Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.allerältesten hervor. Im Laufe dieser Woche kommt der alte Ccisario II. Aus Paris. Moliöre und die Vendomesäule. -- Deutsches Drama. -- Das Capua der deutschen Schriftsteller. -- Die Allgemeine Zeitung als Loreley. -- Ein Selbstmörder. Paris Hut nun ein Monument mehr, um welches Deutschland es allerältesten hervor. Im Laufe dieser Woche kommt der alte Ccisario II. Aus Paris. Moliöre und die Vendomesäule. — Deutsches Drama. — Das Capua der deutschen Schriftsteller. — Die Allgemeine Zeitung als Loreley. — Ein Selbstmörder. Paris Hut nun ein Monument mehr, um welches Deutschland es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179979"/> <p xml:id="ID_680" prev="#ID_679"> allerältesten hervor. Im Laufe dieser Woche kommt der alte Ccisario<lb/> von Wolf, neu aufgeputzt, in die Scene. Eine der besten Qualitäten<lb/> des Herrn von Holbein ist sein glückliches Gedächtniß; leider spielt ihm<lb/> selbst diese gute Eigenschaft manchen schlechten Possen. Da erinnert<lb/> er sich z. B. daß dieses alte Stück von Wolf vor dreißig Zähren<lb/> sehr gefallen hat, und ganz in jenen glücklichen Zeiten schwelgend, wo<lb/> er noch in Prag Thcaterdirector war, hält er das Jahr 1844 für das<lb/> Jahr 1814 und tractirt uns mit den Früchten, die dem Publicum von<lb/> damals schmeckten. Nun wir wollen sehen, ob er Recht hat und ob<lb/> dreißig Jahre in dem Geschmacke der Nation keine Aenderung hervor¬<lb/> brachten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> II.<lb/> Aus Paris.</head><lb/> <note type="argument"> Moliöre und die Vendomesäule. — Deutsches Drama. — Das Capua der<lb/> deutschen Schriftsteller. — Die Allgemeine Zeitung als Loreley. — Ein<lb/> Selbstmörder.</note><lb/> <p xml:id="ID_681" next="#ID_682"> Paris Hut nun ein Monument mehr, um welches Deutschland es<lb/> beneiden muß: die Statue Moliüre's. Wohl gemerkt, nicht das Stück<lb/> Bronze, daS man in menschlicher Form in der uno KiciMvu aufgestellt<lb/> hat, sondern den Tribut, den eine dankbare Nation einem Dichter schenkt<lb/> und zu schenken Ursache hat, der den socialen Geist der Nation conso-<lb/> lidiren half. Frankreich ist eher um die Statue MoMre'ö zu beneiden<lb/> als um die Vendomesäule. Diese verewigt eine fieberhafte Epoche der<lb/> französischen Geschichte, die vorüberging, wie sie gekommen; jene aber<lb/> repräsentirt den Geist der Nation, wie er sich in einem seiner Haupt-<lb/> dichter verkörperte und befruchtend wieder in die Nation zurückfloß und<lb/> sie weiter bildete, Deutschland hat die Vendomesäule und ihre Sie-<lb/> gcöprahlcrcicn durch Rückeroberungen zu einem leeren Ausrufungszeichen<lb/> gemacht, hinter dem man den Satz, auf welchen es sich bezieht, aus¬<lb/> gestrichen hat; aber die Statue Molidre's kann -ö nicht zum Lügner<lb/> machen: die Eroberungen, welche die französische Gesittung, die franzö¬<lb/> sische Gesellschaft und Geistesrichtung bei uns gemacht, find nicht mehr<lb/> auszulöschen. Nicht, daß der wirkliche MoMre bei uns eine Bedeutung<lb/> »och hätte, gehört er doch selbst in Frankreich mehr der Literaturge-<lb/> schichte als de» Gegenwart an; aber die Richtung, die er angegeben,<lb/> hallt in allen Bühnendichtern der modernen Zeit noch nach und das<lb/> deutsche Lustspiel (?) sucht seinen Altvater in Paris, wie man den Alt¬<lb/> vater unseres Trauerspiels in London suchen muß. Die Bestrebungen<lb/> der jungen dramatischen Dichter in Deutschland verdienen gewiß alles<lb/> mögliche Lob und jede Aufmunterung; daß sie aber eine nationale<lb/> Bühne zu schaffen im Stande sein werden, daran erlauben Sie mir<lb/> zu zweifeln. Das deutsche Theater hat zu viel fremdes Blut in sich,.<lb/> »</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0266]
allerältesten hervor. Im Laufe dieser Woche kommt der alte Ccisario
von Wolf, neu aufgeputzt, in die Scene. Eine der besten Qualitäten
des Herrn von Holbein ist sein glückliches Gedächtniß; leider spielt ihm
selbst diese gute Eigenschaft manchen schlechten Possen. Da erinnert
er sich z. B. daß dieses alte Stück von Wolf vor dreißig Zähren
sehr gefallen hat, und ganz in jenen glücklichen Zeiten schwelgend, wo
er noch in Prag Thcaterdirector war, hält er das Jahr 1844 für das
Jahr 1814 und tractirt uns mit den Früchten, die dem Publicum von
damals schmeckten. Nun wir wollen sehen, ob er Recht hat und ob
dreißig Jahre in dem Geschmacke der Nation keine Aenderung hervor¬
brachten.
II.
Aus Paris.
Moliöre und die Vendomesäule. — Deutsches Drama. — Das Capua der
deutschen Schriftsteller. — Die Allgemeine Zeitung als Loreley. — Ein
Selbstmörder.
Paris Hut nun ein Monument mehr, um welches Deutschland es
beneiden muß: die Statue Moliüre's. Wohl gemerkt, nicht das Stück
Bronze, daS man in menschlicher Form in der uno KiciMvu aufgestellt
hat, sondern den Tribut, den eine dankbare Nation einem Dichter schenkt
und zu schenken Ursache hat, der den socialen Geist der Nation conso-
lidiren half. Frankreich ist eher um die Statue MoMre'ö zu beneiden
als um die Vendomesäule. Diese verewigt eine fieberhafte Epoche der
französischen Geschichte, die vorüberging, wie sie gekommen; jene aber
repräsentirt den Geist der Nation, wie er sich in einem seiner Haupt-
dichter verkörperte und befruchtend wieder in die Nation zurückfloß und
sie weiter bildete, Deutschland hat die Vendomesäule und ihre Sie-
gcöprahlcrcicn durch Rückeroberungen zu einem leeren Ausrufungszeichen
gemacht, hinter dem man den Satz, auf welchen es sich bezieht, aus¬
gestrichen hat; aber die Statue Molidre's kann -ö nicht zum Lügner
machen: die Eroberungen, welche die französische Gesittung, die franzö¬
sische Gesellschaft und Geistesrichtung bei uns gemacht, find nicht mehr
auszulöschen. Nicht, daß der wirkliche MoMre bei uns eine Bedeutung
»och hätte, gehört er doch selbst in Frankreich mehr der Literaturge-
schichte als de» Gegenwart an; aber die Richtung, die er angegeben,
hallt in allen Bühnendichtern der modernen Zeit noch nach und das
deutsche Lustspiel (?) sucht seinen Altvater in Paris, wie man den Alt¬
vater unseres Trauerspiels in London suchen muß. Die Bestrebungen
der jungen dramatischen Dichter in Deutschland verdienen gewiß alles
mögliche Lob und jede Aufmunterung; daß sie aber eine nationale
Bühne zu schaffen im Stande sein werden, daran erlauben Sie mir
zu zweifeln. Das deutsche Theater hat zu viel fremdes Blut in sich,.
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