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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Salut AKarc Girardin über dramatische



Der so eben zum Mitgliede der französischen Academie ernannte
Se. Marc Girardin veröffentlichte vor Kurzem Vorlesungen über
dramatische Literatur (oder über die Benützung der Leidenschaften im
Drama), die mit aller Eleganz und geschmeidigen Feinheit seines
Styls geschrieben sind, der vielleicht dazu beitrug, ihm Ansprüche auf
den eben eingenommenen Sitz in.der Academie zu erwerben; dessel¬
ben Styles, der in dem letzten den Kammern vorgelegten und so hef¬
tig debattirten Adresse-Entwurf vielleicht zum ersten Male gezwungen
war, ein ungeschicktes und brutales Wort aufzunehmen. Wirklich ist
es nur der Styl, die Art und Weise der Darstellung, was in Frank¬
reich so viele Bildung unter das überhaupt lesende Publicum drin¬
gen läßt und die ernstesten Fragen des Staates und der Wissenschaft,
in so fern'sie französische Interessen berühren, klar und anschaulich vor
den Sinn der Nation bringt. Französische Schriftsteller kennen den
lächerlichen deutschen Ehrgeiz nicht, Wenigen verständlich zu sein und
sich gleich den indischen Priestern durch unenträthselbare Worte und
Geberden vor der Menge mit einem täuschenden Nimbus zu umge¬
ben. In Frankreich geschieht, politisch zum Scheine, literarisch aber
in Wahrheit Alles für das Volk, wodurch es möglich sein wird,
eine Zeit des Verständnisses und der allgemeinen Aufklärung herbei
zuführen, in der Alles durch das Volk geschehe.

Das vorliegende Buch, das Nichts enthält, was nicht schon von
deutschen Aesthetikern gründlicher untersucht und umfassender ausge¬
sprochen worden wäre, und das überdem, wie es sich von einem


"r-nzbvtc" I, 39
Salut AKarc Girardin über dramatische



Der so eben zum Mitgliede der französischen Academie ernannte
Se. Marc Girardin veröffentlichte vor Kurzem Vorlesungen über
dramatische Literatur (oder über die Benützung der Leidenschaften im
Drama), die mit aller Eleganz und geschmeidigen Feinheit seines
Styls geschrieben sind, der vielleicht dazu beitrug, ihm Ansprüche auf
den eben eingenommenen Sitz in.der Academie zu erwerben; dessel¬
ben Styles, der in dem letzten den Kammern vorgelegten und so hef¬
tig debattirten Adresse-Entwurf vielleicht zum ersten Male gezwungen
war, ein ungeschicktes und brutales Wort aufzunehmen. Wirklich ist
es nur der Styl, die Art und Weise der Darstellung, was in Frank¬
reich so viele Bildung unter das überhaupt lesende Publicum drin¬
gen läßt und die ernstesten Fragen des Staates und der Wissenschaft,
in so fern'sie französische Interessen berühren, klar und anschaulich vor
den Sinn der Nation bringt. Französische Schriftsteller kennen den
lächerlichen deutschen Ehrgeiz nicht, Wenigen verständlich zu sein und
sich gleich den indischen Priestern durch unenträthselbare Worte und
Geberden vor der Menge mit einem täuschenden Nimbus zu umge¬
ben. In Frankreich geschieht, politisch zum Scheine, literarisch aber
in Wahrheit Alles für das Volk, wodurch es möglich sein wird,
eine Zeit des Verständnisses und der allgemeinen Aufklärung herbei
zuführen, in der Alles durch das Volk geschehe.

Das vorliegende Buch, das Nichts enthält, was nicht schon von
deutschen Aesthetikern gründlicher untersucht und umfassender ausge¬
sprochen worden wäre, und das überdem, wie es sich von einem


«r-nzbvtc» I, 39
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[0297] Salut AKarc Girardin über dramatische Der so eben zum Mitgliede der französischen Academie ernannte Se. Marc Girardin veröffentlichte vor Kurzem Vorlesungen über dramatische Literatur (oder über die Benützung der Leidenschaften im Drama), die mit aller Eleganz und geschmeidigen Feinheit seines Styls geschrieben sind, der vielleicht dazu beitrug, ihm Ansprüche auf den eben eingenommenen Sitz in.der Academie zu erwerben; dessel¬ ben Styles, der in dem letzten den Kammern vorgelegten und so hef¬ tig debattirten Adresse-Entwurf vielleicht zum ersten Male gezwungen war, ein ungeschicktes und brutales Wort aufzunehmen. Wirklich ist es nur der Styl, die Art und Weise der Darstellung, was in Frank¬ reich so viele Bildung unter das überhaupt lesende Publicum drin¬ gen läßt und die ernstesten Fragen des Staates und der Wissenschaft, in so fern'sie französische Interessen berühren, klar und anschaulich vor den Sinn der Nation bringt. Französische Schriftsteller kennen den lächerlichen deutschen Ehrgeiz nicht, Wenigen verständlich zu sein und sich gleich den indischen Priestern durch unenträthselbare Worte und Geberden vor der Menge mit einem täuschenden Nimbus zu umge¬ ben. In Frankreich geschieht, politisch zum Scheine, literarisch aber in Wahrheit Alles für das Volk, wodurch es möglich sein wird, eine Zeit des Verständnisses und der allgemeinen Aufklärung herbei zuführen, in der Alles durch das Volk geschehe. Das vorliegende Buch, das Nichts enthält, was nicht schon von deutschen Aesthetikern gründlicher untersucht und umfassender ausge¬ sprochen worden wäre, und das überdem, wie es sich von einem «r-nzbvtc» I, 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/297>, abgerufen am 22.12.2024.