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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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"M> wo sich damals die erste:: Männer der Literatur/ Wieland, Her-
der, Wie später Schiller, zusammenfanden. Zehn Jahre lang brachte
Göthe nichts von großem Belang zu Stande; man Hätte glauben sol¬
len, daß er in den Zerstreuungen des Hofes sich verloren habe, wenn
nicht die Folge bewiesen hätte, daß er damals die mächtigsten Empfin¬
dungen und Pläne in seiner Seele zeitigte.

' ' In der nächsten Abtheilung wird eine Reibe von Schriftstellern cha-
rakterisirt, welche Wielands Schule bilden. Die starken, naturwüchsi¬
gen Geister lehnten sich gegen Lessings strenge Kunstbetrachtung, so
wie gegen Gellerts moralisch-didaktische Tendenzen ans, welche, mein¬
ten sie, zu //weibischer Kleingeisterei" führen. Bestandlos, nach Effekten
haschend, fahren sie hin und her nach dein Vortrefflichen, bald in Pe¬
trarca und Metastasio, bald in spanischen Formen. Am meisten fruch¬
teten die italienischen Studien, da diese //studentisch-niederländischen Gei¬
ster/, davon am wenigsten in sich hatten. Sodann warf man sich auf
die Ergründung der Malerei und Plastik, und unter den Niederländern,
Griechen und Italienern gewannen die letzteren den Vorzug.

Dem Wielandschen Anhange entgegenstrebend, finden wir die Schule.
Kio Pflocks, in der das Ethische, Religiöse und der Patriotismus ge¬
hegt wurde. Klopstock war es, der dem Göttinger Dichterbunde
einen Anhaltspunkt gab. Freundschaft und Vaterlandsliebe waren das
Band dieses Vereins, wie sie ja auch die Seele so vieler Klopstockscher
Gedichte sind. Bei Bürger Hebt Gervinus das Pathologische und Kri¬
tische, .überhaupt die Zwiespältigkeit seiner Natur hervor.' Mit Recht
vertheidigt Gervinus Schillers strenges aber wohlgemeintes Verfahren
gegen Bürger; Schiller wollte dem Dichter, bei dem Phantasie und Wirk¬
lichkeit sich verwirrten, auf die rechte Bahn verhelfen; Bürger war zu
schwach, um sein Urtheil sich zu Nutze zumachen. Den Stollbergen,
die Klopstockcn am treuesten nacheiferten, fehlte es doch, wie so manchem
erregbaren Gemüthe, an einem festen Kern, und die Außenwelt konnte
ihnen denselben nicht leihen.--7Es überwiegt bei den Göttingern die Nc-
ceptivitcit und Reflexion. Wenn Gervinus darin bei ihnen den norddeutschen
Charakter verfolgt, so kann dies nur in: beschränkten Sinne gemeint sein;
denn der Norden hat sich später auf ganz andere Weise in der Poesie
kund gegeben. -- Ein unberechenbares Verdienst erwarb sich Voß durch
die Einbürgerung des Homer, der Quelle der Dichtung, auf den alle
unsere großen Poeten einmal zurückgehe,: 'mußten. Der Kampf um den
Herameter macht Epoche im poetischen Styl, wie Luchers Bibel in bey


15*

«M> wo sich damals die erste:: Männer der Literatur/ Wieland, Her-
der, Wie später Schiller, zusammenfanden. Zehn Jahre lang brachte
Göthe nichts von großem Belang zu Stande; man Hätte glauben sol¬
len, daß er in den Zerstreuungen des Hofes sich verloren habe, wenn
nicht die Folge bewiesen hätte, daß er damals die mächtigsten Empfin¬
dungen und Pläne in seiner Seele zeitigte.

' ' In der nächsten Abtheilung wird eine Reibe von Schriftstellern cha-
rakterisirt, welche Wielands Schule bilden. Die starken, naturwüchsi¬
gen Geister lehnten sich gegen Lessings strenge Kunstbetrachtung, so
wie gegen Gellerts moralisch-didaktische Tendenzen ans, welche, mein¬
ten sie, zu //weibischer Kleingeisterei" führen. Bestandlos, nach Effekten
haschend, fahren sie hin und her nach dein Vortrefflichen, bald in Pe¬
trarca und Metastasio, bald in spanischen Formen. Am meisten fruch¬
teten die italienischen Studien, da diese //studentisch-niederländischen Gei¬
ster/, davon am wenigsten in sich hatten. Sodann warf man sich auf
die Ergründung der Malerei und Plastik, und unter den Niederländern,
Griechen und Italienern gewannen die letzteren den Vorzug.

Dem Wielandschen Anhange entgegenstrebend, finden wir die Schule.
Kio Pflocks, in der das Ethische, Religiöse und der Patriotismus ge¬
hegt wurde. Klopstock war es, der dem Göttinger Dichterbunde
einen Anhaltspunkt gab. Freundschaft und Vaterlandsliebe waren das
Band dieses Vereins, wie sie ja auch die Seele so vieler Klopstockscher
Gedichte sind. Bei Bürger Hebt Gervinus das Pathologische und Kri¬
tische, .überhaupt die Zwiespältigkeit seiner Natur hervor.' Mit Recht
vertheidigt Gervinus Schillers strenges aber wohlgemeintes Verfahren
gegen Bürger; Schiller wollte dem Dichter, bei dem Phantasie und Wirk¬
lichkeit sich verwirrten, auf die rechte Bahn verhelfen; Bürger war zu
schwach, um sein Urtheil sich zu Nutze zumachen. Den Stollbergen,
die Klopstockcn am treuesten nacheiferten, fehlte es doch, wie so manchem
erregbaren Gemüthe, an einem festen Kern, und die Außenwelt konnte
ihnen denselben nicht leihen.—7Es überwiegt bei den Göttingern die Nc-
ceptivitcit und Reflexion. Wenn Gervinus darin bei ihnen den norddeutschen
Charakter verfolgt, so kann dies nur in: beschränkten Sinne gemeint sein;
denn der Norden hat sich später auf ganz andere Weise in der Poesie
kund gegeben. — Ein unberechenbares Verdienst erwarb sich Voß durch
die Einbürgerung des Homer, der Quelle der Dichtung, auf den alle
unsere großen Poeten einmal zurückgehe,: 'mußten. Der Kampf um den
Herameter macht Epoche im poetischen Styl, wie Luchers Bibel in bey


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/95>, abgerufen am 23.07.2024.