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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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die Verhältnisse zerdrückten und zermürbten Ccharakteren, das unterge-
gangne, gebrochne Talent, die hingeopferte gemordete Schönheit ent-
decken. Siehst Du, mein Freund, das ist auch eine und zwar eine
der Hauptseiten von Berlin, DU aber kennst sie nicht, sie ist Dir ein
Geheimniß; Dn schwärmst für Pariser Geheimnisse und weißt Nichts
von denen, die steh in Deiner nächsten Umgebung, dicht bei Dir, in
der Stadt, in der Dn bist und lebst, befinden. Sieh doch nur dort
das alte, schmutzige, häßliche Weib mit den rothen, triefenden Augen,
wie sie von den vorüberrasselnden Carossen bespritzt, so emsig und
eifrig in der Gosse nach einem Stück alten Eisens, einem Knochen
sucht, muß Dir nicht ihr ganzes Leben und Treiben ein Räthsel sein?
Was mag wohl ihr Lebenslauf, ihr Schicksal sein? Hat sie vielleicht
einmal in bessern Verhältnissen gelebt, oder ist sie in Hunger und
Sünde graU geworden, immer Knochensammlerin, Diebeshehlerin,
Kuppelweib gewesen oder vielleicht gar einst eiUe elegante, stolz ein-
hergehende Dame, ein glückliches, heiteres Mädchen, nur letzt ein
Opfer unsrer gesellschaftlichen Zustände? So wie Du sie da siehst,
als diesen letzten Rest eines menschlichen Wesens, ist sie gewiß ei
Geheimniß, DU mußt nnr die Mühe nicht scheuen, es zu enträthseln
Folge aUch ihx einmal nach in die schmutzige, räucherige Kneipe, vo
deren Anblick schon Dein eleganter Sinn sich empört; sich, wie sie s
begierig den dargereichten Branntwein schlürft, den Labetrunk, wi
sie mit einem Male aufthaut, beweglich, fröhlich, gesprächig wird
Nun unterhalte Dich mit ihr und hast Du genug von ihr erfahren
so benutze die Gelegenheit, Dix die übrigen Gäste anzusehn ; vielleich
sind es Diebe und Vagabunden, jedenfalls Bettler und arme Ar
beiter, laß Dich von ihrer rohen Lustigkeit oder ihren finstern Blicke
nicht zurückschrecken, mische Dich nnter sie, setze Dich zu ihnen, mach
sie zutraulich und wenn Dn nach einigen Stunden nach HaUse kehr
werden die erlebten Scenen Deinen Berliner Geheimnißschatz wied
um ein Bedeutendes vermehrt haben. - Dn amüsirst Dich mit d
feinen, nobel herausgeputzten Lohndirne, Du wirfst ihr Geld hin,
muß Dich mit ihrem Wi^
ez, mit ihren frechen, schamlosen Reden
arten ergötzen. Ist sie nicht ein Geheimniß, eines von jenen Schre
lichen Geheimnissen, wie sie Dich in allen Straßen von Berlin
allen möglichen Gestalten umschwärmen? Suche Dir nur ihr He
zu gewinnen, laß Dir in vertraulicher Stunde ihre Geschichte e


die Verhältnisse zerdrückten und zermürbten Ccharakteren, das unterge-
gangne, gebrochne Talent, die hingeopferte gemordete Schönheit ent-
decken. Siehst Du, mein Freund, das ist auch eine und zwar eine
der Hauptseiten von Berlin, DU aber kennst sie nicht, sie ist Dir ein
Geheimniß; Dn schwärmst für Pariser Geheimnisse und weißt Nichts
von denen, die steh in Deiner nächsten Umgebung, dicht bei Dir, in
der Stadt, in der Dn bist und lebst, befinden. Sieh doch nur dort
das alte, schmutzige, häßliche Weib mit den rothen, triefenden Augen,
wie sie von den vorüberrasselnden Carossen bespritzt, so emsig und
eifrig in der Gosse nach einem Stück alten Eisens, einem Knochen
sucht, muß Dir nicht ihr ganzes Leben und Treiben ein Räthsel sein?
Was mag wohl ihr Lebenslauf, ihr Schicksal sein? Hat sie vielleicht
einmal in bessern Verhältnissen gelebt, oder ist sie in Hunger und
Sünde graU geworden, immer Knochensammlerin, Diebeshehlerin,
Kuppelweib gewesen oder vielleicht gar einst eiUe elegante, stolz ein-
hergehende Dame, ein glückliches, heiteres Mädchen, nur letzt ein
Opfer unsrer gesellschaftlichen Zustände? So wie Du sie da siehst,
als diesen letzten Rest eines menschlichen Wesens, ist sie gewiß ei
Geheimniß, DU mußt nnr die Mühe nicht scheuen, es zu enträthseln
Folge aUch ihx einmal nach in die schmutzige, räucherige Kneipe, vo
deren Anblick schon Dein eleganter Sinn sich empört; sich, wie sie s
begierig den dargereichten Branntwein schlürft, den Labetrunk, wi
sie mit einem Male aufthaut, beweglich, fröhlich, gesprächig wird
Nun unterhalte Dich mit ihr und hast Du genug von ihr erfahren
so benutze die Gelegenheit, Dix die übrigen Gäste anzusehn ; vielleich
sind es Diebe und Vagabunden, jedenfalls Bettler und arme Ar
beiter, laß Dich von ihrer rohen Lustigkeit oder ihren finstern Blicke
nicht zurückschrecken, mische Dich nnter sie, setze Dich zu ihnen, mach
sie zutraulich und wenn Dn nach einigen Stunden nach HaUse kehr
werden die erlebten Scenen Deinen Berliner Geheimnißschatz wied
um ein Bedeutendes vermehrt haben. - Dn amüsirst Dich mit d
feinen, nobel herausgeputzten Lohndirne, Du wirfst ihr Geld hin,
muß Dich mit ihrem Wi^
ez, mit ihren frechen, schamlosen Reden
arten ergötzen. Ist sie nicht ein Geheimniß, eines von jenen Schre
lichen Geheimnissen, wie sie Dich in allen Straßen von Berlin
allen möglichen Gestalten umschwärmen? Suche Dir nur ihr He
zu gewinnen, laß Dir in vertraulicher Stunde ihre Geschichte e


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/23>, abgerufen am 23.12.2024.