. Am anderen Morgen gegen halb zehn Uhr kam der Freund, dessen ich (im vorigen Artikel) erwähnte, um mich zu der Sitzung abzuholen, die an diesem Tage die Ständetafel hielt. — Er schlug mir vor, ihn zuerst in seine Wohnung zu begleiten, mich dort mit einem Attila (einem Schnürrock mit stehendem Kragen, dem ungarischen National¬ kleid) zu bekleiden und mir einen Säbel umzugürten, weil ich ohne dies Costüm der Sitzung nicht beiwohnen könnte. Ich wunderte mich,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/528
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/528>, abgerufen am 23.12.2024.