Selbst Benjamin Konstant, der bei allen diesen Dingen so nahe be¬ theiligt war, hatte im letzten Sommer gegen Frau von Varnhagen das offene Bekenntniß abgelegt, er werde für die gesetzliche Freiheit kämpfen bis zum letzten Hauche, ob er und seine Freunde aber siegen würden, das sei mehr als zweifelhaft, der König wolle ihre Köpfe und vielleicht werde er sie bekommen. Diese Aeußerung machte auf Gans nicht geringen Eindruck; er schien auch Köpfe zu wollen. --
Hiemit im Gegensatz, nach einer kurzen nachdenklichen Pause, die der Ernst der Sache in uns Allen bewirkte, sagte Frau von Varnhagen mit der ausgemachten Gewißheit, die keiner höheren Be¬ tonung bedarf: Ich werd' es nicht erleben, aber, gebt Acht, die Bourbons bleiben nicht! -- Das mein' ich ebenfalls, rief Gans, und die Geschichte hat den Gang der Dinge schon ganz vorgezeichnet, es wird in Frankreich gehen, wie vordem in England; man wird den faul>en Theil der Dynastie wegwerfen und den gesunden bewah¬ ren, Orleans wird auf den Thron kommen. -- Aber Frau v. Varn- Hagen schüttelte den Kopf und sagte: Das wird wenig helfen. Auch der Theil, den Sie den gefunden nennen, ist den Franzosen schon ein angefaulter. Auch Orleans kann nicht bleiben. Allen Franzosen -- lehrt sie mich nicht kennen! -- liegt die Republik in den Glie¬ dern, und Republik werden sie werden. Ob ihnen zum Heil oder Unheil, das ist hier gleich; ich halte auch die Konstitutionen, nach denen Alles verlangt und strebt, in ihrem Erfolge für gar nicht so gewiß: sie können vielleicht das größte Unheil sein, aber das hindert nicht, daß wir hinein und hindurch müssen, es ist kein ande¬ rer Weg in die Zukunft. Wie für uns Constitution, ist für die Franzosen, die ja immer voraus sind -- mein Vorvolk, wie ich sie "nun, -- Republik unvermeidlich. Der frühere Versuch war zu kurz, um durch sein Mißlingen etwas zu entscheide-,, aber stark ge¬ nug, um zu immer neuen Versuchen anzureizen, bis einer gelingt. Und es kann gelingen ; denn je mehr ich mir die Franzosen ansehe, desto mehr drängt sich mir die Ueberzeugung auf, daß sie vor allen anderen Nationen zur Republik geeignet sind, in jedem von ihnen steckt etwas von Selbstherrlichkeit, jeder unterwirft sich am liebsten el^ nem Abstractum, und wo das Ansetzn der Person nicht mehr gilt, ist man der Republik ganz nahe.-- Indem sie dies sagte, mußt' ich über den Ausdruck erstaunen, den ihr Gesicht angenommen hatte;
Selbst Benjamin Konstant, der bei allen diesen Dingen so nahe be¬ theiligt war, hatte im letzten Sommer gegen Frau von Varnhagen das offene Bekenntniß abgelegt, er werde für die gesetzliche Freiheit kämpfen bis zum letzten Hauche, ob er und seine Freunde aber siegen würden, das sei mehr als zweifelhaft, der König wolle ihre Köpfe und vielleicht werde er sie bekommen. Diese Aeußerung machte auf Gans nicht geringen Eindruck; er schien auch Köpfe zu wollen. —
Hiemit im Gegensatz, nach einer kurzen nachdenklichen Pause, die der Ernst der Sache in uns Allen bewirkte, sagte Frau von Varnhagen mit der ausgemachten Gewißheit, die keiner höheren Be¬ tonung bedarf: Ich werd' es nicht erleben, aber, gebt Acht, die Bourbons bleiben nicht! — Das mein' ich ebenfalls, rief Gans, und die Geschichte hat den Gang der Dinge schon ganz vorgezeichnet, es wird in Frankreich gehen, wie vordem in England; man wird den faul>en Theil der Dynastie wegwerfen und den gesunden bewah¬ ren, Orleans wird auf den Thron kommen. — Aber Frau v. Varn- Hagen schüttelte den Kopf und sagte: Das wird wenig helfen. Auch der Theil, den Sie den gefunden nennen, ist den Franzosen schon ein angefaulter. Auch Orleans kann nicht bleiben. Allen Franzosen — lehrt sie mich nicht kennen! — liegt die Republik in den Glie¬ dern, und Republik werden sie werden. Ob ihnen zum Heil oder Unheil, das ist hier gleich; ich halte auch die Konstitutionen, nach denen Alles verlangt und strebt, in ihrem Erfolge für gar nicht so gewiß: sie können vielleicht das größte Unheil sein, aber das hindert nicht, daß wir hinein und hindurch müssen, es ist kein ande¬ rer Weg in die Zukunft. Wie für uns Constitution, ist für die Franzosen, die ja immer voraus sind — mein Vorvolk, wie ich sie „nun, — Republik unvermeidlich. Der frühere Versuch war zu kurz, um durch sein Mißlingen etwas zu entscheide-,, aber stark ge¬ nug, um zu immer neuen Versuchen anzureizen, bis einer gelingt. Und es kann gelingen ; denn je mehr ich mir die Franzosen ansehe, desto mehr drängt sich mir die Ueberzeugung auf, daß sie vor allen anderen Nationen zur Republik geeignet sind, in jedem von ihnen steckt etwas von Selbstherrlichkeit, jeder unterwirft sich am liebsten el^ nem Abstractum, und wo das Ansetzn der Person nicht mehr gilt, ist man der Republik ganz nahe.— Indem sie dies sagte, mußt' ich über den Ausdruck erstaunen, den ihr Gesicht angenommen hatte;
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Selbst Benjamin Konstant, der bei allen diesen Dingen so nahe be¬
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das offene Bekenntniß abgelegt, er werde für die gesetzliche Freiheit
kämpfen bis zum letzten Hauche, ob er und seine Freunde aber siegen
würden, das sei mehr als zweifelhaft, der König wolle ihre Köpfe und
vielleicht werde er sie bekommen. Diese Aeußerung machte auf Gans
nicht geringen Eindruck; er schien auch Köpfe zu wollen. —
Hiemit im Gegensatz, nach einer kurzen nachdenklichen Pause,
die der Ernst der Sache in uns Allen bewirkte, sagte Frau von
Varnhagen mit der ausgemachten Gewißheit, die keiner höheren Be¬
tonung bedarf: Ich werd' es nicht erleben, aber, gebt Acht, die
Bourbons bleiben nicht! — Das mein' ich ebenfalls, rief Gans, und
die Geschichte hat den Gang der Dinge schon ganz vorgezeichnet, es
wird in Frankreich gehen, wie vordem in England; man wird den
faul>en Theil der Dynastie wegwerfen und den gesunden bewah¬
ren, Orleans wird auf den Thron kommen. — Aber Frau v. Varn-
Hagen schüttelte den Kopf und sagte: Das wird wenig helfen. Auch
der Theil, den Sie den gefunden nennen, ist den Franzosen schon
ein angefaulter. Auch Orleans kann nicht bleiben. Allen Franzosen
— lehrt sie mich nicht kennen! — liegt die Republik in den Glie¬
dern, und Republik werden sie werden. Ob ihnen zum Heil oder
Unheil, das ist hier gleich; ich halte auch die Konstitutionen, nach
denen Alles verlangt und strebt, in ihrem Erfolge für gar nicht so
gewiß: sie können vielleicht das größte Unheil sein, aber das hindert
nicht, daß wir hinein und hindurch müssen, es ist kein ande¬
rer Weg in die Zukunft. Wie für uns Constitution, ist für die
Franzosen, die ja immer voraus sind — mein Vorvolk, wie ich sie
„nun, — Republik unvermeidlich. Der frühere Versuch war zu
kurz, um durch sein Mißlingen etwas zu entscheide-,, aber stark ge¬
nug, um zu immer neuen Versuchen anzureizen, bis einer gelingt.
Und es kann gelingen ; denn je mehr ich mir die Franzosen ansehe,
desto mehr drängt sich mir die Ueberzeugung auf, daß sie vor allen
anderen Nationen zur Republik geeignet sind, in jedem von ihnen
steckt etwas von Selbstherrlichkeit, jeder unterwirft sich am liebsten el^
nem Abstractum, und wo das Ansetzn der Person nicht mehr gilt,
ist man der Republik ganz nahe.— Indem sie dies sagte, mußt' ich
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/216>, abgerufen am 23.12.2024.
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