Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

beider Eheleute, verfügt es ferner die Wegnahme der Kinder, die nur
mit Gewalt und unter Wehklagen und Weinen von dem Vater ge¬
rissen werden können, ja es verweigert demselben, trotz seiner immer
wiederholten dringenden Eingaben und Vorstellungen, seine Kinder auch
nur einmal scheu und sprechen zu dürfen. Und so geht denn der einge¬
leitete Prozeß vom August 1841 fort bis zum 23. October 1843, an
welchem endlich das Oberappcllationsgcricht zu Lübeck entscheidet, daß
die früheren Erkenntnisse der Frankfurter Gerichte, insoweit dieselben
der Frau eine abgesonderte Wohnung zu beziehen gestatteten, wieder
aufzuheben und, um diese Aufhebung noch näher zu motiviren, die "von
dem Beklagten in gegenwärtiger Instanz noch beigebrachten neuen
Gegenbeweise gar nichr nöthig seien". Lange vor diesem Erkenntniß
aber -- das sie und ihre Aovocatcn und Rathgeber von einem ent¬
fernten, unparteiischen Gerichtshof wohl erwarten mußten -- im Mai
1842 war die Klägerin schon heimlich nach England entflohen und so
Herr von Fabeck, trotz der erfolgten günstigen Entscheidung dennoch
und vielleicht auf immer seiner Kinder beraubt, deren gegenwärtigen
Aufenthalt er bis zu diesem Augenblick noch nicht erfahren hat. Doch
muß man daS Buch selber lesen, um einen deutlichen Begriff von dem
ganzen inneren Verlauf dieser scheußlichen Geschichte, von diesem In-
trigucuspiel, in dem besonders der Advocat Ol. von Guaista und der
Herr Pfarrer Appia ihre Rollen vortrefflich gespielt haben, von dieser
Kleinlichkeit, Gemeinheit und Rohheit socialer Verhältnisse zu erhalten.
Das sind die echten Geheimnisse unseres socialen Lebens, die besonders
in den Zuständen der freien Stadt Frankfurt a.d. O. eine ganz eigen-
thüiulichc Färbung und Gestalt zusahen scheinen.) Herr von Fabeck hat
die fromme Absicht, "das Mangelhafte,, dieses Gerichtsverfahrens auf¬
zudecken , damit es gerechten "Reformationen" unterworfen" werden
möchte: er weiß aber vielleicht nicht, daß er durch die Herausgabe sei¬
ner Acten nur einen höchst wichtigen und interessanten Beitrag zur
Zeitgeschichte geliefert hat. Unmittelbar -- wie Manche träumen mö¬
gen -- wirkt man dadurch gar Nichts, die Vernünftigen wissen eS
längst, und daß die Dummen, die Halben und Jllusionsvottcn nicht
zu bekehren sind, diese Erfahrung ist längst gründlichst gemacht.


A. F.


II.
Aus Wie n.

Die Vermählung mit Rußland. -- Der Czar- -- General Orloff. -- Junge
Diplomaten. -- Die Tantieme und Töpfer. -- Lenau. -- Englische Oper.

Mit einer Spannung ungewöhnlicher Art sieht man dem Aus¬
gang entgegen, welchen die Vcrmählungsangelegenhcit des Erzherzogs


Grenzboten 184i. I. 51

beider Eheleute, verfügt es ferner die Wegnahme der Kinder, die nur
mit Gewalt und unter Wehklagen und Weinen von dem Vater ge¬
rissen werden können, ja es verweigert demselben, trotz seiner immer
wiederholten dringenden Eingaben und Vorstellungen, seine Kinder auch
nur einmal scheu und sprechen zu dürfen. Und so geht denn der einge¬
leitete Prozeß vom August 1841 fort bis zum 23. October 1843, an
welchem endlich das Oberappcllationsgcricht zu Lübeck entscheidet, daß
die früheren Erkenntnisse der Frankfurter Gerichte, insoweit dieselben
der Frau eine abgesonderte Wohnung zu beziehen gestatteten, wieder
aufzuheben und, um diese Aufhebung noch näher zu motiviren, die „von
dem Beklagten in gegenwärtiger Instanz noch beigebrachten neuen
Gegenbeweise gar nichr nöthig seien". Lange vor diesem Erkenntniß
aber — das sie und ihre Aovocatcn und Rathgeber von einem ent¬
fernten, unparteiischen Gerichtshof wohl erwarten mußten — im Mai
1842 war die Klägerin schon heimlich nach England entflohen und so
Herr von Fabeck, trotz der erfolgten günstigen Entscheidung dennoch
und vielleicht auf immer seiner Kinder beraubt, deren gegenwärtigen
Aufenthalt er bis zu diesem Augenblick noch nicht erfahren hat. Doch
muß man daS Buch selber lesen, um einen deutlichen Begriff von dem
ganzen inneren Verlauf dieser scheußlichen Geschichte, von diesem In-
trigucuspiel, in dem besonders der Advocat Ol. von Guaista und der
Herr Pfarrer Appia ihre Rollen vortrefflich gespielt haben, von dieser
Kleinlichkeit, Gemeinheit und Rohheit socialer Verhältnisse zu erhalten.
Das sind die echten Geheimnisse unseres socialen Lebens, die besonders
in den Zuständen der freien Stadt Frankfurt a.d. O. eine ganz eigen-
thüiulichc Färbung und Gestalt zusahen scheinen.) Herr von Fabeck hat
die fromme Absicht, „das Mangelhafte,, dieses Gerichtsverfahrens auf¬
zudecken , damit es gerechten „Reformationen" unterworfen" werden
möchte: er weiß aber vielleicht nicht, daß er durch die Herausgabe sei¬
ner Acten nur einen höchst wichtigen und interessanten Beitrag zur
Zeitgeschichte geliefert hat. Unmittelbar — wie Manche träumen mö¬
gen — wirkt man dadurch gar Nichts, die Vernünftigen wissen eS
längst, und daß die Dummen, die Halben und Jllusionsvottcn nicht
zu bekehren sind, diese Erfahrung ist längst gründlichst gemacht.


A. F.


II.
Aus Wie n.

Die Vermählung mit Rußland. — Der Czar- — General Orloff. — Junge
Diplomaten. — Die Tantieme und Töpfer. — Lenau. — Englische Oper.

Mit einer Spannung ungewöhnlicher Art sieht man dem Aus¬
gang entgegen, welchen die Vcrmählungsangelegenhcit des Erzherzogs


Grenzboten 184i. I. 51
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0393" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180106"/>
            <p xml:id="ID_1011" prev="#ID_1010"> beider Eheleute, verfügt es ferner die Wegnahme der Kinder, die nur<lb/>
mit Gewalt und unter Wehklagen und Weinen von dem Vater ge¬<lb/>
rissen werden können, ja es verweigert demselben, trotz seiner immer<lb/>
wiederholten dringenden Eingaben und Vorstellungen, seine Kinder auch<lb/>
nur einmal scheu und sprechen zu dürfen. Und so geht denn der einge¬<lb/>
leitete Prozeß vom August 1841 fort bis zum 23. October 1843, an<lb/>
welchem endlich das Oberappcllationsgcricht zu Lübeck entscheidet, daß<lb/>
die früheren Erkenntnisse der Frankfurter Gerichte, insoweit dieselben<lb/>
der Frau eine abgesonderte Wohnung zu beziehen gestatteten, wieder<lb/>
aufzuheben und, um diese Aufhebung noch näher zu motiviren, die &#x201E;von<lb/>
dem Beklagten in gegenwärtiger Instanz noch beigebrachten neuen<lb/>
Gegenbeweise gar nichr nöthig seien". Lange vor diesem Erkenntniß<lb/>
aber &#x2014; das sie und ihre Aovocatcn und Rathgeber von einem ent¬<lb/>
fernten, unparteiischen Gerichtshof wohl erwarten mußten &#x2014; im Mai<lb/>
1842 war die Klägerin schon heimlich nach England entflohen und so<lb/>
Herr von Fabeck, trotz der erfolgten günstigen Entscheidung dennoch<lb/>
und vielleicht auf immer seiner Kinder beraubt, deren gegenwärtigen<lb/>
Aufenthalt er bis zu diesem Augenblick noch nicht erfahren hat. Doch<lb/>
muß man daS Buch selber lesen, um einen deutlichen Begriff von dem<lb/>
ganzen inneren Verlauf dieser scheußlichen Geschichte, von diesem In-<lb/>
trigucuspiel, in dem besonders der Advocat Ol. von Guaista und der<lb/>
Herr Pfarrer Appia ihre Rollen vortrefflich gespielt haben, von dieser<lb/>
Kleinlichkeit, Gemeinheit und Rohheit socialer Verhältnisse zu erhalten.<lb/>
Das sind die echten Geheimnisse unseres socialen Lebens, die besonders<lb/>
in den Zuständen der freien Stadt Frankfurt a.d. O. eine ganz eigen-<lb/>
thüiulichc Färbung und Gestalt zusahen scheinen.) Herr von Fabeck hat<lb/>
die fromme Absicht, &#x201E;das Mangelhafte,, dieses Gerichtsverfahrens auf¬<lb/>
zudecken , damit es gerechten &#x201E;Reformationen" unterworfen" werden<lb/>
möchte: er weiß aber vielleicht nicht, daß er durch die Herausgabe sei¬<lb/>
ner Acten nur einen höchst wichtigen und interessanten Beitrag zur<lb/>
Zeitgeschichte geliefert hat. Unmittelbar &#x2014; wie Manche träumen mö¬<lb/>
gen &#x2014; wirkt man dadurch gar Nichts, die Vernünftigen wissen eS<lb/>
längst, und daß die Dummen, die Halben und Jllusionsvottcn nicht<lb/>
zu bekehren sind, diese Erfahrung ist längst gründlichst gemacht.</p><lb/>
            <note type="byline"> A. F.</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> II.<lb/>
Aus  Wie n.</head><lb/>
            <note type="argument"> Die Vermählung mit Rußland. &#x2014; Der Czar- &#x2014; General Orloff. &#x2014; Junge<lb/>
Diplomaten. &#x2014; Die Tantieme und Töpfer. &#x2014; Lenau. &#x2014; Englische Oper.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1012" next="#ID_1013"> Mit einer Spannung ungewöhnlicher Art sieht man dem Aus¬<lb/>
gang entgegen, welchen die Vcrmählungsangelegenhcit des Erzherzogs</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"> Grenzboten 184i. I. 51</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0393] beider Eheleute, verfügt es ferner die Wegnahme der Kinder, die nur mit Gewalt und unter Wehklagen und Weinen von dem Vater ge¬ rissen werden können, ja es verweigert demselben, trotz seiner immer wiederholten dringenden Eingaben und Vorstellungen, seine Kinder auch nur einmal scheu und sprechen zu dürfen. Und so geht denn der einge¬ leitete Prozeß vom August 1841 fort bis zum 23. October 1843, an welchem endlich das Oberappcllationsgcricht zu Lübeck entscheidet, daß die früheren Erkenntnisse der Frankfurter Gerichte, insoweit dieselben der Frau eine abgesonderte Wohnung zu beziehen gestatteten, wieder aufzuheben und, um diese Aufhebung noch näher zu motiviren, die „von dem Beklagten in gegenwärtiger Instanz noch beigebrachten neuen Gegenbeweise gar nichr nöthig seien". Lange vor diesem Erkenntniß aber — das sie und ihre Aovocatcn und Rathgeber von einem ent¬ fernten, unparteiischen Gerichtshof wohl erwarten mußten — im Mai 1842 war die Klägerin schon heimlich nach England entflohen und so Herr von Fabeck, trotz der erfolgten günstigen Entscheidung dennoch und vielleicht auf immer seiner Kinder beraubt, deren gegenwärtigen Aufenthalt er bis zu diesem Augenblick noch nicht erfahren hat. Doch muß man daS Buch selber lesen, um einen deutlichen Begriff von dem ganzen inneren Verlauf dieser scheußlichen Geschichte, von diesem In- trigucuspiel, in dem besonders der Advocat Ol. von Guaista und der Herr Pfarrer Appia ihre Rollen vortrefflich gespielt haben, von dieser Kleinlichkeit, Gemeinheit und Rohheit socialer Verhältnisse zu erhalten. Das sind die echten Geheimnisse unseres socialen Lebens, die besonders in den Zuständen der freien Stadt Frankfurt a.d. O. eine ganz eigen- thüiulichc Färbung und Gestalt zusahen scheinen.) Herr von Fabeck hat die fromme Absicht, „das Mangelhafte,, dieses Gerichtsverfahrens auf¬ zudecken , damit es gerechten „Reformationen" unterworfen" werden möchte: er weiß aber vielleicht nicht, daß er durch die Herausgabe sei¬ ner Acten nur einen höchst wichtigen und interessanten Beitrag zur Zeitgeschichte geliefert hat. Unmittelbar — wie Manche träumen mö¬ gen — wirkt man dadurch gar Nichts, die Vernünftigen wissen eS längst, und daß die Dummen, die Halben und Jllusionsvottcn nicht zu bekehren sind, diese Erfahrung ist längst gründlichst gemacht. A. F. II. Aus Wie n. Die Vermählung mit Rußland. — Der Czar- — General Orloff. — Junge Diplomaten. — Die Tantieme und Töpfer. — Lenau. — Englische Oper. Mit einer Spannung ungewöhnlicher Art sieht man dem Aus¬ gang entgegen, welchen die Vcrmählungsangelegenhcit des Erzherzogs Grenzboten 184i. I. 51

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/393
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/393>, abgerufen am 22.12.2024.