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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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denken, als dieses Genrebild. Voll warmen Lebens lachen alle Ge¬
stalten daraus hervor: der junge, eitle, gutmüthige Franzose; die holde,
liebende Maria-Grazia: die italienische Wirthin mit ihren originellen
Sprüchwörtern, und die bereuende Theresina. Leicht und sicher sind
die südlichen Bilder hingehaucht; da ist weder Absicht noch Zwang
-- es macht sich Alles wie von selbst. Das scheint mir aber im¬
mer die beste Bürgschaft für den Werth einer Novelle, wenn man
gar keine Novelle zu lesen glaubt, und Heiberg sagte auch: Der
Rcisekamcrad dürfe in keiner dänischen Anthologie fehlen, wo es sich
um Musterformen handelt. Holst hat sich jetzt mit ganzem Eifer der
Novelle zugewendet; er arbeitet an sicilianischen Novellen und man
erwartet Ausgezeichnetes davon.

Weil wir eben von dieser Dichtungsart sprechen, so muß des in
Deutschland wohlbekannten Erzählers Karl Bernhard gedacht wer¬
den, dessen wahrer Name Se. An bin ist. Im Verein mit den
Professoren K. C. Kannegießer und O. L. B. Wolfs -- zwei tüch¬
tigen sprachkundigen -- hat er seine Werke selbst in'S Deutsche über¬
setzt, und die Reihe derselben wird gern gelesen. Es sind Lebens¬
bilder aus Dänemark, welche nicht verkennen lassen, daß der "Ver¬
fasser einer Alltagsgeschichte" als Pathe an ihrer Wiege stand. Be¬
dauern muß man nur, daß der blumenreine Sinn dieses Musters
allzusehr verloren ging, denn Bernhard's Erzeugnisse haben sich im
Schlammbade der neufranzösischen Romantik zuweilen arg bespritzt,
sonst wohnt aber eine muntere, lebhafte Charakterauffassung darin,
welche seine Novellen über die der Bremer, Flygare und anderer Da¬
men erhebt, so daß sie den Beifall wohl verdienen, der ihnen zu Theil
ward.

Ehe ich den freilich lückenhaften Aufsatz abschließe, will ich noch
eines Buches gedenken, das erst 1843 erschien und den Titel: "En¬
ten-Eller -- Entweder oder" führt. Der Verfasser hat sich nicht
genannt; er heißt Kierkegaard, ist Licentiat der Theologie und
vom Haupte bis zur Sohle Hegelianer. Das Letztere documentirt
sich denn, wie in den Lichtpunkten, auch in den Schattenseiten seines
Buches, welches aus zwei starken Bänden besteht und Novelle, Aest¬
hetik, Philosophie und sonstige Ingredienzien so kaleidoskopisch zusam¬
menrüttelt, wie es bisher noch kaum gesehen wurde. Der erste Band
ist negativ; darin wird Alles verhöhnt und niedergerissen, was Jahr-


denken, als dieses Genrebild. Voll warmen Lebens lachen alle Ge¬
stalten daraus hervor: der junge, eitle, gutmüthige Franzose; die holde,
liebende Maria-Grazia: die italienische Wirthin mit ihren originellen
Sprüchwörtern, und die bereuende Theresina. Leicht und sicher sind
die südlichen Bilder hingehaucht; da ist weder Absicht noch Zwang
— es macht sich Alles wie von selbst. Das scheint mir aber im¬
mer die beste Bürgschaft für den Werth einer Novelle, wenn man
gar keine Novelle zu lesen glaubt, und Heiberg sagte auch: Der
Rcisekamcrad dürfe in keiner dänischen Anthologie fehlen, wo es sich
um Musterformen handelt. Holst hat sich jetzt mit ganzem Eifer der
Novelle zugewendet; er arbeitet an sicilianischen Novellen und man
erwartet Ausgezeichnetes davon.

Weil wir eben von dieser Dichtungsart sprechen, so muß des in
Deutschland wohlbekannten Erzählers Karl Bernhard gedacht wer¬
den, dessen wahrer Name Se. An bin ist. Im Verein mit den
Professoren K. C. Kannegießer und O. L. B. Wolfs — zwei tüch¬
tigen sprachkundigen — hat er seine Werke selbst in'S Deutsche über¬
setzt, und die Reihe derselben wird gern gelesen. Es sind Lebens¬
bilder aus Dänemark, welche nicht verkennen lassen, daß der „Ver¬
fasser einer Alltagsgeschichte" als Pathe an ihrer Wiege stand. Be¬
dauern muß man nur, daß der blumenreine Sinn dieses Musters
allzusehr verloren ging, denn Bernhard's Erzeugnisse haben sich im
Schlammbade der neufranzösischen Romantik zuweilen arg bespritzt,
sonst wohnt aber eine muntere, lebhafte Charakterauffassung darin,
welche seine Novellen über die der Bremer, Flygare und anderer Da¬
men erhebt, so daß sie den Beifall wohl verdienen, der ihnen zu Theil
ward.

Ehe ich den freilich lückenhaften Aufsatz abschließe, will ich noch
eines Buches gedenken, das erst 1843 erschien und den Titel: „En¬
ten-Eller — Entweder oder" führt. Der Verfasser hat sich nicht
genannt; er heißt Kierkegaard, ist Licentiat der Theologie und
vom Haupte bis zur Sohle Hegelianer. Das Letztere documentirt
sich denn, wie in den Lichtpunkten, auch in den Schattenseiten seines
Buches, welches aus zwei starken Bänden besteht und Novelle, Aest¬
hetik, Philosophie und sonstige Ingredienzien so kaleidoskopisch zusam¬
menrüttelt, wie es bisher noch kaum gesehen wurde. Der erste Band
ist negativ; darin wird Alles verhöhnt und niedergerissen, was Jahr-


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[0383] denken, als dieses Genrebild. Voll warmen Lebens lachen alle Ge¬ stalten daraus hervor: der junge, eitle, gutmüthige Franzose; die holde, liebende Maria-Grazia: die italienische Wirthin mit ihren originellen Sprüchwörtern, und die bereuende Theresina. Leicht und sicher sind die südlichen Bilder hingehaucht; da ist weder Absicht noch Zwang — es macht sich Alles wie von selbst. Das scheint mir aber im¬ mer die beste Bürgschaft für den Werth einer Novelle, wenn man gar keine Novelle zu lesen glaubt, und Heiberg sagte auch: Der Rcisekamcrad dürfe in keiner dänischen Anthologie fehlen, wo es sich um Musterformen handelt. Holst hat sich jetzt mit ganzem Eifer der Novelle zugewendet; er arbeitet an sicilianischen Novellen und man erwartet Ausgezeichnetes davon. Weil wir eben von dieser Dichtungsart sprechen, so muß des in Deutschland wohlbekannten Erzählers Karl Bernhard gedacht wer¬ den, dessen wahrer Name Se. An bin ist. Im Verein mit den Professoren K. C. Kannegießer und O. L. B. Wolfs — zwei tüch¬ tigen sprachkundigen — hat er seine Werke selbst in'S Deutsche über¬ setzt, und die Reihe derselben wird gern gelesen. Es sind Lebens¬ bilder aus Dänemark, welche nicht verkennen lassen, daß der „Ver¬ fasser einer Alltagsgeschichte" als Pathe an ihrer Wiege stand. Be¬ dauern muß man nur, daß der blumenreine Sinn dieses Musters allzusehr verloren ging, denn Bernhard's Erzeugnisse haben sich im Schlammbade der neufranzösischen Romantik zuweilen arg bespritzt, sonst wohnt aber eine muntere, lebhafte Charakterauffassung darin, welche seine Novellen über die der Bremer, Flygare und anderer Da¬ men erhebt, so daß sie den Beifall wohl verdienen, der ihnen zu Theil ward. Ehe ich den freilich lückenhaften Aufsatz abschließe, will ich noch eines Buches gedenken, das erst 1843 erschien und den Titel: „En¬ ten-Eller — Entweder oder" führt. Der Verfasser hat sich nicht genannt; er heißt Kierkegaard, ist Licentiat der Theologie und vom Haupte bis zur Sohle Hegelianer. Das Letztere documentirt sich denn, wie in den Lichtpunkten, auch in den Schattenseiten seines Buches, welches aus zwei starken Bänden besteht und Novelle, Aest¬ hetik, Philosophie und sonstige Ingredienzien so kaleidoskopisch zusam¬ menrüttelt, wie es bisher noch kaum gesehen wurde. Der erste Band ist negativ; darin wird Alles verhöhnt und niedergerissen, was Jahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/383>, abgerufen am 22.12.2024.