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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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-- ein, Kind, darf das Gefühl des Hasses gar nicht kennen, und es war eine strenge
Consequenz dieses Erziehungsshstems, daß Saphir,' als er im vorigen Jahre in
einer seiner Akademien daS Becker'sche Rheinlied singen lassen wollte -- hierzu die
Erlaubniß Versagt wurde. Wir lassen die französischen EroberungSgedankeN ander
Grenzen bekämpfen -- aber hier in unserer Mitte erfahre man nicht, daß es über¬
haupt Gedanken giebt, die uns stören könnten. Vielmehr wird die französische
Sprache mit jedem Tage mehr Mode, und die Franzosen oder vielmehr die Fran¬
zösinnen die als Gouvernanten in den Häusern eines jeden Bemittelten' zu finden
sind, haben hier goldene Tage. In Oesterreich, wo die Classen der Gesellschaft
strenger geschieden sind als anderswo, dauert es natürlicherweise länger, be¬
vor eine Mode, die in den höchsten Ständen begonnenhat, allmählig bis zu den un¬
tern Regionen herabkommt-- aber daß sie kömmt, daran darf man nicht zweisscn.
Wie eine Lawine rinnt sie Von den höchsten Gipfeln in die tiefsten Thäler; nicht so
rasch, aber gewiß um so sicherer. Sobald der Adel begonnen, rückt der Bürger-
stand nach -- es dauert zwar viele Jahre, bevor eine solche Mode von oben nach
unten gelangt, aber das schadet der.Sache nicht. So ist es mit der französischen
Erziehung, die namentlich bei dem weiblichen Geschlechte unserer Mittelklassen, un¬
serer Kaufmanns- und Beamtenwelt eine immer größere Ausdehnung gewinnt..
Ein treffender Artikel in Frankls Sonntagsblcittcrn schilderte un') geißelte dieses
weibliche Franosenthumanriti.

Ein neuer Koran wird verkündet, ein neuer, seligmachender Glaube wird ge¬
predigt; nicht Propheten aber Prophetinnen durchziehen begeistert das Land, und
predigen den neuen Islam, dessen erster Grundsatz ist: tvnL-i von.-- -I^one, und
der inhaltsschwer endet: eene- v<in5 Srolte. -- Die Prophetinnen nennt man
schlechtweg Gouvernanten, und weil man sie, nach einem alten Sprichworte, in
ihrem Vaterlands nicht als solche, sondern höchstens als Blumistinnen, Krämerin-
nen!>,Stubenmädchen, oder als Grisetten will gelten lassen, nehmen sie weislich
einige Handbücher unter den Arm, und wandern getrost über den Rhein und noch
weiter/ den DonaUstrom abwärts. -- Wir Deutschen aber überhaupt, und wir
Wiener insbesondere, find eine gläubige Ration; wir nehmen unsere hoffnungsvol¬
len ,Töchterlein, und führen sie ihnen entgegen, und sprechen: Nehmt sie unter
eure Flügel, ihr, die ihr über den Rhein geflogen kämet; prediget ihnen, auf daß
sie werden^ wie ihr;>daß ihre .Zunge so geläufig werde, wie die eure, ihr Sinn
so leicht und, frei,'Me> der eure. Lehret sie anders sprechen, als sie denken, an¬
ders denken, als ihre einfachen Ahnen; lehret sie, wie man'sich einen interessanten
blassen Teint anschafft, lehret sie über ihre Mutter lächeln, die nicht weiß, was
Kor bedeutet, lehret sie das Erröthen ablegen und das rouAe auflegen, leh¬
ret sie, sich die Schwindsucht an LeV und^ Seele kränkeln Und siehe da, der Sr-


— ein, Kind, darf das Gefühl des Hasses gar nicht kennen, und es war eine strenge
Consequenz dieses Erziehungsshstems, daß Saphir,' als er im vorigen Jahre in
einer seiner Akademien daS Becker'sche Rheinlied singen lassen wollte — hierzu die
Erlaubniß Versagt wurde. Wir lassen die französischen EroberungSgedankeN ander
Grenzen bekämpfen — aber hier in unserer Mitte erfahre man nicht, daß es über¬
haupt Gedanken giebt, die uns stören könnten. Vielmehr wird die französische
Sprache mit jedem Tage mehr Mode, und die Franzosen oder vielmehr die Fran¬
zösinnen die als Gouvernanten in den Häusern eines jeden Bemittelten' zu finden
sind, haben hier goldene Tage. In Oesterreich, wo die Classen der Gesellschaft
strenger geschieden sind als anderswo, dauert es natürlicherweise länger, be¬
vor eine Mode, die in den höchsten Ständen begonnenhat, allmählig bis zu den un¬
tern Regionen herabkommt— aber daß sie kömmt, daran darf man nicht zweisscn.
Wie eine Lawine rinnt sie Von den höchsten Gipfeln in die tiefsten Thäler; nicht so
rasch, aber gewiß um so sicherer. Sobald der Adel begonnen, rückt der Bürger-
stand nach — es dauert zwar viele Jahre, bevor eine solche Mode von oben nach
unten gelangt, aber das schadet der.Sache nicht. So ist es mit der französischen
Erziehung, die namentlich bei dem weiblichen Geschlechte unserer Mittelklassen, un¬
serer Kaufmanns- und Beamtenwelt eine immer größere Ausdehnung gewinnt..
Ein treffender Artikel in Frankls Sonntagsblcittcrn schilderte un') geißelte dieses
weibliche Franosenthumanriti.

Ein neuer Koran wird verkündet, ein neuer, seligmachender Glaube wird ge¬
predigt; nicht Propheten aber Prophetinnen durchziehen begeistert das Land, und
predigen den neuen Islam, dessen erster Grundsatz ist: tvnL-i von.-- -I^one, und
der inhaltsschwer endet: eene- v<in5 Srolte. — Die Prophetinnen nennt man
schlechtweg Gouvernanten, und weil man sie, nach einem alten Sprichworte, in
ihrem Vaterlands nicht als solche, sondern höchstens als Blumistinnen, Krämerin-
nen!>,Stubenmädchen, oder als Grisetten will gelten lassen, nehmen sie weislich
einige Handbücher unter den Arm, und wandern getrost über den Rhein und noch
weiter/ den DonaUstrom abwärts. — Wir Deutschen aber überhaupt, und wir
Wiener insbesondere, find eine gläubige Ration; wir nehmen unsere hoffnungsvol¬
len ,Töchterlein, und führen sie ihnen entgegen, und sprechen: Nehmt sie unter
eure Flügel, ihr, die ihr über den Rhein geflogen kämet; prediget ihnen, auf daß
sie werden^ wie ihr;>daß ihre .Zunge so geläufig werde, wie die eure, ihr Sinn
so leicht und, frei,'Me> der eure. Lehret sie anders sprechen, als sie denken, an¬
ders denken, als ihre einfachen Ahnen; lehret sie, wie man'sich einen interessanten
blassen Teint anschafft, lehret sie über ihre Mutter lächeln, die nicht weiß, was
Kor bedeutet, lehret sie das Erröthen ablegen und das rouAe auflegen, leh¬
ret sie, sich die Schwindsucht an LeV und^ Seele kränkeln Und siehe da, der Sr-


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[0603] — ein, Kind, darf das Gefühl des Hasses gar nicht kennen, und es war eine strenge Consequenz dieses Erziehungsshstems, daß Saphir,' als er im vorigen Jahre in einer seiner Akademien daS Becker'sche Rheinlied singen lassen wollte — hierzu die Erlaubniß Versagt wurde. Wir lassen die französischen EroberungSgedankeN ander Grenzen bekämpfen — aber hier in unserer Mitte erfahre man nicht, daß es über¬ haupt Gedanken giebt, die uns stören könnten. Vielmehr wird die französische Sprache mit jedem Tage mehr Mode, und die Franzosen oder vielmehr die Fran¬ zösinnen die als Gouvernanten in den Häusern eines jeden Bemittelten' zu finden sind, haben hier goldene Tage. In Oesterreich, wo die Classen der Gesellschaft strenger geschieden sind als anderswo, dauert es natürlicherweise länger, be¬ vor eine Mode, die in den höchsten Ständen begonnenhat, allmählig bis zu den un¬ tern Regionen herabkommt— aber daß sie kömmt, daran darf man nicht zweisscn. Wie eine Lawine rinnt sie Von den höchsten Gipfeln in die tiefsten Thäler; nicht so rasch, aber gewiß um so sicherer. Sobald der Adel begonnen, rückt der Bürger- stand nach — es dauert zwar viele Jahre, bevor eine solche Mode von oben nach unten gelangt, aber das schadet der.Sache nicht. So ist es mit der französischen Erziehung, die namentlich bei dem weiblichen Geschlechte unserer Mittelklassen, un¬ serer Kaufmanns- und Beamtenwelt eine immer größere Ausdehnung gewinnt.. Ein treffender Artikel in Frankls Sonntagsblcittcrn schilderte un') geißelte dieses weibliche Franosenthumanriti. Ein neuer Koran wird verkündet, ein neuer, seligmachender Glaube wird ge¬ predigt; nicht Propheten aber Prophetinnen durchziehen begeistert das Land, und predigen den neuen Islam, dessen erster Grundsatz ist: tvnL-i von.-- -I^one, und der inhaltsschwer endet: eene- v<in5 Srolte. — Die Prophetinnen nennt man schlechtweg Gouvernanten, und weil man sie, nach einem alten Sprichworte, in ihrem Vaterlands nicht als solche, sondern höchstens als Blumistinnen, Krämerin- nen!>,Stubenmädchen, oder als Grisetten will gelten lassen, nehmen sie weislich einige Handbücher unter den Arm, und wandern getrost über den Rhein und noch weiter/ den DonaUstrom abwärts. — Wir Deutschen aber überhaupt, und wir Wiener insbesondere, find eine gläubige Ration; wir nehmen unsere hoffnungsvol¬ len ,Töchterlein, und führen sie ihnen entgegen, und sprechen: Nehmt sie unter eure Flügel, ihr, die ihr über den Rhein geflogen kämet; prediget ihnen, auf daß sie werden^ wie ihr;>daß ihre .Zunge so geläufig werde, wie die eure, ihr Sinn so leicht und, frei,'Me> der eure. Lehret sie anders sprechen, als sie denken, an¬ ders denken, als ihre einfachen Ahnen; lehret sie, wie man'sich einen interessanten blassen Teint anschafft, lehret sie über ihre Mutter lächeln, die nicht weiß, was Kor bedeutet, lehret sie das Erröthen ablegen und das rouAe auflegen, leh¬ ret sie, sich die Schwindsucht an LeV und^ Seele kränkeln Und siehe da, der Sr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/603>, abgerufen am 23.07.2024.