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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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mer seinen R-oah schrieb, Wieland die Prüfung Abrahams, wo man
die Kraft der heiligen-Schrift in einzelne Verse verwässerte; die ganze
Poesie jener-Zeit ist nichts als ein Händefalten und ein Augenver-
drehen Man wollte aus der Heiligkeit der Bibel einige Fäden zu
seiner eigenen Glorie abzupfen, man täuschte sich selbst und glaubte
zu dichten, indem man die Worte des Evangeliums aus ihren schö¬
nen Fugen riß, um sie verstümmelt in Reime zu versetzen. Aber plötzlich
erschien^ in der Mitte dieser nebeligen Zeit ein Mann mit heiterem
Angesicht und schönen, hellen Augen;- mit einer einzigen Handbewe-
gung M er die-schwarzen Tücher herab, mit welchen die-deutsche
Poesie,,behängen war, und das weltliche Sonnenlicht schien darauf
lachend und spielend durch die offenen Fenster. Dieser Mann hieß
Johann Wolfgang Göthe"

Mit, Göthes Erscheinung beginnt die zweite- Epoche ' un¬
serer lyrischen Poesien die Periode der Kunst! Bisher hatte
man der Dichtkunst immer einen bestimmten Zweck unterlegt,
man schrieb Gedichte und Dramen aus gleichem Grunde, wie man
Zuchthäuser- und Moralschulen erbaute, zur Besserung der Sitten, zur
Befestigung -des Glaubens; die Poesie war-nur ein Herold,' der einen
Teppich, .ausbreitete,, auf-welchem Moral und Religion in feierlichem
Zuge, einherschreiten könnten; Göthe war der Erste,' der die Poesie als
unabhängig erklärte, -und -sie vom Vasallendienste- lossagte, und ihr"
die Krone als.-Selbsthevrscherin aufsetzte. Jn-Göthes -Liedern erscheint
die Poesie zum.Erstenmale um ihrer selbst willen und hat keinen an¬
dern Zweck, als eben Poesie zu sein- -- -ein abgeschlossenes, für sich
selbst bestehendes -Kunstwerk. Ein Gedicht- wie der //Erlkönig" - war bis
dahin, aus. dem Kreise unserer Literatur- ausgeschlossen, denn welcher
Zwecks welche Lehre wäre aus diesem phantastischen Spuk hervorzu¬
nehmen? Und vollends aus dem heidnischen ,/Gott-und die Bayadere," 'aus
der,,>Braut. vo.n Corinth" und so vielen andern Liedern, die für Religion
und-Moral nicht die . mindeste Bereicherung bieten. Man - vergleiche
nur' Bürgers Leonore mit dem - Erlkönig , -und >man wird das Gesagte
leicht-begreifen. Beide Gedichte sind denselben Elementen entnommen,
dem Herüberragen einer andern Welt, unserem Zusammenhang mit un¬
sichtbaren Mächten. Aber bei Bürger hat dieses ein religiöses Gesetz
zum. Grunde..Leonore hat Verwünschungen gegen den Schöpfer--aus-'
gestoßen, und von diesem Augenblick ist die Schöpfung für sie verlo-


mer seinen R-oah schrieb, Wieland die Prüfung Abrahams, wo man
die Kraft der heiligen-Schrift in einzelne Verse verwässerte; die ganze
Poesie jener-Zeit ist nichts als ein Händefalten und ein Augenver-
drehen Man wollte aus der Heiligkeit der Bibel einige Fäden zu
seiner eigenen Glorie abzupfen, man täuschte sich selbst und glaubte
zu dichten, indem man die Worte des Evangeliums aus ihren schö¬
nen Fugen riß, um sie verstümmelt in Reime zu versetzen. Aber plötzlich
erschien^ in der Mitte dieser nebeligen Zeit ein Mann mit heiterem
Angesicht und schönen, hellen Augen;- mit einer einzigen Handbewe-
gung M er die-schwarzen Tücher herab, mit welchen die-deutsche
Poesie,,behängen war, und das weltliche Sonnenlicht schien darauf
lachend und spielend durch die offenen Fenster. Dieser Mann hieß
Johann Wolfgang Göthe»

Mit, Göthes Erscheinung beginnt die zweite- Epoche ' un¬
serer lyrischen Poesien die Periode der Kunst! Bisher hatte
man der Dichtkunst immer einen bestimmten Zweck unterlegt,
man schrieb Gedichte und Dramen aus gleichem Grunde, wie man
Zuchthäuser- und Moralschulen erbaute, zur Besserung der Sitten, zur
Befestigung -des Glaubens; die Poesie war-nur ein Herold,' der einen
Teppich, .ausbreitete,, auf-welchem Moral und Religion in feierlichem
Zuge, einherschreiten könnten; Göthe war der Erste,' der die Poesie als
unabhängig erklärte, -und -sie vom Vasallendienste- lossagte, und ihr"
die Krone als.-Selbsthevrscherin aufsetzte. Jn-Göthes -Liedern erscheint
die Poesie zum.Erstenmale um ihrer selbst willen und hat keinen an¬
dern Zweck, als eben Poesie zu sein- — -ein abgeschlossenes, für sich
selbst bestehendes -Kunstwerk. Ein Gedicht- wie der //Erlkönig" - war bis
dahin, aus. dem Kreise unserer Literatur- ausgeschlossen, denn welcher
Zwecks welche Lehre wäre aus diesem phantastischen Spuk hervorzu¬
nehmen? Und vollends aus dem heidnischen ,/Gott-und die Bayadere," 'aus
der,,>Braut. vo.n Corinth" und so vielen andern Liedern, die für Religion
und-Moral nicht die . mindeste Bereicherung bieten. Man - vergleiche
nur' Bürgers Leonore mit dem - Erlkönig , -und >man wird das Gesagte
leicht-begreifen. Beide Gedichte sind denselben Elementen entnommen,
dem Herüberragen einer andern Welt, unserem Zusammenhang mit un¬
sichtbaren Mächten. Aber bei Bürger hat dieses ein religiöses Gesetz
zum. Grunde..Leonore hat Verwünschungen gegen den Schöpfer--aus-'
gestoßen, und von diesem Augenblick ist die Schöpfung für sie verlo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/617>, abgerufen am 23.07.2024.