Welt weiß, wie aus einem Auflauf eine Revolution wurde und wie drei Kronen in drei Tagen herrenlos wurden; unsere Aufgabe ist es nun, Lafsitte's Antheil an den Ereignissen der Julitage zu erzählen.
Den 28., wo der Sieg des Volkes noch ungewiß war, begab sich Laffitte, nachdem er die Protestation der Deputirten unterzeichnet hatte, und in dem Augenblicke, wo von Se. Cloud der Befehl zu sei¬ ner Verhaftung angelangt war, mitten durch den Kugelregen, in Be¬ gleitung von Perier, Mauguin, Gerard und Lobau zu Mar- schall Marmont, Commandanten von Paris und beschwur ihn im Namen der Menschlichkeit und des Vaterlandes, den Schrecken des Bürgerkrieges ein Ende zu machen und seinen Einfluß zu gebrauchen, um die Zurücknahme der Ordonnanzen und eine Aenderung des Mi¬ nisteriums zu bewirken. Im Weigerungsfalle würde er sich mit sei¬ nem ganzen Einfluß auf die Seite der Bewegung stellen. "Die mi¬ litärische Ehre besteht im Gehorsam", murmelte traurig der Marschall. "Die bürgerliche Ehre", antwortete muthvoll der Deputirte, "besteht darin, die Bürger für ihre Anhänglichkeit an die Konstitution nicht hinschlachten zu lassen." So wie sich Herr Laffitte aber überzeugt hatte, daß von dem verblendeten König Nichts zu hoffen sei, beschloß er, das Aeußerste zu wagen, und machte sein Hotel zu einem Haupt¬ quartier, von wo die Proclamationen ausgingen, die den Aufstand ermuthigter, die Befehle, welche ihn regelten und das Gold, welches ihn nährte. Aber der Banquier vergaß den Herzog von Orleans nicht; er schickte nach Neuilly einen Abgesandten nach dem andern. "Vermeiden Sie die Netze von Se. Cloud," schrieb er dem Prinzen am 28. "Zögern Sie nicht länger", fügte er am 29. hinzu; "wäh¬ len Sie, eine Krone oder einen Paß". Bald darauf gingen zwei Regimenter zu den Aufständischen über und stellten sich vor Lafsitte's Hütel auf. Von dem Augenblicke an warder Sieg entschieden; die Reunion Laffitte übernahm die Leitung der Bewegungen, gab dein General Lafayette den Oberbefehl über die Truppen und dem Mar¬ schall Gerard die Leitung der militärischen Operationen. Eine Mu¬ nicipalcommission wurde im Stadthause organisirt und als d'Argout und Semonville im Namen Karl's X. mit dem Widerruf der Ordon¬ nanzen kamen, erhielten sie zur Antwort: es ist zu spät. Karl X. hatte aufgehört zu regieren.
Die Verlegenheit Lafsitte's war jetzt groß. Alle Geister, von der
Welt weiß, wie aus einem Auflauf eine Revolution wurde und wie drei Kronen in drei Tagen herrenlos wurden; unsere Aufgabe ist es nun, Lafsitte's Antheil an den Ereignissen der Julitage zu erzählen.
Den 28., wo der Sieg des Volkes noch ungewiß war, begab sich Laffitte, nachdem er die Protestation der Deputirten unterzeichnet hatte, und in dem Augenblicke, wo von Se. Cloud der Befehl zu sei¬ ner Verhaftung angelangt war, mitten durch den Kugelregen, in Be¬ gleitung von Perier, Mauguin, Gerard und Lobau zu Mar- schall Marmont, Commandanten von Paris und beschwur ihn im Namen der Menschlichkeit und des Vaterlandes, den Schrecken des Bürgerkrieges ein Ende zu machen und seinen Einfluß zu gebrauchen, um die Zurücknahme der Ordonnanzen und eine Aenderung des Mi¬ nisteriums zu bewirken. Im Weigerungsfalle würde er sich mit sei¬ nem ganzen Einfluß auf die Seite der Bewegung stellen. „Die mi¬ litärische Ehre besteht im Gehorsam", murmelte traurig der Marschall. „Die bürgerliche Ehre", antwortete muthvoll der Deputirte, „besteht darin, die Bürger für ihre Anhänglichkeit an die Konstitution nicht hinschlachten zu lassen." So wie sich Herr Laffitte aber überzeugt hatte, daß von dem verblendeten König Nichts zu hoffen sei, beschloß er, das Aeußerste zu wagen, und machte sein Hotel zu einem Haupt¬ quartier, von wo die Proclamationen ausgingen, die den Aufstand ermuthigter, die Befehle, welche ihn regelten und das Gold, welches ihn nährte. Aber der Banquier vergaß den Herzog von Orleans nicht; er schickte nach Neuilly einen Abgesandten nach dem andern. „Vermeiden Sie die Netze von Se. Cloud," schrieb er dem Prinzen am 28. „Zögern Sie nicht länger", fügte er am 29. hinzu; „wäh¬ len Sie, eine Krone oder einen Paß". Bald darauf gingen zwei Regimenter zu den Aufständischen über und stellten sich vor Lafsitte's Hütel auf. Von dem Augenblicke an warder Sieg entschieden; die Reunion Laffitte übernahm die Leitung der Bewegungen, gab dein General Lafayette den Oberbefehl über die Truppen und dem Mar¬ schall Gerard die Leitung der militärischen Operationen. Eine Mu¬ nicipalcommission wurde im Stadthause organisirt und als d'Argout und Semonville im Namen Karl's X. mit dem Widerruf der Ordon¬ nanzen kamen, erhielten sie zur Antwort: es ist zu spät. Karl X. hatte aufgehört zu regieren.
Die Verlegenheit Lafsitte's war jetzt groß. Alle Geister, von der
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0446"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180159"/><pxml:id="ID_1183"prev="#ID_1182"> Welt weiß, wie aus einem Auflauf eine Revolution wurde und wie<lb/>
drei Kronen in drei Tagen herrenlos wurden; unsere Aufgabe ist es<lb/>
nun, Lafsitte's Antheil an den Ereignissen der Julitage zu erzählen.</p><lb/><pxml:id="ID_1184"> Den 28., wo der Sieg des Volkes noch ungewiß war, begab<lb/>
sich Laffitte, nachdem er die Protestation der Deputirten unterzeichnet<lb/>
hatte, und in dem Augenblicke, wo von Se. Cloud der Befehl zu sei¬<lb/>
ner Verhaftung angelangt war, mitten durch den Kugelregen, in Be¬<lb/>
gleitung von Perier, Mauguin, Gerard und Lobau zu Mar-<lb/>
schall Marmont, Commandanten von Paris und beschwur ihn im<lb/>
Namen der Menschlichkeit und des Vaterlandes, den Schrecken des<lb/>
Bürgerkrieges ein Ende zu machen und seinen Einfluß zu gebrauchen,<lb/>
um die Zurücknahme der Ordonnanzen und eine Aenderung des Mi¬<lb/>
nisteriums zu bewirken. Im Weigerungsfalle würde er sich mit sei¬<lb/>
nem ganzen Einfluß auf die Seite der Bewegung stellen. „Die mi¬<lb/>
litärische Ehre besteht im Gehorsam", murmelte traurig der Marschall.<lb/>„Die bürgerliche Ehre", antwortete muthvoll der Deputirte, „besteht<lb/>
darin, die Bürger für ihre Anhänglichkeit an die Konstitution nicht<lb/>
hinschlachten zu lassen." So wie sich Herr Laffitte aber überzeugt hatte,<lb/>
daß von dem verblendeten König Nichts zu hoffen sei, beschloß er,<lb/>
das Aeußerste zu wagen, und machte sein Hotel zu einem Haupt¬<lb/>
quartier, von wo die Proclamationen ausgingen, die den Aufstand<lb/>
ermuthigter, die Befehle, welche ihn regelten und das Gold, welches<lb/>
ihn nährte. Aber der Banquier vergaß den Herzog von Orleans<lb/>
nicht; er schickte nach Neuilly einen Abgesandten nach dem andern.<lb/>„Vermeiden Sie die Netze von Se. Cloud," schrieb er dem Prinzen<lb/>
am 28. „Zögern Sie nicht länger", fügte er am 29. hinzu; „wäh¬<lb/>
len Sie, eine Krone oder einen Paß". Bald darauf gingen zwei<lb/>
Regimenter zu den Aufständischen über und stellten sich vor Lafsitte's<lb/>
Hütel auf. Von dem Augenblicke an warder Sieg entschieden; die<lb/>
Reunion Laffitte übernahm die Leitung der Bewegungen, gab dein<lb/>
General Lafayette den Oberbefehl über die Truppen und dem Mar¬<lb/>
schall Gerard die Leitung der militärischen Operationen. Eine Mu¬<lb/>
nicipalcommission wurde im Stadthause organisirt und als d'Argout<lb/>
und Semonville im Namen Karl's X. mit dem Widerruf der Ordon¬<lb/>
nanzen kamen, erhielten sie zur Antwort: es ist zu spät. Karl X.<lb/>
hatte aufgehört zu regieren.</p><lb/><pxml:id="ID_1185"next="#ID_1186"> Die Verlegenheit Lafsitte's war jetzt groß. Alle Geister, von der</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0446]
Welt weiß, wie aus einem Auflauf eine Revolution wurde und wie
drei Kronen in drei Tagen herrenlos wurden; unsere Aufgabe ist es
nun, Lafsitte's Antheil an den Ereignissen der Julitage zu erzählen.
Den 28., wo der Sieg des Volkes noch ungewiß war, begab
sich Laffitte, nachdem er die Protestation der Deputirten unterzeichnet
hatte, und in dem Augenblicke, wo von Se. Cloud der Befehl zu sei¬
ner Verhaftung angelangt war, mitten durch den Kugelregen, in Be¬
gleitung von Perier, Mauguin, Gerard und Lobau zu Mar-
schall Marmont, Commandanten von Paris und beschwur ihn im
Namen der Menschlichkeit und des Vaterlandes, den Schrecken des
Bürgerkrieges ein Ende zu machen und seinen Einfluß zu gebrauchen,
um die Zurücknahme der Ordonnanzen und eine Aenderung des Mi¬
nisteriums zu bewirken. Im Weigerungsfalle würde er sich mit sei¬
nem ganzen Einfluß auf die Seite der Bewegung stellen. „Die mi¬
litärische Ehre besteht im Gehorsam", murmelte traurig der Marschall.
„Die bürgerliche Ehre", antwortete muthvoll der Deputirte, „besteht
darin, die Bürger für ihre Anhänglichkeit an die Konstitution nicht
hinschlachten zu lassen." So wie sich Herr Laffitte aber überzeugt hatte,
daß von dem verblendeten König Nichts zu hoffen sei, beschloß er,
das Aeußerste zu wagen, und machte sein Hotel zu einem Haupt¬
quartier, von wo die Proclamationen ausgingen, die den Aufstand
ermuthigter, die Befehle, welche ihn regelten und das Gold, welches
ihn nährte. Aber der Banquier vergaß den Herzog von Orleans
nicht; er schickte nach Neuilly einen Abgesandten nach dem andern.
„Vermeiden Sie die Netze von Se. Cloud," schrieb er dem Prinzen
am 28. „Zögern Sie nicht länger", fügte er am 29. hinzu; „wäh¬
len Sie, eine Krone oder einen Paß". Bald darauf gingen zwei
Regimenter zu den Aufständischen über und stellten sich vor Lafsitte's
Hütel auf. Von dem Augenblicke an warder Sieg entschieden; die
Reunion Laffitte übernahm die Leitung der Bewegungen, gab dein
General Lafayette den Oberbefehl über die Truppen und dem Mar¬
schall Gerard die Leitung der militärischen Operationen. Eine Mu¬
nicipalcommission wurde im Stadthause organisirt und als d'Argout
und Semonville im Namen Karl's X. mit dem Widerruf der Ordon¬
nanzen kamen, erhielten sie zur Antwort: es ist zu spät. Karl X.
hatte aufgehört zu regieren.
Die Verlegenheit Lafsitte's war jetzt groß. Alle Geister, von der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/446>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.