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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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chenstaates, ein Bild, in dem Ingres das schöne physiognomische Ta¬
lent zeigt, welches wir später an andern Porträts bewundern werden.

1814, als die französischen Truppen den Kirchenstaat geräumt
hatten, trat für Ingres eine Periode großer Entbehrungen und Leiden
ein. Ohne andere Hilfsmittel als sein Talent, kämpfte er mühselig
gegen die Widerwärtigkeiten des Lebens.

Doch gerade in solchen Perioden brachte Ingres seine Haupt¬
werke hervor. Die Noth hat das Gute, daß sie zur Thätigkeit zwingt;
und so wie es manche Naturen gibt, die nur in freiwilliger Thätig¬
keit nach der Verwirklichung des Schönen streben können, so gibt es
andere, die auf dem Wege äußerer Nöthigung dasselbe Ziel erreichen.
Aus dieser Zeit stammen die Gemälde: Raphael und Fornarina, der
Marschall von Berwi-et, Christus übergibt die Schlüssel des Himmels
dem Se. Petrus (für die Kirche l^-init-t ack meinte- in Rom); Fran-
cesca ti Rimini; Don Pedro de Toledo; Papst Pius VII., Messe
lesend; Karl's V. Einzug in Paris nach der Vertreibung des Herzogs
von Burgund; der Tod Leonardo da Vinci's; Heinins IV., mit seinen
Kindern spielend.

Trotz verschiedener Sendungen in den Salon, war JngreS,
schon so berühmt in Rom, 1824 seinem Vaterlande noch fast unbe¬
kannt, als er zur Ausstellung das Gelübde Ludwig's XIII. schickte.
Der Zeitpunkt war ein sehr glücklicher. Die Glanzepoche der Da-
vid'schen Schule war vorüber; man war des Basreliefstyls müde;
die Farbe, so lange von der Zeichnung unterdrückt, strebte wieder
nach der Herrschaft; man schwur nur noch bei Titian und Paul
Veronese, Rembrandt und Rubens; der Mensch fing an in Stoffen
und Waffen zu verschwinden; das Gold, die Seide, das Eisen und
der Sammet vertraten die Stelle der Gedanken und der Begeisterung;
uno man war aus der kalten Nachahmung der Antike in die schim¬
mernde und kleinliche der venetianischen und flamändischen Schule
verfallen, als Ingres mit einem seiner schönsten Werke in den Schran¬
ken erschien. Als Zeichner ebenso correct und streng wie David,
hatte er Italien die Idealität der Konturen, die Reinheit der Formen,
das schöne Leben zu verdanken, welche er aus der beständigen Be¬
trachtung der Meisterwerke der römischen Schule geschöpft hatte.
Das Gelübde Ludwig's XIII. machte ein außerordentliches Aufsehen;
es war ein schlagendes Argument zu Gunsten des Spiritualismus


chenstaates, ein Bild, in dem Ingres das schöne physiognomische Ta¬
lent zeigt, welches wir später an andern Porträts bewundern werden.

1814, als die französischen Truppen den Kirchenstaat geräumt
hatten, trat für Ingres eine Periode großer Entbehrungen und Leiden
ein. Ohne andere Hilfsmittel als sein Talent, kämpfte er mühselig
gegen die Widerwärtigkeiten des Lebens.

Doch gerade in solchen Perioden brachte Ingres seine Haupt¬
werke hervor. Die Noth hat das Gute, daß sie zur Thätigkeit zwingt;
und so wie es manche Naturen gibt, die nur in freiwilliger Thätig¬
keit nach der Verwirklichung des Schönen streben können, so gibt es
andere, die auf dem Wege äußerer Nöthigung dasselbe Ziel erreichen.
Aus dieser Zeit stammen die Gemälde: Raphael und Fornarina, der
Marschall von Berwi-et, Christus übergibt die Schlüssel des Himmels
dem Se. Petrus (für die Kirche l^-init-t ack meinte- in Rom); Fran-
cesca ti Rimini; Don Pedro de Toledo; Papst Pius VII., Messe
lesend; Karl's V. Einzug in Paris nach der Vertreibung des Herzogs
von Burgund; der Tod Leonardo da Vinci's; Heinins IV., mit seinen
Kindern spielend.

Trotz verschiedener Sendungen in den Salon, war JngreS,
schon so berühmt in Rom, 1824 seinem Vaterlande noch fast unbe¬
kannt, als er zur Ausstellung das Gelübde Ludwig's XIII. schickte.
Der Zeitpunkt war ein sehr glücklicher. Die Glanzepoche der Da-
vid'schen Schule war vorüber; man war des Basreliefstyls müde;
die Farbe, so lange von der Zeichnung unterdrückt, strebte wieder
nach der Herrschaft; man schwur nur noch bei Titian und Paul
Veronese, Rembrandt und Rubens; der Mensch fing an in Stoffen
und Waffen zu verschwinden; das Gold, die Seide, das Eisen und
der Sammet vertraten die Stelle der Gedanken und der Begeisterung;
uno man war aus der kalten Nachahmung der Antike in die schim¬
mernde und kleinliche der venetianischen und flamändischen Schule
verfallen, als Ingres mit einem seiner schönsten Werke in den Schran¬
ken erschien. Als Zeichner ebenso correct und streng wie David,
hatte er Italien die Idealität der Konturen, die Reinheit der Formen,
das schöne Leben zu verdanken, welche er aus der beständigen Be¬
trachtung der Meisterwerke der römischen Schule geschöpft hatte.
Das Gelübde Ludwig's XIII. machte ein außerordentliches Aufsehen;
es war ein schlagendes Argument zu Gunsten des Spiritualismus


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[0259] chenstaates, ein Bild, in dem Ingres das schöne physiognomische Ta¬ lent zeigt, welches wir später an andern Porträts bewundern werden. 1814, als die französischen Truppen den Kirchenstaat geräumt hatten, trat für Ingres eine Periode großer Entbehrungen und Leiden ein. Ohne andere Hilfsmittel als sein Talent, kämpfte er mühselig gegen die Widerwärtigkeiten des Lebens. Doch gerade in solchen Perioden brachte Ingres seine Haupt¬ werke hervor. Die Noth hat das Gute, daß sie zur Thätigkeit zwingt; und so wie es manche Naturen gibt, die nur in freiwilliger Thätig¬ keit nach der Verwirklichung des Schönen streben können, so gibt es andere, die auf dem Wege äußerer Nöthigung dasselbe Ziel erreichen. Aus dieser Zeit stammen die Gemälde: Raphael und Fornarina, der Marschall von Berwi-et, Christus übergibt die Schlüssel des Himmels dem Se. Petrus (für die Kirche l^-init-t ack meinte- in Rom); Fran- cesca ti Rimini; Don Pedro de Toledo; Papst Pius VII., Messe lesend; Karl's V. Einzug in Paris nach der Vertreibung des Herzogs von Burgund; der Tod Leonardo da Vinci's; Heinins IV., mit seinen Kindern spielend. Trotz verschiedener Sendungen in den Salon, war JngreS, schon so berühmt in Rom, 1824 seinem Vaterlande noch fast unbe¬ kannt, als er zur Ausstellung das Gelübde Ludwig's XIII. schickte. Der Zeitpunkt war ein sehr glücklicher. Die Glanzepoche der Da- vid'schen Schule war vorüber; man war des Basreliefstyls müde; die Farbe, so lange von der Zeichnung unterdrückt, strebte wieder nach der Herrschaft; man schwur nur noch bei Titian und Paul Veronese, Rembrandt und Rubens; der Mensch fing an in Stoffen und Waffen zu verschwinden; das Gold, die Seide, das Eisen und der Sammet vertraten die Stelle der Gedanken und der Begeisterung; uno man war aus der kalten Nachahmung der Antike in die schim¬ mernde und kleinliche der venetianischen und flamändischen Schule verfallen, als Ingres mit einem seiner schönsten Werke in den Schran¬ ken erschien. Als Zeichner ebenso correct und streng wie David, hatte er Italien die Idealität der Konturen, die Reinheit der Formen, das schöne Leben zu verdanken, welche er aus der beständigen Be¬ trachtung der Meisterwerke der römischen Schule geschöpft hatte. Das Gelübde Ludwig's XIII. machte ein außerordentliches Aufsehen; es war ein schlagendes Argument zu Gunsten des Spiritualismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/259>, abgerufen am 23.12.2024.