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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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des Kanals abspiegelten, über die sich ein Balkon vor meinem Zimmer
erstreckte. Mit dem Geläut stand ich auf, mein Mittagsmahl genoß ich
während des Chorals. Ich wußte immer wieviel Uhr wir hatten, und
längst lehrte mich die Fahne die verschiedenen Winde beobachten.
Auch das Wetter zeigte mir der Thurm an, ein Niesenbarometcr. neigte
sichs bei trübem Himmel zur Heiterkeit, so klang das Geläut so hell
und metallen, daß man hätte glauben können, der Glöckner spielte seine
Klaviatur härter als, sonst. Am schönsten aber kam mir immer Abends
der Thurm vor, wenn der Thürmer blies und die schwarzen Umrisse
sich auf dem dunkeln Himmel abzeichneten. Tausend Gedanken knüpften
sich täglich an diesen alten, ehrwürdigen Bau, und der tiefe Schmerz,
den seine Freunde empfanden, als Fahrlässigkeit der Menschen und Un¬
erbittlichkeit des Elements seinen Untergang bereitet hatten, läßt sich
nicht beschreiben. Und wenn tausend Habichte ihre Nester im Thurm
gehabt hätten, tausend Menschen konnten ihn retten, und Die ringen nun
die Hände, daß sie's nicht gethan. Sie haben sich ein Schauspiel berei¬
tet, das sie nimmer wieder sehen werden. Und jetzt, wenn man in die
Höhlung des schwarzen Thurmes hinaufblickt, wie grausig rieselt's her¬
nieder über den innern Rand da oben. Alle Böden, alles Sparrwerk,
alle die mächtigen, kunstvoll zusannnengezimmertcn Balken und Ständer,
das ganze innere Mark und Gerippe, wo ist es geblieben? Kein mensch¬
lich Auge hat gesehn, wie es ächzend herabkrachte, wie es kämpfte und
brach, kein Ohr hat diesem Donner in der Nähe zugehorcht. Die"
Flamme trieb Alle hinweg, sie stieg wie ein gräulich, scheußlich Gespenst
Trepp auf, Trepp ab und suchte in allen Winkeln ihre Beute, und am
Ende loderte es von unten frei auf, und kochte und sprühte wie in der
Hölle. Einzelne, dicke, eiserne Sparren spreizen sich aus der Brand¬
mauer im Innern des Thurmes hervor; sie sind gebogen von den stür¬
zenden Glocken und Balken, die, von der wüthenden Gluth gepeitscht, jäh
niederwuchteten und die eichenen Bohlen durchbrachen. Alles ist schwarz
und schauerlich anzusehen, wenn man, auf dem verschlackten Schutthau¬
fen unten stehend, den Kops in den Nacken biegt und hinaufschaut. Die
Gluth hat nicht Raum gehabt in diesen: riesigen Schornstein; die Esse
war zu flüssig und voller Brand, ihre Lohe wälzte sich durch die Kir¬
chenpforten, durch die zerschmetterten Kuppeln, durch die Kirchenfenster
in das Schiff der Kirche. Hier fraß sie die Decke des Altars, die Rei¬
hen der hölzernen Stühle und Bänke, die Stufen zum Taufbecken, die
Schränke der Sakristei; hier hatte sie ein weites Feld. Graulich muß


des Kanals abspiegelten, über die sich ein Balkon vor meinem Zimmer
erstreckte. Mit dem Geläut stand ich auf, mein Mittagsmahl genoß ich
während des Chorals. Ich wußte immer wieviel Uhr wir hatten, und
längst lehrte mich die Fahne die verschiedenen Winde beobachten.
Auch das Wetter zeigte mir der Thurm an, ein Niesenbarometcr. neigte
sichs bei trübem Himmel zur Heiterkeit, so klang das Geläut so hell
und metallen, daß man hätte glauben können, der Glöckner spielte seine
Klaviatur härter als, sonst. Am schönsten aber kam mir immer Abends
der Thurm vor, wenn der Thürmer blies und die schwarzen Umrisse
sich auf dem dunkeln Himmel abzeichneten. Tausend Gedanken knüpften
sich täglich an diesen alten, ehrwürdigen Bau, und der tiefe Schmerz,
den seine Freunde empfanden, als Fahrlässigkeit der Menschen und Un¬
erbittlichkeit des Elements seinen Untergang bereitet hatten, läßt sich
nicht beschreiben. Und wenn tausend Habichte ihre Nester im Thurm
gehabt hätten, tausend Menschen konnten ihn retten, und Die ringen nun
die Hände, daß sie's nicht gethan. Sie haben sich ein Schauspiel berei¬
tet, das sie nimmer wieder sehen werden. Und jetzt, wenn man in die
Höhlung des schwarzen Thurmes hinaufblickt, wie grausig rieselt's her¬
nieder über den innern Rand da oben. Alle Böden, alles Sparrwerk,
alle die mächtigen, kunstvoll zusannnengezimmertcn Balken und Ständer,
das ganze innere Mark und Gerippe, wo ist es geblieben? Kein mensch¬
lich Auge hat gesehn, wie es ächzend herabkrachte, wie es kämpfte und
brach, kein Ohr hat diesem Donner in der Nähe zugehorcht. Die"
Flamme trieb Alle hinweg, sie stieg wie ein gräulich, scheußlich Gespenst
Trepp auf, Trepp ab und suchte in allen Winkeln ihre Beute, und am
Ende loderte es von unten frei auf, und kochte und sprühte wie in der
Hölle. Einzelne, dicke, eiserne Sparren spreizen sich aus der Brand¬
mauer im Innern des Thurmes hervor; sie sind gebogen von den stür¬
zenden Glocken und Balken, die, von der wüthenden Gluth gepeitscht, jäh
niederwuchteten und die eichenen Bohlen durchbrachen. Alles ist schwarz
und schauerlich anzusehen, wenn man, auf dem verschlackten Schutthau¬
fen unten stehend, den Kops in den Nacken biegt und hinaufschaut. Die
Gluth hat nicht Raum gehabt in diesen: riesigen Schornstein; die Esse
war zu flüssig und voller Brand, ihre Lohe wälzte sich durch die Kir¬
chenpforten, durch die zerschmetterten Kuppeln, durch die Kirchenfenster
in das Schiff der Kirche. Hier fraß sie die Decke des Altars, die Rei¬
hen der hölzernen Stühle und Bänke, die Stufen zum Taufbecken, die
Schränke der Sakristei; hier hatte sie ein weites Feld. Graulich muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/600>, abgerufen am 25.08.2024.