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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Sprache Mrbaupt,., wie Winkelmann für das > Verständniß der plasti¬
schen Schönheit. Mit dem Herameter, dessen Versfuß Gleichgewicht und
Bewegung vereinigt, schwang man sich über den leichten und noch gleich¬
gültigen Gang des Jambus Hinaus, ein edleres, gehalteneres Pathos
wurde der Dichtung eingeprägt, welches sich fortan auch den andern
Maßen, wie dem tragischen Vers bei Göthe und Schiller, mittheilte.
Bei Voß verweilt Gervinus mit Vorliebe. Mir scheint dieser Autor
überschätzt zu werden. So schön auch die Charakteristik desselben ist,
dürfen wir doch, wie das Publikum längst entschieden l)at, das Prosai¬
sche und Gemachte bei Voß nicht zu gering anschlagen. Es fehlte Bos¬
sen an dichterischem Gefühl, und dafür kann die ehrenwerthe Gesinnung
und die protestantisch-philologische Wirksamkeit des, Mannes kein Ersatz
sein. Voß, der von aller Genialität frei war, und so besonnen und
bewußt verfuhr, fordert uns billig auf" den strengsten Maßstab an seine
poetische Größe zu legen. -- Die Gruppe, welche bei Gervinus als
Klopstocks Schule bezeichnet wird,, erscheint, selbst als Vermittler und
Ausgleiche? betrachtet, unklar und lose. Schon Bürger will sich nicht
recht hineinfügen, Voß wächst darüber hinaus, Claudius spielt in die¬
ser Gesellschaft eine zweifelhafte Rolle, wenn er auch als Leser und Be¬
wunderer dem großen Meister zugethan ist; man sollte ihn eher zu den
Moralisirenden und Frommen anderer Zünfte schlagen. Hebel und
verschiedene Dialeltöpoetcn stören vollends die -Consequenz dieser Ab?
Heilung.

Zunächst wenden wir uns wieder zu Göthe. Zwischen ihm und
der Poesie lag damals das Hofseben. Erst der Anblick Italiens, erst
Rom ruft den eingeschlummerten Genius wieder auf. Mit dem Kunst¬
sinn erwacht der sittliche, das Studium der Natur und bildenden Kunst
bildet in ihm die schöne Form, den classischen Styl aus; in Rafaels
Agathe findet er ein Musterbild seiner Iphigenie; auf Winkelmanns Spu-
ren gelangt er zu dem Verständniß Homers. Mit dem Natürlichen,
dem er bisher gehuldigt, sucht er das Schöne zu vermählen; Gesetz,,
Maß, sowie Beschränkung, die ethischen Tugenden des Künstlers, prä¬
gen sich tief in seinen Geist ein; Göthe, auf der Schwelle der Reife,
fühlt sich ,/dem Alterthum nahe und verwandt"; er ergiebt sich ganz dem
künstlerischen Beruf, aber er entfremdet sich für immer dem handelnden Le¬
ben. Der ,/Ausdruck dieser inneren Versöhnung bei Göthe", wo er alles
Reformatorische und Tumultuarische abthut, ist die Iphigenie, ein Stück,
welches, trotz seines antiken Gepräges, doch durchweg dem modernen


Sprache Mrbaupt,., wie Winkelmann für das > Verständniß der plasti¬
schen Schönheit. Mit dem Herameter, dessen Versfuß Gleichgewicht und
Bewegung vereinigt, schwang man sich über den leichten und noch gleich¬
gültigen Gang des Jambus Hinaus, ein edleres, gehalteneres Pathos
wurde der Dichtung eingeprägt, welches sich fortan auch den andern
Maßen, wie dem tragischen Vers bei Göthe und Schiller, mittheilte.
Bei Voß verweilt Gervinus mit Vorliebe. Mir scheint dieser Autor
überschätzt zu werden. So schön auch die Charakteristik desselben ist,
dürfen wir doch, wie das Publikum längst entschieden l)at, das Prosai¬
sche und Gemachte bei Voß nicht zu gering anschlagen. Es fehlte Bos¬
sen an dichterischem Gefühl, und dafür kann die ehrenwerthe Gesinnung
und die protestantisch-philologische Wirksamkeit des, Mannes kein Ersatz
sein. Voß, der von aller Genialität frei war, und so besonnen und
bewußt verfuhr, fordert uns billig auf« den strengsten Maßstab an seine
poetische Größe zu legen. — Die Gruppe, welche bei Gervinus als
Klopstocks Schule bezeichnet wird,, erscheint, selbst als Vermittler und
Ausgleiche? betrachtet, unklar und lose. Schon Bürger will sich nicht
recht hineinfügen, Voß wächst darüber hinaus, Claudius spielt in die¬
ser Gesellschaft eine zweifelhafte Rolle, wenn er auch als Leser und Be¬
wunderer dem großen Meister zugethan ist; man sollte ihn eher zu den
Moralisirenden und Frommen anderer Zünfte schlagen. Hebel und
verschiedene Dialeltöpoetcn stören vollends die -Consequenz dieser Ab?
Heilung.

Zunächst wenden wir uns wieder zu Göthe. Zwischen ihm und
der Poesie lag damals das Hofseben. Erst der Anblick Italiens, erst
Rom ruft den eingeschlummerten Genius wieder auf. Mit dem Kunst¬
sinn erwacht der sittliche, das Studium der Natur und bildenden Kunst
bildet in ihm die schöne Form, den classischen Styl aus; in Rafaels
Agathe findet er ein Musterbild seiner Iphigenie; auf Winkelmanns Spu-
ren gelangt er zu dem Verständniß Homers. Mit dem Natürlichen,
dem er bisher gehuldigt, sucht er das Schöne zu vermählen; Gesetz,,
Maß, sowie Beschränkung, die ethischen Tugenden des Künstlers, prä¬
gen sich tief in seinen Geist ein; Göthe, auf der Schwelle der Reife,
fühlt sich ,/dem Alterthum nahe und verwandt"; er ergiebt sich ganz dem
künstlerischen Beruf, aber er entfremdet sich für immer dem handelnden Le¬
ben. Der ,/Ausdruck dieser inneren Versöhnung bei Göthe", wo er alles
Reformatorische und Tumultuarische abthut, ist die Iphigenie, ein Stück,
welches, trotz seines antiken Gepräges, doch durchweg dem modernen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/96>, abgerufen am 23.07.2024.