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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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innerhalb seiner Gebäude selbst sie' angelegt hat, so daß man in Mitte
aller seiner Gemächer und Kunstbauten plötzlich auf einen Baum, auf
ein Blumenbeet stößt,,das aus der Erde hervorwächst, unbekümmert,
ob es auch hieher paßt.

"Auf einen merkwürdigen Umstand muß ich hier insbesondere auf¬
merksam machen, da?r einen seltsamen Charakterunterschied zwischen
Deutschland und Frankreich hervorhebt. Der Franzose, der im gewöhn¬
lichen Leben so gerne sich hören läßt und so rüstig zu sprechen liebt, wird
zu den Zeiten des Kampfes wortkarg und schweigsam; ernst und stumm
zieht er in die Schlacht, und wo die That beginnt, verstummt sein
Wort. Aus der ganzen begebenheitöschwercn Nevolutionsepoche, aus
der ganzen Sieg- und verlustreichen Kaiserzeit ist ein einziges Lied zu¬
rückgeblieben: die Marseillaise. Die ftanzösische Poesie, eine Poesie
der Geselligkeit und des Wohllebens, verstummt, sobald die Gesellschaft
gestört ist. Die deutsche Poesie hingegen, eine Poesie der Innerlichkeit
und der Melancholie, flammt gradem solchen Momenten um so hoher
auf, wo die Nation in Aufregung ist. Der Deutsche, im gewöhnli¬
chen Leben so schweigsam und verschlossen, erhält in dem Augenblicke,
wo der Kampf hereinbricht, tausend Zungen, singend und dichtend
stürzt er sich in die Schlacht. Nie hat die deutsche Lvrik so wunder¬
bar und reich getönt, als in den glorreichen Kriegsjahren 1812 und
1813. Brauch' ich erst den Namen Theodor Körners hier zu erwäh¬
nen, der von Wien, aus den Armen einer geliebten Braut, aus den
fröhlichsten und glücklichsten Verhältnissen sich gerissen, um den deut¬
schen Befreiungsheeren seine Schlachtliedcr vorzusingen, und fechtend
zu dichten, und dichtend zu sterben? Und Rückert und Arndt, und
Schenkcndors und Uhland, sind sie nicht Alle in jener aufgeregten Zeit er¬
standen?

Das ist das Eigenthümliche der deutschen Lyrik, daß sie wie ein
Strom das Land durchzieht, und alle Bewegungen der Nation in ih¬
ren Wellen abspiegelt. Alle Kämpfe der Philosophie, der Religion,
der Politik, aller Haß, alle Liebe, welche das Volk bewegen, schwim¬
men in den Wellen dieses Stromes. Die Lyrik ist oftmals
für Deutschland das, was die Journalistik für Frankreich war.
Ein Journalartikel, der die Franzosen in Feuer und Flamme setzt--
läßt den, bedächtigen, schwerbeweglichen Deutschen ruhig seine Pfeife
schmauchen. Ein einfaches Lied hingegen, welches man in Frankreich


innerhalb seiner Gebäude selbst sie' angelegt hat, so daß man in Mitte
aller seiner Gemächer und Kunstbauten plötzlich auf einen Baum, auf
ein Blumenbeet stößt,,das aus der Erde hervorwächst, unbekümmert,
ob es auch hieher paßt.

"Auf einen merkwürdigen Umstand muß ich hier insbesondere auf¬
merksam machen, da?r einen seltsamen Charakterunterschied zwischen
Deutschland und Frankreich hervorhebt. Der Franzose, der im gewöhn¬
lichen Leben so gerne sich hören läßt und so rüstig zu sprechen liebt, wird
zu den Zeiten des Kampfes wortkarg und schweigsam; ernst und stumm
zieht er in die Schlacht, und wo die That beginnt, verstummt sein
Wort. Aus der ganzen begebenheitöschwercn Nevolutionsepoche, aus
der ganzen Sieg- und verlustreichen Kaiserzeit ist ein einziges Lied zu¬
rückgeblieben: die Marseillaise. Die ftanzösische Poesie, eine Poesie
der Geselligkeit und des Wohllebens, verstummt, sobald die Gesellschaft
gestört ist. Die deutsche Poesie hingegen, eine Poesie der Innerlichkeit
und der Melancholie, flammt gradem solchen Momenten um so hoher
auf, wo die Nation in Aufregung ist. Der Deutsche, im gewöhnli¬
chen Leben so schweigsam und verschlossen, erhält in dem Augenblicke,
wo der Kampf hereinbricht, tausend Zungen, singend und dichtend
stürzt er sich in die Schlacht. Nie hat die deutsche Lvrik so wunder¬
bar und reich getönt, als in den glorreichen Kriegsjahren 1812 und
1813. Brauch' ich erst den Namen Theodor Körners hier zu erwäh¬
nen, der von Wien, aus den Armen einer geliebten Braut, aus den
fröhlichsten und glücklichsten Verhältnissen sich gerissen, um den deut¬
schen Befreiungsheeren seine Schlachtliedcr vorzusingen, und fechtend
zu dichten, und dichtend zu sterben? Und Rückert und Arndt, und
Schenkcndors und Uhland, sind sie nicht Alle in jener aufgeregten Zeit er¬
standen?

Das ist das Eigenthümliche der deutschen Lyrik, daß sie wie ein
Strom das Land durchzieht, und alle Bewegungen der Nation in ih¬
ren Wellen abspiegelt. Alle Kämpfe der Philosophie, der Religion,
der Politik, aller Haß, alle Liebe, welche das Volk bewegen, schwim¬
men in den Wellen dieses Stromes. Die Lyrik ist oftmals
für Deutschland das, was die Journalistik für Frankreich war.
Ein Journalartikel, der die Franzosen in Feuer und Flamme setzt—
läßt den, bedächtigen, schwerbeweglichen Deutschen ruhig seine Pfeife
schmauchen. Ein einfaches Lied hingegen, welches man in Frankreich


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[0615] innerhalb seiner Gebäude selbst sie' angelegt hat, so daß man in Mitte aller seiner Gemächer und Kunstbauten plötzlich auf einen Baum, auf ein Blumenbeet stößt,,das aus der Erde hervorwächst, unbekümmert, ob es auch hieher paßt. "Auf einen merkwürdigen Umstand muß ich hier insbesondere auf¬ merksam machen, da?r einen seltsamen Charakterunterschied zwischen Deutschland und Frankreich hervorhebt. Der Franzose, der im gewöhn¬ lichen Leben so gerne sich hören läßt und so rüstig zu sprechen liebt, wird zu den Zeiten des Kampfes wortkarg und schweigsam; ernst und stumm zieht er in die Schlacht, und wo die That beginnt, verstummt sein Wort. Aus der ganzen begebenheitöschwercn Nevolutionsepoche, aus der ganzen Sieg- und verlustreichen Kaiserzeit ist ein einziges Lied zu¬ rückgeblieben: die Marseillaise. Die ftanzösische Poesie, eine Poesie der Geselligkeit und des Wohllebens, verstummt, sobald die Gesellschaft gestört ist. Die deutsche Poesie hingegen, eine Poesie der Innerlichkeit und der Melancholie, flammt gradem solchen Momenten um so hoher auf, wo die Nation in Aufregung ist. Der Deutsche, im gewöhnli¬ chen Leben so schweigsam und verschlossen, erhält in dem Augenblicke, wo der Kampf hereinbricht, tausend Zungen, singend und dichtend stürzt er sich in die Schlacht. Nie hat die deutsche Lvrik so wunder¬ bar und reich getönt, als in den glorreichen Kriegsjahren 1812 und 1813. Brauch' ich erst den Namen Theodor Körners hier zu erwäh¬ nen, der von Wien, aus den Armen einer geliebten Braut, aus den fröhlichsten und glücklichsten Verhältnissen sich gerissen, um den deut¬ schen Befreiungsheeren seine Schlachtliedcr vorzusingen, und fechtend zu dichten, und dichtend zu sterben? Und Rückert und Arndt, und Schenkcndors und Uhland, sind sie nicht Alle in jener aufgeregten Zeit er¬ standen? Das ist das Eigenthümliche der deutschen Lyrik, daß sie wie ein Strom das Land durchzieht, und alle Bewegungen der Nation in ih¬ ren Wellen abspiegelt. Alle Kämpfe der Philosophie, der Religion, der Politik, aller Haß, alle Liebe, welche das Volk bewegen, schwim¬ men in den Wellen dieses Stromes. Die Lyrik ist oftmals für Deutschland das, was die Journalistik für Frankreich war. Ein Journalartikel, der die Franzosen in Feuer und Flamme setzt— läßt den, bedächtigen, schwerbeweglichen Deutschen ruhig seine Pfeife schmauchen. Ein einfaches Lied hingegen, welches man in Frankreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/615>, abgerufen am 28.09.2024.