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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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und gebrechlichen Bettler Dir langsam und ängstlich folgen, er stört
und dauert Dich zugleich, Du legst, schnell vorübereilend, eine Gabe in
seine zitternde Hand; aber sich Dir doch nur sein Gesicht an, die
erlöschende Kraft feines einst wilden, gluthvoller, stolzen Auges, diese
von Lastern und Leidenschaften, von Hunger, Jammer und Wuth ver-
zerrten und zerwühlten Züge, der Mann ist wahrhaftig interessant,
werth, Deine Neugier zu erregen, vielleicht gar aus Paris. Gehe
ihm nur nach, weit und immer weiter bis in seine Wohnung, in
jene entfernten Stadttheile, von deren Eristenz Du kaum gehört, in
jene engen, schmutzigen, sast lust- und lichtlosen Straßen, wo die Ge-
heimnisse von Berlin ihren Sitz ausgeschlagen haben. Was wirst
Du hier erblicken? Neue Dinge, die Du in allen Deinen Träumen
von der Poesie der Armuth nie geahnt, eine Dir neue Welt voll
schrecklicher Mysterien, von denen Du in Deinem, nur dem Vergnügen
und der Annehmlichkeit gewidmeten Leben nie etwas gehört und ge-
sehen hast. Hast Du Dir je denken können, wenn Du Dich Abends
mit wohlgefüllten Magen in Dein wärmendes, weiches Bett legtest,
daß mit Dir hier Tausende ihre nur halb mit dünnen Lumpen um-
hüllten, frierenden, von Arbeit und Hunger ermatteten Glieder auf
den kalten, harten Fußboden ihres mit allerhand ungesunden Dünsten
erfüllten, armseligen Zimmers strecken müssen? Gehe nur dem Bettler
nach und Du wirst Dich davon überzeugen, Du wirst nicht in ein
Geheimniß, sondern in eine Welt von Geheimnissen eintreten, in eine
ganze Kette des nicht poetisch und romantisch zugestutztem, sondern des
wirklichen, haarsträubenden, grausenerregendem Elends ; wirst hier den
Menschen sehn in seinem fürchterlichen Kampfe mit dem nothdürf-
tigsten, in seinem schon halb ohnmächtigen Bemühen, ,ur athmen, ge-
schweige denken und Bewußtsein haben, Mensch sein zu können ; Alles
dessen beraubt, was das Leben nicht etwa angenehm, nein was es
nur erträglich macht; mit all seinem Thun nur in den Schmutz, in
die Gemeinheit, die Niedrigkeit, das Laster verwiesen, durch die Ver--
läugnung alles menschlichen Wesens allein sich noch erhaltend. Sieh^
Dir sie aber nicht blos an, diese bleichen Hungergestalten mit den
hohlen Augen und dem stumpfen Blick; das Elend, und wäre es
noch so gesunken, ist weich und mittheilsam, suche tiefer einzudringen
und Du wirst auch des Großartigen und Tragischen genug finden,
wirst hinfallende Ruinen von einst starken, mächtigen, nun aber durch


und gebrechlichen Bettler Dir langsam und ängstlich folgen, er stört
und dauert Dich zugleich, Du legst, schnell vorübereilend, eine Gabe in
seine zitternde Hand; aber sich Dir doch nur sein Gesicht an, die
erlöschende Kraft feines einst wilden, gluthvoller, stolzen Auges, diese
von Lastern und Leidenschaften, von Hunger, Jammer und Wuth ver-
zerrten und zerwühlten Züge, der Mann ist wahrhaftig interessant,
werth, Deine Neugier zu erregen, vielleicht gar aus Paris. Gehe
ihm nur nach, weit und immer weiter bis in seine Wohnung, in
jene entfernten Stadttheile, von deren Eristenz Du kaum gehört, in
jene engen, schmutzigen, sast lust- und lichtlosen Straßen, wo die Ge-
heimnisse von Berlin ihren Sitz ausgeschlagen haben. Was wirst
Du hier erblicken? Neue Dinge, die Du in allen Deinen Träumen
von der Poesie der Armuth nie geahnt, eine Dir neue Welt voll
schrecklicher Mysterien, von denen Du in Deinem, nur dem Vergnügen
und der Annehmlichkeit gewidmeten Leben nie etwas gehört und ge-
sehen hast. Hast Du Dir je denken können, wenn Du Dich Abends
mit wohlgefüllten Magen in Dein wärmendes, weiches Bett legtest,
daß mit Dir hier Tausende ihre nur halb mit dünnen Lumpen um-
hüllten, frierenden, von Arbeit und Hunger ermatteten Glieder auf
den kalten, harten Fußboden ihres mit allerhand ungesunden Dünsten
erfüllten, armseligen Zimmers strecken müssen? Gehe nur dem Bettler
nach und Du wirst Dich davon überzeugen, Du wirst nicht in ein
Geheimniß, sondern in eine Welt von Geheimnissen eintreten, in eine
ganze Kette des nicht poetisch und romantisch zugestutztem, sondern des
wirklichen, haarsträubenden, grausenerregendem Elends ; wirst hier den
Menschen sehn in seinem fürchterlichen Kampfe mit dem nothdürf-
tigsten, in seinem schon halb ohnmächtigen Bemühen, ,ur athmen, ge-
schweige denken und Bewußtsein haben, Mensch sein zu können ; Alles
dessen beraubt, was das Leben nicht etwa angenehm, nein was es
nur erträglich macht; mit all seinem Thun nur in den Schmutz, in
die Gemeinheit, die Niedrigkeit, das Laster verwiesen, durch die Ver--
läugnung alles menschlichen Wesens allein sich noch erhaltend. Sieh^
Dir sie aber nicht blos an, diese bleichen Hungergestalten mit den
hohlen Augen und dem stumpfen Blick; das Elend, und wäre es
noch so gesunken, ist weich und mittheilsam, suche tiefer einzudringen
und Du wirst auch des Großartigen und Tragischen genug finden,
wirst hinfallende Ruinen von einst starken, mächtigen, nun aber durch


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[0022] und gebrechlichen Bettler Dir langsam und ängstlich folgen, er stört und dauert Dich zugleich, Du legst, schnell vorübereilend, eine Gabe in seine zitternde Hand; aber sich Dir doch nur sein Gesicht an, die erlöschende Kraft feines einst wilden, gluthvoller, stolzen Auges, diese von Lastern und Leidenschaften, von Hunger, Jammer und Wuth ver- zerrten und zerwühlten Züge, der Mann ist wahrhaftig interessant, werth, Deine Neugier zu erregen, vielleicht gar aus Paris. Gehe ihm nur nach, weit und immer weiter bis in seine Wohnung, in jene entfernten Stadttheile, von deren Eristenz Du kaum gehört, in jene engen, schmutzigen, sast lust- und lichtlosen Straßen, wo die Ge- heimnisse von Berlin ihren Sitz ausgeschlagen haben. Was wirst Du hier erblicken? Neue Dinge, die Du in allen Deinen Träumen von der Poesie der Armuth nie geahnt, eine Dir neue Welt voll schrecklicher Mysterien, von denen Du in Deinem, nur dem Vergnügen und der Annehmlichkeit gewidmeten Leben nie etwas gehört und ge- sehen hast. Hast Du Dir je denken können, wenn Du Dich Abends mit wohlgefüllten Magen in Dein wärmendes, weiches Bett legtest, daß mit Dir hier Tausende ihre nur halb mit dünnen Lumpen um- hüllten, frierenden, von Arbeit und Hunger ermatteten Glieder auf den kalten, harten Fußboden ihres mit allerhand ungesunden Dünsten erfüllten, armseligen Zimmers strecken müssen? Gehe nur dem Bettler nach und Du wirst Dich davon überzeugen, Du wirst nicht in ein Geheimniß, sondern in eine Welt von Geheimnissen eintreten, in eine ganze Kette des nicht poetisch und romantisch zugestutztem, sondern des wirklichen, haarsträubenden, grausenerregendem Elends ; wirst hier den Menschen sehn in seinem fürchterlichen Kampfe mit dem nothdürf- tigsten, in seinem schon halb ohnmächtigen Bemühen, ,ur athmen, ge- schweige denken und Bewußtsein haben, Mensch sein zu können ; Alles dessen beraubt, was das Leben nicht etwa angenehm, nein was es nur erträglich macht; mit all seinem Thun nur in den Schmutz, in die Gemeinheit, die Niedrigkeit, das Laster verwiesen, durch die Ver-- läugnung alles menschlichen Wesens allein sich noch erhaltend. Sieh^ Dir sie aber nicht blos an, diese bleichen Hungergestalten mit den hohlen Augen und dem stumpfen Blick; das Elend, und wäre es noch so gesunken, ist weich und mittheilsam, suche tiefer einzudringen und Du wirst auch des Großartigen und Tragischen genug finden, wirst hinfallende Ruinen von einst starken, mächtigen, nun aber durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/22>, abgerufen am 23.12.2024.