Mohikaner muß sich der Verfolgte, der seinen Gott Marien, das ist die Poesie des Lebens, mit sich im Herzen trägt, fortflüchten über Wäl¬ der und Flüsse, Seen und Gebirge, will er noch irgendswo ein Bis¬ chen Urleben, ohne Thee und Misses, ohne englische Regenschirme und Zeitungen finden.
Mein Gefährte machte eine Ausnahme von dem sonst gewöhn¬ lichen abgeschlossenen Wesen seiner Landsleute. Er war ein heiterer, lebenslustiger Geselle. Ich hätte nicht gerne ohne ihn unser Mahl eingenommen, und doch war ich nicht grausam genug, ihn aus sei¬ nen Träumen zu wecken. Vielleicht hatten sie ihn ins Clarendon Hüt"! zu einem guten Diner, wo man etwas Anderes, als Milch und Knötel bekommt, oder nach Epsom, wo das Zufußgehen kaum dem Namen nach bekannt ist, versetzt. Gewiß war der Fall aber nicht umgekehrt, und in den Marmorhallcn Londons oder auf Melton Mowbray's grünen Fluren hätte er sich sein jetziges Gebirgsleben mit Accompagnement von Milchsuppe und blutigen Sohlen nicht träumen lassen, dessen Anstrengungen und Entbehrungen er übrigens, ich muß es gestehen, mit aller, den britischen Charakter so ehrenvoll bezeichnenden Ausdauer und Gleichmut!) ertrug.
Ich ging also wieder vor das Haus; auffallend war mir die Stille in demselben, denn ich erinnerte mich wohl vor ein Paar Jah¬ ren durch Kindcrgejauchze oder mütterliches Schelten in meiner Mit¬ tagsruhe gestört worden zu sein. Vor dem Hause saß Jakob und rauchte sein Pfeifchen, Marie handthierte in der Küche. Ich blickte hinüber nach den Gletschern und Felswänden, welche wie eine krystallene Zauberburg im Sonnenglanze herüberstrahlten, und dachte mir, wie schwindelnd man oft auf diesen gefährlichen Stegen und Wegen wan¬ deln müsse, wenn verlockt durch Jagd- oder Wanderlust man sich in den Granittempel, wo die Natur ihr Allerheiligstes webt und schafft, hineinwagt. Dort wohnt die flüchtige Gemse, blüht und duftet das heilende, würzige Kraut; aber sie lassen sich freilich nur dort und nicht auf der betretenen Erde finden; dafür wagt aber der, welcher nach der seltenen Beute sucht, auch zuweilen Hals und Kragen, und so ist's ja mit Allem in der Welt; wer das Edle sucht, muß das Beste daran setzen. Spatzen schießt man vom Dache, Kiesel und Quarz liegen am Wege; aber nur hoch in den Lüsten schwebt der Reiher, uno das Gold glüht nur im tiefen Schacht.
Mohikaner muß sich der Verfolgte, der seinen Gott Marien, das ist die Poesie des Lebens, mit sich im Herzen trägt, fortflüchten über Wäl¬ der und Flüsse, Seen und Gebirge, will er noch irgendswo ein Bis¬ chen Urleben, ohne Thee und Misses, ohne englische Regenschirme und Zeitungen finden.
Mein Gefährte machte eine Ausnahme von dem sonst gewöhn¬ lichen abgeschlossenen Wesen seiner Landsleute. Er war ein heiterer, lebenslustiger Geselle. Ich hätte nicht gerne ohne ihn unser Mahl eingenommen, und doch war ich nicht grausam genug, ihn aus sei¬ nen Träumen zu wecken. Vielleicht hatten sie ihn ins Clarendon Hüt«! zu einem guten Diner, wo man etwas Anderes, als Milch und Knötel bekommt, oder nach Epsom, wo das Zufußgehen kaum dem Namen nach bekannt ist, versetzt. Gewiß war der Fall aber nicht umgekehrt, und in den Marmorhallcn Londons oder auf Melton Mowbray's grünen Fluren hätte er sich sein jetziges Gebirgsleben mit Accompagnement von Milchsuppe und blutigen Sohlen nicht träumen lassen, dessen Anstrengungen und Entbehrungen er übrigens, ich muß es gestehen, mit aller, den britischen Charakter so ehrenvoll bezeichnenden Ausdauer und Gleichmut!) ertrug.
Ich ging also wieder vor das Haus; auffallend war mir die Stille in demselben, denn ich erinnerte mich wohl vor ein Paar Jah¬ ren durch Kindcrgejauchze oder mütterliches Schelten in meiner Mit¬ tagsruhe gestört worden zu sein. Vor dem Hause saß Jakob und rauchte sein Pfeifchen, Marie handthierte in der Küche. Ich blickte hinüber nach den Gletschern und Felswänden, welche wie eine krystallene Zauberburg im Sonnenglanze herüberstrahlten, und dachte mir, wie schwindelnd man oft auf diesen gefährlichen Stegen und Wegen wan¬ deln müsse, wenn verlockt durch Jagd- oder Wanderlust man sich in den Granittempel, wo die Natur ihr Allerheiligstes webt und schafft, hineinwagt. Dort wohnt die flüchtige Gemse, blüht und duftet das heilende, würzige Kraut; aber sie lassen sich freilich nur dort und nicht auf der betretenen Erde finden; dafür wagt aber der, welcher nach der seltenen Beute sucht, auch zuweilen Hals und Kragen, und so ist's ja mit Allem in der Welt; wer das Edle sucht, muß das Beste daran setzen. Spatzen schießt man vom Dache, Kiesel und Quarz liegen am Wege; aber nur hoch in den Lüsten schwebt der Reiher, uno das Gold glüht nur im tiefen Schacht.
<TEI><text><body><div><divn="1"><pbfacs="#f0351"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180064"/><pxml:id="ID_895"prev="#ID_894"> Mohikaner muß sich der Verfolgte, der seinen Gott Marien, das ist die<lb/>
Poesie des Lebens, mit sich im Herzen trägt, fortflüchten über Wäl¬<lb/>
der und Flüsse, Seen und Gebirge, will er noch irgendswo ein Bis¬<lb/>
chen Urleben, ohne Thee und Misses, ohne englische Regenschirme<lb/>
und Zeitungen finden.</p><lb/><pxml:id="ID_896"> Mein Gefährte machte eine Ausnahme von dem sonst gewöhn¬<lb/>
lichen abgeschlossenen Wesen seiner Landsleute. Er war ein heiterer,<lb/>
lebenslustiger Geselle. Ich hätte nicht gerne ohne ihn unser Mahl<lb/>
eingenommen, und doch war ich nicht grausam genug, ihn aus sei¬<lb/>
nen Träumen zu wecken. Vielleicht hatten sie ihn ins Clarendon<lb/>
Hüt«! zu einem guten Diner, wo man etwas Anderes, als Milch und<lb/>
Knötel bekommt, oder nach Epsom, wo das Zufußgehen kaum dem<lb/>
Namen nach bekannt ist, versetzt. Gewiß war der Fall aber nicht<lb/>
umgekehrt, und in den Marmorhallcn Londons oder auf Melton<lb/>
Mowbray's grünen Fluren hätte er sich sein jetziges Gebirgsleben<lb/>
mit Accompagnement von Milchsuppe und blutigen Sohlen nicht<lb/>
träumen lassen, dessen Anstrengungen und Entbehrungen er übrigens,<lb/>
ich muß es gestehen, mit aller, den britischen Charakter so ehrenvoll<lb/>
bezeichnenden Ausdauer und Gleichmut!) ertrug.</p><lb/><pxml:id="ID_897"> Ich ging also wieder vor das Haus; auffallend war mir die<lb/>
Stille in demselben, denn ich erinnerte mich wohl vor ein Paar Jah¬<lb/>
ren durch Kindcrgejauchze oder mütterliches Schelten in meiner Mit¬<lb/>
tagsruhe gestört worden zu sein. Vor dem Hause saß Jakob und<lb/>
rauchte sein Pfeifchen, Marie handthierte in der Küche. Ich blickte<lb/>
hinüber nach den Gletschern und Felswänden, welche wie eine krystallene<lb/>
Zauberburg im Sonnenglanze herüberstrahlten, und dachte mir, wie<lb/>
schwindelnd man oft auf diesen gefährlichen Stegen und Wegen wan¬<lb/>
deln müsse, wenn verlockt durch Jagd- oder Wanderlust man sich in<lb/>
den Granittempel, wo die Natur ihr Allerheiligstes webt und schafft,<lb/>
hineinwagt. Dort wohnt die flüchtige Gemse, blüht und duftet das<lb/>
heilende, würzige Kraut; aber sie lassen sich freilich nur dort und<lb/>
nicht auf der betretenen Erde finden; dafür wagt aber der, welcher<lb/>
nach der seltenen Beute sucht, auch zuweilen Hals und Kragen, und<lb/>
so ist's ja mit Allem in der Welt; wer das Edle sucht, muß das<lb/>
Beste daran setzen. Spatzen schießt man vom Dache, Kiesel und<lb/>
Quarz liegen am Wege; aber nur hoch in den Lüsten schwebt der<lb/>
Reiher, uno das Gold glüht nur im tiefen Schacht.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[0351]
Mohikaner muß sich der Verfolgte, der seinen Gott Marien, das ist die
Poesie des Lebens, mit sich im Herzen trägt, fortflüchten über Wäl¬
der und Flüsse, Seen und Gebirge, will er noch irgendswo ein Bis¬
chen Urleben, ohne Thee und Misses, ohne englische Regenschirme
und Zeitungen finden.
Mein Gefährte machte eine Ausnahme von dem sonst gewöhn¬
lichen abgeschlossenen Wesen seiner Landsleute. Er war ein heiterer,
lebenslustiger Geselle. Ich hätte nicht gerne ohne ihn unser Mahl
eingenommen, und doch war ich nicht grausam genug, ihn aus sei¬
nen Träumen zu wecken. Vielleicht hatten sie ihn ins Clarendon
Hüt«! zu einem guten Diner, wo man etwas Anderes, als Milch und
Knötel bekommt, oder nach Epsom, wo das Zufußgehen kaum dem
Namen nach bekannt ist, versetzt. Gewiß war der Fall aber nicht
umgekehrt, und in den Marmorhallcn Londons oder auf Melton
Mowbray's grünen Fluren hätte er sich sein jetziges Gebirgsleben
mit Accompagnement von Milchsuppe und blutigen Sohlen nicht
träumen lassen, dessen Anstrengungen und Entbehrungen er übrigens,
ich muß es gestehen, mit aller, den britischen Charakter so ehrenvoll
bezeichnenden Ausdauer und Gleichmut!) ertrug.
Ich ging also wieder vor das Haus; auffallend war mir die
Stille in demselben, denn ich erinnerte mich wohl vor ein Paar Jah¬
ren durch Kindcrgejauchze oder mütterliches Schelten in meiner Mit¬
tagsruhe gestört worden zu sein. Vor dem Hause saß Jakob und
rauchte sein Pfeifchen, Marie handthierte in der Küche. Ich blickte
hinüber nach den Gletschern und Felswänden, welche wie eine krystallene
Zauberburg im Sonnenglanze herüberstrahlten, und dachte mir, wie
schwindelnd man oft auf diesen gefährlichen Stegen und Wegen wan¬
deln müsse, wenn verlockt durch Jagd- oder Wanderlust man sich in
den Granittempel, wo die Natur ihr Allerheiligstes webt und schafft,
hineinwagt. Dort wohnt die flüchtige Gemse, blüht und duftet das
heilende, würzige Kraut; aber sie lassen sich freilich nur dort und
nicht auf der betretenen Erde finden; dafür wagt aber der, welcher
nach der seltenen Beute sucht, auch zuweilen Hals und Kragen, und
so ist's ja mit Allem in der Welt; wer das Edle sucht, muß das
Beste daran setzen. Spatzen schießt man vom Dache, Kiesel und
Quarz liegen am Wege; aber nur hoch in den Lüsten schwebt der
Reiher, uno das Gold glüht nur im tiefen Schacht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/351>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.