Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Uebergewicht der privilegirten Classen und der Beamten zu entziehen,
muß eine freisinnige und wohldurchdachte Gemeinde-Ordnung ihn
in den Stand setzen, seine Rechte kräftig vertheidigen zu können.
Durch ein freies Gemeindewesen mit selbständigen Wahlen wird
sich die Negierung dankbare und kräftige Bürger unter all den Völ¬
kerschaften erziehen, die unter ihrer Herrschaft leben. Aus dieser
höhern Stellung des öffentlichen Rechts und der individuellen geisti¬
gen Freiheit erwachsen der kaiserlichen Negierung, die wegen ihres
Wohlwollens und ihrer Milde große Anerkennung in Deutschland
findet, nicht zu verkennende und unschätzbare Vortheile. Sie erhält
gegen das Ausland, besonders aber gegen Rußland, das Oestreich im
Süden zu umgehen droht, eine verstärkte Stellung und gewinnt end¬
lich die Sympathie von ganz Deutschland, wodurch -- abgesehen
von allen historischen Verhältnissen -- ihre Macht in jeder Bezie¬
hung mehr gehoben und gekräftigt werden muß. Zwar ist gegen
dieses dem Katserstaat wohl zusagende System von Publicisten, welche
die Natur des Menschen und das Wesen der StaatSverhälmisse nur
oberflächlich kennen, der Einwand erhoben worden, daß es für Oe¬
sterreich zu spät sei, indem die anomalen National-Zustände dort
eine zu große Ausbildung erlangt hätten. Dieser trostlosen Meinung
können wir aber in keiner Art beitreten. In jedem Staate gibt es
Momente, wo die Elemente in ihren Widersprüchen deutlicher her¬
vortreten; wohl demjenigen, der die Heilung des Uebels so nahe bei
der Hand hat, als Oesterreich. Wollte man die Zukunft der glän¬
zenden Staaten der Gegenwart, die Zukunft Englands von solchen
Gesichtspunkten aus in Frage stellen, wie man es bei der Zukunft
Oesterreichs gethan, welche Prophezeiungen wären da zu machen.
Oesterreich hat in seinem Länderverbande kein Irland, es hat keine
Kirchenconflicte unglücksschwanger über dem Haupte, eS hat bei allen
Anlehen keine englische Staatsschuld im Hintergrunde, es hat, trotz
der traurigen Noth des Erzgebirges, keinen Pauperismus britischer
Natur, es hat keine Chartisten-Banden in seiner Mitte, die Anhäng¬
lichkeit an das regierende Haus hängt in keiner seiner Provinzen
blos von den Reden eines einzigen Mannes, wie OConnell, ab,
alle Fäden der Gesetzgebung liegen fest in der Hand der Staats¬
gewalt, und es hat bei einer Reorganisation nicht die hartnäckige,
gefährliche Allmacht egoistischer Tones zu fürchten; ein reicher, kaum


Uebergewicht der privilegirten Classen und der Beamten zu entziehen,
muß eine freisinnige und wohldurchdachte Gemeinde-Ordnung ihn
in den Stand setzen, seine Rechte kräftig vertheidigen zu können.
Durch ein freies Gemeindewesen mit selbständigen Wahlen wird
sich die Negierung dankbare und kräftige Bürger unter all den Völ¬
kerschaften erziehen, die unter ihrer Herrschaft leben. Aus dieser
höhern Stellung des öffentlichen Rechts und der individuellen geisti¬
gen Freiheit erwachsen der kaiserlichen Negierung, die wegen ihres
Wohlwollens und ihrer Milde große Anerkennung in Deutschland
findet, nicht zu verkennende und unschätzbare Vortheile. Sie erhält
gegen das Ausland, besonders aber gegen Rußland, das Oestreich im
Süden zu umgehen droht, eine verstärkte Stellung und gewinnt end¬
lich die Sympathie von ganz Deutschland, wodurch — abgesehen
von allen historischen Verhältnissen — ihre Macht in jeder Bezie¬
hung mehr gehoben und gekräftigt werden muß. Zwar ist gegen
dieses dem Katserstaat wohl zusagende System von Publicisten, welche
die Natur des Menschen und das Wesen der StaatSverhälmisse nur
oberflächlich kennen, der Einwand erhoben worden, daß es für Oe¬
sterreich zu spät sei, indem die anomalen National-Zustände dort
eine zu große Ausbildung erlangt hätten. Dieser trostlosen Meinung
können wir aber in keiner Art beitreten. In jedem Staate gibt es
Momente, wo die Elemente in ihren Widersprüchen deutlicher her¬
vortreten; wohl demjenigen, der die Heilung des Uebels so nahe bei
der Hand hat, als Oesterreich. Wollte man die Zukunft der glän¬
zenden Staaten der Gegenwart, die Zukunft Englands von solchen
Gesichtspunkten aus in Frage stellen, wie man es bei der Zukunft
Oesterreichs gethan, welche Prophezeiungen wären da zu machen.
Oesterreich hat in seinem Länderverbande kein Irland, es hat keine
Kirchenconflicte unglücksschwanger über dem Haupte, eS hat bei allen
Anlehen keine englische Staatsschuld im Hintergrunde, es hat, trotz
der traurigen Noth des Erzgebirges, keinen Pauperismus britischer
Natur, es hat keine Chartisten-Banden in seiner Mitte, die Anhäng¬
lichkeit an das regierende Haus hängt in keiner seiner Provinzen
blos von den Reden eines einzigen Mannes, wie OConnell, ab,
alle Fäden der Gesetzgebung liegen fest in der Hand der Staats¬
gewalt, und es hat bei einer Reorganisation nicht die hartnäckige,
gefährliche Allmacht egoistischer Tones zu fürchten; ein reicher, kaum


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179725"/>
          <p xml:id="ID_13" prev="#ID_12" next="#ID_14"> Uebergewicht der privilegirten Classen und der Beamten zu entziehen,<lb/>
muß eine freisinnige und wohldurchdachte Gemeinde-Ordnung ihn<lb/>
in den Stand setzen, seine Rechte kräftig vertheidigen zu können.<lb/>
Durch ein freies Gemeindewesen mit selbständigen Wahlen wird<lb/>
sich die Negierung dankbare und kräftige Bürger unter all den Völ¬<lb/>
kerschaften erziehen, die unter ihrer Herrschaft leben. Aus dieser<lb/>
höhern Stellung des öffentlichen Rechts und der individuellen geisti¬<lb/>
gen Freiheit erwachsen der kaiserlichen Negierung, die wegen ihres<lb/>
Wohlwollens und ihrer Milde große Anerkennung in Deutschland<lb/>
findet, nicht zu verkennende und unschätzbare Vortheile. Sie erhält<lb/>
gegen das Ausland, besonders aber gegen Rußland, das Oestreich im<lb/>
Süden zu umgehen droht, eine verstärkte Stellung und gewinnt end¬<lb/>
lich die Sympathie von ganz Deutschland, wodurch &#x2014; abgesehen<lb/>
von allen historischen Verhältnissen &#x2014; ihre Macht in jeder Bezie¬<lb/>
hung mehr gehoben und gekräftigt werden muß. Zwar ist gegen<lb/>
dieses dem Katserstaat wohl zusagende System von Publicisten, welche<lb/>
die Natur des Menschen und das Wesen der StaatSverhälmisse nur<lb/>
oberflächlich kennen, der Einwand erhoben worden, daß es für Oe¬<lb/>
sterreich zu spät sei, indem die anomalen National-Zustände dort<lb/>
eine zu große Ausbildung erlangt hätten. Dieser trostlosen Meinung<lb/>
können wir aber in keiner Art beitreten. In jedem Staate gibt es<lb/>
Momente, wo die Elemente in ihren Widersprüchen deutlicher her¬<lb/>
vortreten; wohl demjenigen, der die Heilung des Uebels so nahe bei<lb/>
der Hand hat, als Oesterreich. Wollte man die Zukunft der glän¬<lb/>
zenden Staaten der Gegenwart, die Zukunft Englands von solchen<lb/>
Gesichtspunkten aus in Frage stellen, wie man es bei der Zukunft<lb/>
Oesterreichs gethan, welche Prophezeiungen wären da zu machen.<lb/>
Oesterreich hat in seinem Länderverbande kein Irland, es hat keine<lb/>
Kirchenconflicte unglücksschwanger über dem Haupte, eS hat bei allen<lb/>
Anlehen keine englische Staatsschuld im Hintergrunde, es hat, trotz<lb/>
der traurigen Noth des Erzgebirges, keinen Pauperismus britischer<lb/>
Natur, es hat keine Chartisten-Banden in seiner Mitte, die Anhäng¬<lb/>
lichkeit an das regierende Haus hängt in keiner seiner Provinzen<lb/>
blos von den Reden eines einzigen Mannes, wie OConnell, ab,<lb/>
alle Fäden der Gesetzgebung liegen fest in der Hand der Staats¬<lb/>
gewalt, und es hat bei einer Reorganisation nicht die hartnäckige,<lb/>
gefährliche Allmacht egoistischer Tones zu fürchten; ein reicher, kaum</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] Uebergewicht der privilegirten Classen und der Beamten zu entziehen, muß eine freisinnige und wohldurchdachte Gemeinde-Ordnung ihn in den Stand setzen, seine Rechte kräftig vertheidigen zu können. Durch ein freies Gemeindewesen mit selbständigen Wahlen wird sich die Negierung dankbare und kräftige Bürger unter all den Völ¬ kerschaften erziehen, die unter ihrer Herrschaft leben. Aus dieser höhern Stellung des öffentlichen Rechts und der individuellen geisti¬ gen Freiheit erwachsen der kaiserlichen Negierung, die wegen ihres Wohlwollens und ihrer Milde große Anerkennung in Deutschland findet, nicht zu verkennende und unschätzbare Vortheile. Sie erhält gegen das Ausland, besonders aber gegen Rußland, das Oestreich im Süden zu umgehen droht, eine verstärkte Stellung und gewinnt end¬ lich die Sympathie von ganz Deutschland, wodurch — abgesehen von allen historischen Verhältnissen — ihre Macht in jeder Bezie¬ hung mehr gehoben und gekräftigt werden muß. Zwar ist gegen dieses dem Katserstaat wohl zusagende System von Publicisten, welche die Natur des Menschen und das Wesen der StaatSverhälmisse nur oberflächlich kennen, der Einwand erhoben worden, daß es für Oe¬ sterreich zu spät sei, indem die anomalen National-Zustände dort eine zu große Ausbildung erlangt hätten. Dieser trostlosen Meinung können wir aber in keiner Art beitreten. In jedem Staate gibt es Momente, wo die Elemente in ihren Widersprüchen deutlicher her¬ vortreten; wohl demjenigen, der die Heilung des Uebels so nahe bei der Hand hat, als Oesterreich. Wollte man die Zukunft der glän¬ zenden Staaten der Gegenwart, die Zukunft Englands von solchen Gesichtspunkten aus in Frage stellen, wie man es bei der Zukunft Oesterreichs gethan, welche Prophezeiungen wären da zu machen. Oesterreich hat in seinem Länderverbande kein Irland, es hat keine Kirchenconflicte unglücksschwanger über dem Haupte, eS hat bei allen Anlehen keine englische Staatsschuld im Hintergrunde, es hat, trotz der traurigen Noth des Erzgebirges, keinen Pauperismus britischer Natur, es hat keine Chartisten-Banden in seiner Mitte, die Anhäng¬ lichkeit an das regierende Haus hängt in keiner seiner Provinzen blos von den Reden eines einzigen Mannes, wie OConnell, ab, alle Fäden der Gesetzgebung liegen fest in der Hand der Staats¬ gewalt, und es hat bei einer Reorganisation nicht die hartnäckige, gefährliche Allmacht egoistischer Tones zu fürchten; ein reicher, kaum

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/12>, abgerufen am 23.12.2024.