Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

eigenen, unmittelbaren Zauber. Oft und mit immer neuem Beifalls-
rauschen ging es über die Bretter; die Dänen fühlten stolz ihre
Verwandtschaft mit jenen treuen, kräftigen und freien Gestalten, und
so wirkte das Stück erhebend auf das Nationalbewußtsein. Aber
die Partei der Gegner blieb unversöhnlich; sie jagte den Versehmte"
so lange umher, bis er müde, todtmüde wurde. Jetzt sieht man ihn
krank, mürrisch, hypochondrisch, und auf abgelegenen Pfaden macht
er einsam seine Spaziergänge.

Unter denjenigen Schriftstellern, welche Hertz in den Geisterbrie-
fcn mit der Momusgeißel traf, war auch Hans Christian Ander¬
sen. Dieser ist jedenfalls ein sehr origineller Charakter und muß
schon deshalb mit Aufmerksamkeit betrachtet werden, weil seine Werke
in Deutschland berühmter sind, als selbst in Dänemark, im kleinen
Dänemark, dem es doch wahrlich nicht an Muße fehlt, den Kreis
seiner Autoren sorgsam zu würdigen. Außer Oehlcnschläger ist An¬
dersen der einzige dänische Dichter, der bei uns eine Popularität ge¬
wonnen hat, während jenseits der Ostsee andere Poeten weit über
ihn gestellt werden. Daraus geht hervor, daß entweder der Geschmack
drüben eine andere Richtung nahm, als bei uns, oder daß wir, durch
künstliche Mittel getäuscht, eine Ungerechtigkeit begehen. Zu breiten
kritischen Untersuchungen fehlt mir der Raum, und so will ich denn
einfach die Lebensgeschichte des Dichters erzählen; vielleicht gelingt
es dem Leser, so die Lösung jener schwierigen Frage selbst zu finden.

Andersen wurde am 1. April 180" zu Odense auf Fünen ge¬
boren, und er hat so manche Specialitäten aus seiner Kindheit mit¬
getheilt. Seine Großeltern besaßen früher ein eigenes Landgütchen,
doch verarmten sie und ihr Sohn mußte Schuhmacher werden. Der¬
selbe verheirathete sich; das junge Paar war sehr bedürftig und
kaufte zum Ehebette das Trauergestell, auf welchem kurz vorher ein
gräflicher Sarg geprangt hatte. Manches Jahr später sah man noch
die schwarzen Leisten und die Wachsflecken daran, allein dies hin¬
derte nicht, daß Hans Christian Andersen darauf zur Welt kam.
Früh starb sein Vater, die Mutter hatte wenig Zeit für ihn, und er
genoß nur den kümmerlichsten Schulunterricht. Nachdem er confir-
mirt war, sollte er zu einem Schneider in die Lehre, da prophezeihte
ihm die Kartenlegerin, er würde sehr berühmt werden, und man würde,
ihm zu Ehren, einst die Stadt Odense illuminiren.


eigenen, unmittelbaren Zauber. Oft und mit immer neuem Beifalls-
rauschen ging es über die Bretter; die Dänen fühlten stolz ihre
Verwandtschaft mit jenen treuen, kräftigen und freien Gestalten, und
so wirkte das Stück erhebend auf das Nationalbewußtsein. Aber
die Partei der Gegner blieb unversöhnlich; sie jagte den Versehmte»
so lange umher, bis er müde, todtmüde wurde. Jetzt sieht man ihn
krank, mürrisch, hypochondrisch, und auf abgelegenen Pfaden macht
er einsam seine Spaziergänge.

Unter denjenigen Schriftstellern, welche Hertz in den Geisterbrie-
fcn mit der Momusgeißel traf, war auch Hans Christian Ander¬
sen. Dieser ist jedenfalls ein sehr origineller Charakter und muß
schon deshalb mit Aufmerksamkeit betrachtet werden, weil seine Werke
in Deutschland berühmter sind, als selbst in Dänemark, im kleinen
Dänemark, dem es doch wahrlich nicht an Muße fehlt, den Kreis
seiner Autoren sorgsam zu würdigen. Außer Oehlcnschläger ist An¬
dersen der einzige dänische Dichter, der bei uns eine Popularität ge¬
wonnen hat, während jenseits der Ostsee andere Poeten weit über
ihn gestellt werden. Daraus geht hervor, daß entweder der Geschmack
drüben eine andere Richtung nahm, als bei uns, oder daß wir, durch
künstliche Mittel getäuscht, eine Ungerechtigkeit begehen. Zu breiten
kritischen Untersuchungen fehlt mir der Raum, und so will ich denn
einfach die Lebensgeschichte des Dichters erzählen; vielleicht gelingt
es dem Leser, so die Lösung jener schwierigen Frage selbst zu finden.

Andersen wurde am 1. April 180» zu Odense auf Fünen ge¬
boren, und er hat so manche Specialitäten aus seiner Kindheit mit¬
getheilt. Seine Großeltern besaßen früher ein eigenes Landgütchen,
doch verarmten sie und ihr Sohn mußte Schuhmacher werden. Der¬
selbe verheirathete sich; das junge Paar war sehr bedürftig und
kaufte zum Ehebette das Trauergestell, auf welchem kurz vorher ein
gräflicher Sarg geprangt hatte. Manches Jahr später sah man noch
die schwarzen Leisten und die Wachsflecken daran, allein dies hin¬
derte nicht, daß Hans Christian Andersen darauf zur Welt kam.
Früh starb sein Vater, die Mutter hatte wenig Zeit für ihn, und er
genoß nur den kümmerlichsten Schulunterricht. Nachdem er confir-
mirt war, sollte er zu einem Schneider in die Lehre, da prophezeihte
ihm die Kartenlegerin, er würde sehr berühmt werden, und man würde,
ihm zu Ehren, einst die Stadt Odense illuminiren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180087"/>
            <p xml:id="ID_952" prev="#ID_951"> eigenen, unmittelbaren Zauber. Oft und mit immer neuem Beifalls-<lb/>
rauschen ging es über die Bretter; die Dänen fühlten stolz ihre<lb/>
Verwandtschaft mit jenen treuen, kräftigen und freien Gestalten, und<lb/>
so wirkte das Stück erhebend auf das Nationalbewußtsein. Aber<lb/>
die Partei der Gegner blieb unversöhnlich; sie jagte den Versehmte»<lb/>
so lange umher, bis er müde, todtmüde wurde. Jetzt sieht man ihn<lb/>
krank, mürrisch, hypochondrisch, und auf abgelegenen Pfaden macht<lb/>
er einsam seine Spaziergänge.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_953"> Unter denjenigen Schriftstellern, welche Hertz in den Geisterbrie-<lb/>
fcn mit der Momusgeißel traf, war auch Hans Christian Ander¬<lb/>
sen. Dieser ist jedenfalls ein sehr origineller Charakter und muß<lb/>
schon deshalb mit Aufmerksamkeit betrachtet werden, weil seine Werke<lb/>
in Deutschland berühmter sind, als selbst in Dänemark, im kleinen<lb/>
Dänemark, dem es doch wahrlich nicht an Muße fehlt, den Kreis<lb/>
seiner Autoren sorgsam zu würdigen. Außer Oehlcnschläger ist An¬<lb/>
dersen der einzige dänische Dichter, der bei uns eine Popularität ge¬<lb/>
wonnen hat, während jenseits der Ostsee andere Poeten weit über<lb/>
ihn gestellt werden. Daraus geht hervor, daß entweder der Geschmack<lb/>
drüben eine andere Richtung nahm, als bei uns, oder daß wir, durch<lb/>
künstliche Mittel getäuscht, eine Ungerechtigkeit begehen. Zu breiten<lb/>
kritischen Untersuchungen fehlt mir der Raum, und so will ich denn<lb/>
einfach die Lebensgeschichte des Dichters erzählen; vielleicht gelingt<lb/>
es dem Leser, so die Lösung jener schwierigen Frage selbst zu finden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_954"> Andersen wurde am 1. April 180» zu Odense auf Fünen ge¬<lb/>
boren, und er hat so manche Specialitäten aus seiner Kindheit mit¬<lb/>
getheilt. Seine Großeltern besaßen früher ein eigenes Landgütchen,<lb/>
doch verarmten sie und ihr Sohn mußte Schuhmacher werden. Der¬<lb/>
selbe verheirathete sich; das junge Paar war sehr bedürftig und<lb/>
kaufte zum Ehebette das Trauergestell, auf welchem kurz vorher ein<lb/>
gräflicher Sarg geprangt hatte. Manches Jahr später sah man noch<lb/>
die schwarzen Leisten und die Wachsflecken daran, allein dies hin¬<lb/>
derte nicht, daß Hans Christian Andersen darauf zur Welt kam.<lb/>
Früh starb sein Vater, die Mutter hatte wenig Zeit für ihn, und er<lb/>
genoß nur den kümmerlichsten Schulunterricht. Nachdem er confir-<lb/>
mirt war, sollte er zu einem Schneider in die Lehre, da prophezeihte<lb/>
ihm die Kartenlegerin, er würde sehr berühmt werden, und man würde,<lb/>
ihm zu Ehren, einst die Stadt Odense illuminiren.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] eigenen, unmittelbaren Zauber. Oft und mit immer neuem Beifalls- rauschen ging es über die Bretter; die Dänen fühlten stolz ihre Verwandtschaft mit jenen treuen, kräftigen und freien Gestalten, und so wirkte das Stück erhebend auf das Nationalbewußtsein. Aber die Partei der Gegner blieb unversöhnlich; sie jagte den Versehmte» so lange umher, bis er müde, todtmüde wurde. Jetzt sieht man ihn krank, mürrisch, hypochondrisch, und auf abgelegenen Pfaden macht er einsam seine Spaziergänge. Unter denjenigen Schriftstellern, welche Hertz in den Geisterbrie- fcn mit der Momusgeißel traf, war auch Hans Christian Ander¬ sen. Dieser ist jedenfalls ein sehr origineller Charakter und muß schon deshalb mit Aufmerksamkeit betrachtet werden, weil seine Werke in Deutschland berühmter sind, als selbst in Dänemark, im kleinen Dänemark, dem es doch wahrlich nicht an Muße fehlt, den Kreis seiner Autoren sorgsam zu würdigen. Außer Oehlcnschläger ist An¬ dersen der einzige dänische Dichter, der bei uns eine Popularität ge¬ wonnen hat, während jenseits der Ostsee andere Poeten weit über ihn gestellt werden. Daraus geht hervor, daß entweder der Geschmack drüben eine andere Richtung nahm, als bei uns, oder daß wir, durch künstliche Mittel getäuscht, eine Ungerechtigkeit begehen. Zu breiten kritischen Untersuchungen fehlt mir der Raum, und so will ich denn einfach die Lebensgeschichte des Dichters erzählen; vielleicht gelingt es dem Leser, so die Lösung jener schwierigen Frage selbst zu finden. Andersen wurde am 1. April 180» zu Odense auf Fünen ge¬ boren, und er hat so manche Specialitäten aus seiner Kindheit mit¬ getheilt. Seine Großeltern besaßen früher ein eigenes Landgütchen, doch verarmten sie und ihr Sohn mußte Schuhmacher werden. Der¬ selbe verheirathete sich; das junge Paar war sehr bedürftig und kaufte zum Ehebette das Trauergestell, auf welchem kurz vorher ein gräflicher Sarg geprangt hatte. Manches Jahr später sah man noch die schwarzen Leisten und die Wachsflecken daran, allein dies hin¬ derte nicht, daß Hans Christian Andersen darauf zur Welt kam. Früh starb sein Vater, die Mutter hatte wenig Zeit für ihn, und er genoß nur den kümmerlichsten Schulunterricht. Nachdem er confir- mirt war, sollte er zu einem Schneider in die Lehre, da prophezeihte ihm die Kartenlegerin, er würde sehr berühmt werden, und man würde, ihm zu Ehren, einst die Stadt Odense illuminiren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/374>, abgerufen am 23.12.2024.