wie findet man sich betrogen! Einige Kirchen von mittelmäßigem Style und kleinen Dimensionen sino die Ueberreste aller Gothik; von einer ungarischen Eigenthümlichkeit ist in allen diesen Bauten keine Spur. Die meisten Häuser sind aus dem vorigen Jahrhundert im plattesten, ordinärsten Styl gebaut, ohne die mindeste Rücksicht ans Kunst; einige wenige, die einen höheren Anlauf nehmen und dem sogenannten Zopf- und Cichorienstyl angehören, sind eben auch keine Meisterstücke dieser Art. Das Beste an Gebäuden ist noch der Pa¬ last des Fürsten Grassalkovics, der Palast des Erzbischofs und des- sea Sommergebäude, sowie endlich einige in der neuesten Zeit erbaute Privathäuser.
Getäuschte Erwartung ist das unangenehmste Gefühl eines Rei¬ senden. Er hat sich die Krönungsstadt der Magyaren mit phanta¬ stischen Farben in Gedanken ausgemalt und findet sie im prosaisch¬ sten Gewände wieder. Es ergeht ihm, wie es uns Allen erging, die wir Goethe's "Gott und die Bayadere" gelesen, und in hundert Opern und Palleten die hindostanischen Tänzerinnen mit allem Glanz der Poesie, der Schminke und des Lampenlichtes vor Augen hatten und nun plötzlich die wirklichen Bayaderen sahen, die der Specula- tionsgeist eines Pächters in ihrer häßlichen, ungraziösen Wirklichkeit durch ganz Europa schleppte. Es heißt, daß der Reichstag künftig nach Pesth, der eigentlichen Haupt- und Glanzstadt Ungarns, verlegt werden soll; dies wäre auch seiner Würde entsprechend und in vieler Beziehung auch praktisch zweckmäßiger, da Preßburg an der Grenze, Pesth aber mehr im Mittelpunkte des Landes liegt; dies aber ist ge¬ rade eine Ursache, warum die Regierung in Wien Preßburg den Vorzug geben muß. Die Nahe des Reichstags erleichtert die Beob¬ achtung desselben, beschleunigt den Depcschenwechsel und macht in gefährlichen Augenblicken eine rasche Intervention möglich. Zudem beabsichtigen die Ungarn vor der Verlegung nach Pesth ein großes, würdiges Gebäude für ihr Parlament zu erbauen. Hiezu sind Fonds nöthig, die unstreitig zweckmäßiger verwendet werden könnten, und so wird das Project am Reichstage vielen Widerspruch finden.
Um den nüchternen Eindruck und das Gefühl der Enttäuschung, die der erste Anblick Preßburgs erregt, schnell los zu werden, eile der Reisende sogleich nach seiner Ankunft auf den sogenannten Schlo߬ berg. Hier findet er reiche Entschädigung für den nüchternen Will-
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wie findet man sich betrogen! Einige Kirchen von mittelmäßigem Style und kleinen Dimensionen sino die Ueberreste aller Gothik; von einer ungarischen Eigenthümlichkeit ist in allen diesen Bauten keine Spur. Die meisten Häuser sind aus dem vorigen Jahrhundert im plattesten, ordinärsten Styl gebaut, ohne die mindeste Rücksicht ans Kunst; einige wenige, die einen höheren Anlauf nehmen und dem sogenannten Zopf- und Cichorienstyl angehören, sind eben auch keine Meisterstücke dieser Art. Das Beste an Gebäuden ist noch der Pa¬ last des Fürsten Grassalkovics, der Palast des Erzbischofs und des- sea Sommergebäude, sowie endlich einige in der neuesten Zeit erbaute Privathäuser.
Getäuschte Erwartung ist das unangenehmste Gefühl eines Rei¬ senden. Er hat sich die Krönungsstadt der Magyaren mit phanta¬ stischen Farben in Gedanken ausgemalt und findet sie im prosaisch¬ sten Gewände wieder. Es ergeht ihm, wie es uns Allen erging, die wir Goethe's „Gott und die Bayadere" gelesen, und in hundert Opern und Palleten die hindostanischen Tänzerinnen mit allem Glanz der Poesie, der Schminke und des Lampenlichtes vor Augen hatten und nun plötzlich die wirklichen Bayaderen sahen, die der Specula- tionsgeist eines Pächters in ihrer häßlichen, ungraziösen Wirklichkeit durch ganz Europa schleppte. Es heißt, daß der Reichstag künftig nach Pesth, der eigentlichen Haupt- und Glanzstadt Ungarns, verlegt werden soll; dies wäre auch seiner Würde entsprechend und in vieler Beziehung auch praktisch zweckmäßiger, da Preßburg an der Grenze, Pesth aber mehr im Mittelpunkte des Landes liegt; dies aber ist ge¬ rade eine Ursache, warum die Regierung in Wien Preßburg den Vorzug geben muß. Die Nahe des Reichstags erleichtert die Beob¬ achtung desselben, beschleunigt den Depcschenwechsel und macht in gefährlichen Augenblicken eine rasche Intervention möglich. Zudem beabsichtigen die Ungarn vor der Verlegung nach Pesth ein großes, würdiges Gebäude für ihr Parlament zu erbauen. Hiezu sind Fonds nöthig, die unstreitig zweckmäßiger verwendet werden könnten, und so wird das Project am Reichstage vielen Widerspruch finden.
Um den nüchternen Eindruck und das Gefühl der Enttäuschung, die der erste Anblick Preßburgs erregt, schnell los zu werden, eile der Reisende sogleich nach seiner Ankunft auf den sogenannten Schlo߬ berg. Hier findet er reiche Entschädigung für den nüchternen Will-
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wie findet man sich betrogen! Einige Kirchen von mittelmäßigem
Style und kleinen Dimensionen sino die Ueberreste aller Gothik; von
einer ungarischen Eigenthümlichkeit ist in allen diesen Bauten keine
Spur. Die meisten Häuser sind aus dem vorigen Jahrhundert im
plattesten, ordinärsten Styl gebaut, ohne die mindeste Rücksicht ans
Kunst; einige wenige, die einen höheren Anlauf nehmen und dem
sogenannten Zopf- und Cichorienstyl angehören, sind eben auch keine
Meisterstücke dieser Art. Das Beste an Gebäuden ist noch der Pa¬
last des Fürsten Grassalkovics, der Palast des Erzbischofs und des-
sea Sommergebäude, sowie endlich einige in der neuesten Zeit erbaute
Privathäuser.
Getäuschte Erwartung ist das unangenehmste Gefühl eines Rei¬
senden. Er hat sich die Krönungsstadt der Magyaren mit phanta¬
stischen Farben in Gedanken ausgemalt und findet sie im prosaisch¬
sten Gewände wieder. Es ergeht ihm, wie es uns Allen erging,
die wir Goethe's „Gott und die Bayadere" gelesen, und in hundert
Opern und Palleten die hindostanischen Tänzerinnen mit allem Glanz
der Poesie, der Schminke und des Lampenlichtes vor Augen hatten
und nun plötzlich die wirklichen Bayaderen sahen, die der Specula-
tionsgeist eines Pächters in ihrer häßlichen, ungraziösen Wirklichkeit
durch ganz Europa schleppte. Es heißt, daß der Reichstag künftig
nach Pesth, der eigentlichen Haupt- und Glanzstadt Ungarns, verlegt
werden soll; dies wäre auch seiner Würde entsprechend und in vieler
Beziehung auch praktisch zweckmäßiger, da Preßburg an der Grenze,
Pesth aber mehr im Mittelpunkte des Landes liegt; dies aber ist ge¬
rade eine Ursache, warum die Regierung in Wien Preßburg den
Vorzug geben muß. Die Nahe des Reichstags erleichtert die Beob¬
achtung desselben, beschleunigt den Depcschenwechsel und macht in
gefährlichen Augenblicken eine rasche Intervention möglich. Zudem
beabsichtigen die Ungarn vor der Verlegung nach Pesth ein großes,
würdiges Gebäude für ihr Parlament zu erbauen. Hiezu sind Fonds
nöthig, die unstreitig zweckmäßiger verwendet werden könnten, und
so wird das Project am Reichstage vielen Widerspruch finden.
Um den nüchternen Eindruck und das Gefühl der Enttäuschung,
die der erste Anblick Preßburgs erregt, schnell los zu werden, eile der
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/523>, abgerufen am 22.12.2024.
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