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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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servativ. Nicht Jeder hat einen Contract wie der Ritter Eckstein lobe?
sam. Vielleicht hat sie gerade dieses Beispiel abgeschreckt, neue Eon-
tractc abzuschließen. Aber was rächt sie sich nun dafür an andern?
Diese papierene Lorelcy setzt sich hin und coquettirt mit ihren Reizen
und lockt junge Männer an, um, nachdem sie solche eine kurze Zeit
abgenützt, in den Abgrund fallen zu lassen. Wohl dem, der die In¬
dustrie so versteht wie Herr Bernstein, der mit jeden, Finger für zwei
Journale correspondirt und, wenn ihn daS eine verläßt, sein Spinnrad
darum doch nicht stocken sieht. Handwerk hat einen goldenen
Boden! Eine schöne Devise in der Literatur! Ein Herr Lippmann aus
Prag, ein Lyriker, der für seine Gedichte keinen Verleger und für seine
Stücke keine Bühne finden konnte, erschoß sich hier vor wenigen Tagen.
Wäre der Mann ein Handwerker gewesen, er lebte wohl noch. Lipp¬
mann kam vor ungefähr vier Jahren hier an. Ein bedeutendes Pri-
vatvermögen setzte ihn in den Stand, anständig seinen Neigungen zu
leben. Er war Jude und ging zur christlichen Religion über. Als
junger Mann von reizbaren Nerven und aufgeregter Phantasie, fiel er
der Propaganda in die Hände; heute Skeptiker und morgen Schwär¬
mer, uneinig mit sich selbst, unaufgemnntert als Poet, mit Bußen be¬
legt vor dem Beichtstuhl, war er im Begriffe, Franciscaner zu werden,
ein verzweiflungsvoller Moment überraschte ihn und er legte Hand an
sich selbst.




III.
Vermischte Nachrichten.

Die "Narrhalla" von L. Kalisch in Mainz, deren blühende
Gesundheit wir noch im vorigen Hefte bewunderten, ist plötzlich vom
Schlage gerührt worden. Auch eine gründliche Narrheit wird in
Deutschland nicht geduldet. Wahrscheinlich hat sich diese lustige Riva¬
lin der Walhalla ihre Unterdrückung durch ein unsinnig sinniges Ge¬
dicht auf einen deutschen Fürsten zugezogen, welches mir O! -- endigt
und dessen Fortsetzung bei günstiger Witterung versprochen wurde. Die
Nase, welche der "Nichts gemerkt habende" Censor bekommen haben
wird, kann sich gewiß mit der berühmten Nase Wahl'S messen. --

Berichtigung. Eine Korrespondenz aus Prag in Ur. 5 der
"Grenzboten" schlägt mit einem Male die Hälfte des ganzen böhmi¬
schen Volkes todt; durch eiuen Druckfehler natürlich, denn weder der
Redacteur dieser Blätter, noch unser Correspondent aus Prag ist solch
ein Feind seines Vaterlandes. Böhmen hat über vier Millionen Ein¬
wohner und nicht zwei Millionen, wie eS dort hieß.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

servativ. Nicht Jeder hat einen Contract wie der Ritter Eckstein lobe?
sam. Vielleicht hat sie gerade dieses Beispiel abgeschreckt, neue Eon-
tractc abzuschließen. Aber was rächt sie sich nun dafür an andern?
Diese papierene Lorelcy setzt sich hin und coquettirt mit ihren Reizen
und lockt junge Männer an, um, nachdem sie solche eine kurze Zeit
abgenützt, in den Abgrund fallen zu lassen. Wohl dem, der die In¬
dustrie so versteht wie Herr Bernstein, der mit jeden, Finger für zwei
Journale correspondirt und, wenn ihn daS eine verläßt, sein Spinnrad
darum doch nicht stocken sieht. Handwerk hat einen goldenen
Boden! Eine schöne Devise in der Literatur! Ein Herr Lippmann aus
Prag, ein Lyriker, der für seine Gedichte keinen Verleger und für seine
Stücke keine Bühne finden konnte, erschoß sich hier vor wenigen Tagen.
Wäre der Mann ein Handwerker gewesen, er lebte wohl noch. Lipp¬
mann kam vor ungefähr vier Jahren hier an. Ein bedeutendes Pri-
vatvermögen setzte ihn in den Stand, anständig seinen Neigungen zu
leben. Er war Jude und ging zur christlichen Religion über. Als
junger Mann von reizbaren Nerven und aufgeregter Phantasie, fiel er
der Propaganda in die Hände; heute Skeptiker und morgen Schwär¬
mer, uneinig mit sich selbst, unaufgemnntert als Poet, mit Bußen be¬
legt vor dem Beichtstuhl, war er im Begriffe, Franciscaner zu werden,
ein verzweiflungsvoller Moment überraschte ihn und er legte Hand an
sich selbst.




III.
Vermischte Nachrichten.

Die „Narrhalla" von L. Kalisch in Mainz, deren blühende
Gesundheit wir noch im vorigen Hefte bewunderten, ist plötzlich vom
Schlage gerührt worden. Auch eine gründliche Narrheit wird in
Deutschland nicht geduldet. Wahrscheinlich hat sich diese lustige Riva¬
lin der Walhalla ihre Unterdrückung durch ein unsinnig sinniges Ge¬
dicht auf einen deutschen Fürsten zugezogen, welches mir O! — endigt
und dessen Fortsetzung bei günstiger Witterung versprochen wurde. Die
Nase, welche der „Nichts gemerkt habende" Censor bekommen haben
wird, kann sich gewiß mit der berühmten Nase Wahl'S messen. —

Berichtigung. Eine Korrespondenz aus Prag in Ur. 5 der
„Grenzboten" schlägt mit einem Male die Hälfte des ganzen böhmi¬
schen Volkes todt; durch eiuen Druckfehler natürlich, denn weder der
Redacteur dieser Blätter, noch unser Correspondent aus Prag ist solch
ein Feind seines Vaterlandes. Böhmen hat über vier Millionen Ein¬
wohner und nicht zwei Millionen, wie eS dort hieß.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/268>, abgerufen am 22.12.2024.