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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Nassau und Rußland.

Durch mehrere Wochen unterhielten (?) uns Notizenschrei¬
ber aus Frankfurt, Mainz und Wiesbaden von den Vorbe¬
reitungen zu der Vermählungsfeier des Herzogs von Nassau. Wir
dachten nicht, daß diese Angelegenheit von so wichtigem deutschem
Interesse sein könnte, um täglich Berichte lesen zu müssen über das
Anordnen, Wachsen und Gelingen des Gesangfestes, das einige nas¬
sauische Liedertafeln ihrem Herzoge zu Ehren vorbereiteten. Wir ver¬
wünschten im Stillen diese müßigen Zeitungsschwätzer. Nun aber
müssen wir diesen Correspondenten laute Abbitte thun und gestehen,
daß sie die politische Bedeutung der Vermählung eines deutschen Für¬
sten mit einer Tochter Rußlands besser zu würdigen wußten als wir.
Man lies't nämlich im Nürnberger Correspondenten: daß den ver¬
einigten nassauischen Sangerchören in Wiesbaden bei
dem großen Ständchen vor dem herzoglichen Palaste
untersagt wurde, das Lied zu singen: "Was ist des
Deutschen Vaterland."!!! Sollte in dem Heirathscontracte des
erlauchten Paares etwa ein Paragraph sich befinden, gegen den das
Lied von der deutschen Einheit einen Mißton, einen Widerspruch bil¬
det? Wie ungeschickt war es dann von Seiten des Wiesbadener Mi¬
nisters, diese Geheimnisse von Se. Petersburg so rasch zu publiciren;
einen Haufen singender Plebejer zum Vertrauten eines so delicaten und
geheimen Losungswortes zu machen. Wie viel wirksamer hätte man
gehandelt, wenn man im Stillen nach den Vorschriften gehandelt, der
deutschen Einheit allerlei unsichtbare Steine in den Weg geschoben
und die nassauischen Lande allmälig gleich Kurland und Lief¬
land zu einem selbständigen, von dem übrigen sogenannten deutschen
Vaterlande unabhängigen Patriotismus herangebildet hatte. Die plumpen
Deutschen hatten noch lange Nichts gemerkt, während sie jetzt sogleich
errathen haben, woran sie sind. Wir zweifeln sehr, ob die Wiesba¬
dener Staatsmänner für diesen Staatsstreich einen Orden aus Se.
Petersburg erhalten werden. Sonderbar! während man in Nassau
die Lieder vom gesammten deutschen Vaterlande verbietet, bewirbt
man sich bei dem deutschen Bunde darum, dieses Land zu einem
Großherzogthum erklären zu lassen, und zwar melden uns die Zeitun¬
gen, werden diese Bemühungen von einer einflußreichen nordischen
-Macht (wie zart verblümt) bei mehreren deutschen Cabinetten unter¬
stützt. Werden die deutschen Mächte durch dieses kleine Hochzeits¬
geschenk die Flitterwochen des patriotischen Herzogs verschönern? Als
vor zwei Jahren der Herzog von Coburg um eine ähnliche Erhöhung
seines Titels diplomatische Verhandlungen einleitete, blieben dieselben


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Nassau und Rußland.

Durch mehrere Wochen unterhielten (?) uns Notizenschrei¬
ber aus Frankfurt, Mainz und Wiesbaden von den Vorbe¬
reitungen zu der Vermählungsfeier des Herzogs von Nassau. Wir
dachten nicht, daß diese Angelegenheit von so wichtigem deutschem
Interesse sein könnte, um täglich Berichte lesen zu müssen über das
Anordnen, Wachsen und Gelingen des Gesangfestes, das einige nas¬
sauische Liedertafeln ihrem Herzoge zu Ehren vorbereiteten. Wir ver¬
wünschten im Stillen diese müßigen Zeitungsschwätzer. Nun aber
müssen wir diesen Correspondenten laute Abbitte thun und gestehen,
daß sie die politische Bedeutung der Vermählung eines deutschen Für¬
sten mit einer Tochter Rußlands besser zu würdigen wußten als wir.
Man lies't nämlich im Nürnberger Correspondenten: daß den ver¬
einigten nassauischen Sangerchören in Wiesbaden bei
dem großen Ständchen vor dem herzoglichen Palaste
untersagt wurde, das Lied zu singen: „Was ist des
Deutschen Vaterland."!!! Sollte in dem Heirathscontracte des
erlauchten Paares etwa ein Paragraph sich befinden, gegen den das
Lied von der deutschen Einheit einen Mißton, einen Widerspruch bil¬
det? Wie ungeschickt war es dann von Seiten des Wiesbadener Mi¬
nisters, diese Geheimnisse von Se. Petersburg so rasch zu publiciren;
einen Haufen singender Plebejer zum Vertrauten eines so delicaten und
geheimen Losungswortes zu machen. Wie viel wirksamer hätte man
gehandelt, wenn man im Stillen nach den Vorschriften gehandelt, der
deutschen Einheit allerlei unsichtbare Steine in den Weg geschoben
und die nassauischen Lande allmälig gleich Kurland und Lief¬
land zu einem selbständigen, von dem übrigen sogenannten deutschen
Vaterlande unabhängigen Patriotismus herangebildet hatte. Die plumpen
Deutschen hatten noch lange Nichts gemerkt, während sie jetzt sogleich
errathen haben, woran sie sind. Wir zweifeln sehr, ob die Wiesba¬
dener Staatsmänner für diesen Staatsstreich einen Orden aus Se.
Petersburg erhalten werden. Sonderbar! während man in Nassau
die Lieder vom gesammten deutschen Vaterlande verbietet, bewirbt
man sich bei dem deutschen Bunde darum, dieses Land zu einem
Großherzogthum erklären zu lassen, und zwar melden uns die Zeitun¬
gen, werden diese Bemühungen von einer einflußreichen nordischen
-Macht (wie zart verblümt) bei mehreren deutschen Cabinetten unter¬
stützt. Werden die deutschen Mächte durch dieses kleine Hochzeits¬
geschenk die Flitterwochen des patriotischen Herzogs verschönern? Als
vor zwei Jahren der Herzog von Coburg um eine ähnliche Erhöhung
seines Titels diplomatische Verhandlungen einleitete, blieben dieselben


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[0515] Ul. Nassau und Rußland. Durch mehrere Wochen unterhielten (?) uns Notizenschrei¬ ber aus Frankfurt, Mainz und Wiesbaden von den Vorbe¬ reitungen zu der Vermählungsfeier des Herzogs von Nassau. Wir dachten nicht, daß diese Angelegenheit von so wichtigem deutschem Interesse sein könnte, um täglich Berichte lesen zu müssen über das Anordnen, Wachsen und Gelingen des Gesangfestes, das einige nas¬ sauische Liedertafeln ihrem Herzoge zu Ehren vorbereiteten. Wir ver¬ wünschten im Stillen diese müßigen Zeitungsschwätzer. Nun aber müssen wir diesen Correspondenten laute Abbitte thun und gestehen, daß sie die politische Bedeutung der Vermählung eines deutschen Für¬ sten mit einer Tochter Rußlands besser zu würdigen wußten als wir. Man lies't nämlich im Nürnberger Correspondenten: daß den ver¬ einigten nassauischen Sangerchören in Wiesbaden bei dem großen Ständchen vor dem herzoglichen Palaste untersagt wurde, das Lied zu singen: „Was ist des Deutschen Vaterland."!!! Sollte in dem Heirathscontracte des erlauchten Paares etwa ein Paragraph sich befinden, gegen den das Lied von der deutschen Einheit einen Mißton, einen Widerspruch bil¬ det? Wie ungeschickt war es dann von Seiten des Wiesbadener Mi¬ nisters, diese Geheimnisse von Se. Petersburg so rasch zu publiciren; einen Haufen singender Plebejer zum Vertrauten eines so delicaten und geheimen Losungswortes zu machen. Wie viel wirksamer hätte man gehandelt, wenn man im Stillen nach den Vorschriften gehandelt, der deutschen Einheit allerlei unsichtbare Steine in den Weg geschoben und die nassauischen Lande allmälig gleich Kurland und Lief¬ land zu einem selbständigen, von dem übrigen sogenannten deutschen Vaterlande unabhängigen Patriotismus herangebildet hatte. Die plumpen Deutschen hatten noch lange Nichts gemerkt, während sie jetzt sogleich errathen haben, woran sie sind. Wir zweifeln sehr, ob die Wiesba¬ dener Staatsmänner für diesen Staatsstreich einen Orden aus Se. Petersburg erhalten werden. Sonderbar! während man in Nassau die Lieder vom gesammten deutschen Vaterlande verbietet, bewirbt man sich bei dem deutschen Bunde darum, dieses Land zu einem Großherzogthum erklären zu lassen, und zwar melden uns die Zeitun¬ gen, werden diese Bemühungen von einer einflußreichen nordischen -Macht (wie zart verblümt) bei mehreren deutschen Cabinetten unter¬ stützt. Werden die deutschen Mächte durch dieses kleine Hochzeits¬ geschenk die Flitterwochen des patriotischen Herzogs verschönern? Als vor zwei Jahren der Herzog von Coburg um eine ähnliche Erhöhung seines Titels diplomatische Verhandlungen einleitete, blieben dieselben 66*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/515>, abgerufen am 22.12.2024.