Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

tisch erhalten ist. Sie besteht aus mächtigen, gehauenen Steinen, die
ein schönes durchbrochenes Geländer bildeten, das den ersten Sturz des
Thurmes auszuhalten hatte. Ueber den Rand dieser mächtigen Balu¬
strade wälzten sich die herunterrollenden Kupferplatten, und da, wo die
einzelnen Steine noch stehen, sieht man die röthliche Belegung des Thur¬
mes in Fetzen herunterhängen. Auf dieser Gallerie sah man noch ein¬
zelne Menschen, während der Thurm in lichter Lohe brannte. Hier
versammelten sich die aufgescheuchten Bewohner des hohen Baues, die
verschiedenen nistenden Vögel, unter denen man vor Allen einen großen
Habicht bemerkte, der durch die ganze Schreckensnacht in immer größe¬
ren Kreisen die immer hellere Gluth umschwärmte und endlich seinen Tod
in den Flammen gesunden haben soll. Sein beständiges Umherflattern
erregte die Aufmerksamkeit aller Zuschauer und ihm dichtete man sogleich
die nächste Ursache des Brandes an: sein Nest sollte den ersten Funken
aufgefangen und Anlaß zum folgenden Thurm-Sturze gewesen sein. Auf
dieser Gallerie wünschte man stehen zu können, und wirklich, wäre es
nicht so höllenheiß gewesen, von dort aus hätte man über die Größe
und Macht des rasenden Elements die Gefahr und den Jammer verges¬
sen können. In jedem Winkel dieser Gallerie recken noch jetzt, wie die
gräulichen Gethiere der Offenbarung, die großen kupfernen Thurmrin¬
nen ihre geöffneten Drachenköpfe in die Luft. Einer von ihnen hat den
zackichten Nacken ein wenig gebeugt; man sieht von unten tief in seinen
geöffneten Schlund; die andren drei scheinen wüthend und höhnend über
die klagenden Menschen Hinzugrinsen. Aus ihren Nachen floß wirklich
in jenen verhängnisvollen Stunden ein wahrer Höllenbrei von Kohlen
und geschmolzenem Metall. An ein Hinaufsteigen ist natürlich nicht zu den¬
ken; aber der Erste, der diese Gallerie wieder betritt, wird sich von
Grauen und Schwindel ergriffen fühlen und nichts haben, an dem er
sich halten könnte. Die Sonne aufgehen sehen von dort, müßte ein
andrer furchtbar schöner Augenblick sein. Ich habe als Kind auf dieser
Gallerie gespielt; Mittags schlich ich aus dem Hause meiner Verwand¬
ten und harrte, bis gegen ein Uhr der Glöckner kam, der mich freund¬
lich mitgehen ließ und mich sorgsam wieder herunterbrachte, wenn er
seinen Eh oral ausgespielt hatte. Mir summten dann die Ohren so ge¬
waltig, daß ich nichts hören konnte, und der Weg nach Hause brachte
mich dann erst wieder zu mir selbst/Als ich nach vielen Jahren Ham¬
burg wiedersah, miethete ich ein Zimmer mit der unbeschränkten Aus¬
sicht auf den Nicolaithurm, dessen schöne Formen sich in den Wassern


79

tisch erhalten ist. Sie besteht aus mächtigen, gehauenen Steinen, die
ein schönes durchbrochenes Geländer bildeten, das den ersten Sturz des
Thurmes auszuhalten hatte. Ueber den Rand dieser mächtigen Balu¬
strade wälzten sich die herunterrollenden Kupferplatten, und da, wo die
einzelnen Steine noch stehen, sieht man die röthliche Belegung des Thur¬
mes in Fetzen herunterhängen. Auf dieser Gallerie sah man noch ein¬
zelne Menschen, während der Thurm in lichter Lohe brannte. Hier
versammelten sich die aufgescheuchten Bewohner des hohen Baues, die
verschiedenen nistenden Vögel, unter denen man vor Allen einen großen
Habicht bemerkte, der durch die ganze Schreckensnacht in immer größe¬
ren Kreisen die immer hellere Gluth umschwärmte und endlich seinen Tod
in den Flammen gesunden haben soll. Sein beständiges Umherflattern
erregte die Aufmerksamkeit aller Zuschauer und ihm dichtete man sogleich
die nächste Ursache des Brandes an: sein Nest sollte den ersten Funken
aufgefangen und Anlaß zum folgenden Thurm-Sturze gewesen sein. Auf
dieser Gallerie wünschte man stehen zu können, und wirklich, wäre es
nicht so höllenheiß gewesen, von dort aus hätte man über die Größe
und Macht des rasenden Elements die Gefahr und den Jammer verges¬
sen können. In jedem Winkel dieser Gallerie recken noch jetzt, wie die
gräulichen Gethiere der Offenbarung, die großen kupfernen Thurmrin¬
nen ihre geöffneten Drachenköpfe in die Luft. Einer von ihnen hat den
zackichten Nacken ein wenig gebeugt; man sieht von unten tief in seinen
geöffneten Schlund; die andren drei scheinen wüthend und höhnend über
die klagenden Menschen Hinzugrinsen. Aus ihren Nachen floß wirklich
in jenen verhängnisvollen Stunden ein wahrer Höllenbrei von Kohlen
und geschmolzenem Metall. An ein Hinaufsteigen ist natürlich nicht zu den¬
ken; aber der Erste, der diese Gallerie wieder betritt, wird sich von
Grauen und Schwindel ergriffen fühlen und nichts haben, an dem er
sich halten könnte. Die Sonne aufgehen sehen von dort, müßte ein
andrer furchtbar schöner Augenblick sein. Ich habe als Kind auf dieser
Gallerie gespielt; Mittags schlich ich aus dem Hause meiner Verwand¬
ten und harrte, bis gegen ein Uhr der Glöckner kam, der mich freund¬
lich mitgehen ließ und mich sorgsam wieder herunterbrachte, wenn er
seinen Eh oral ausgespielt hatte. Mir summten dann die Ohren so ge¬
waltig, daß ich nichts hören konnte, und der Weg nach Hause brachte
mich dann erst wieder zu mir selbst/Als ich nach vielen Jahren Ham¬
burg wiedersah, miethete ich ein Zimmer mit der unbeschränkten Aus¬
sicht auf den Nicolaithurm, dessen schöne Formen sich in den Wassern


79
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0599" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267812"/>
            <p xml:id="ID_2098" prev="#ID_2097" next="#ID_2099"> tisch erhalten ist. Sie besteht aus mächtigen, gehauenen Steinen, die<lb/>
ein schönes durchbrochenes Geländer bildeten, das den ersten Sturz des<lb/>
Thurmes auszuhalten hatte. Ueber den Rand dieser mächtigen Balu¬<lb/>
strade wälzten sich die herunterrollenden Kupferplatten, und da, wo die<lb/>
einzelnen Steine noch stehen, sieht man die röthliche Belegung des Thur¬<lb/>
mes in Fetzen herunterhängen. Auf dieser Gallerie sah man noch ein¬<lb/>
zelne Menschen, während der Thurm in lichter Lohe brannte. Hier<lb/>
versammelten sich die aufgescheuchten Bewohner des hohen Baues, die<lb/>
verschiedenen nistenden Vögel, unter denen man vor Allen einen großen<lb/>
Habicht bemerkte, der durch die ganze Schreckensnacht in immer größe¬<lb/>
ren Kreisen die immer hellere Gluth umschwärmte und endlich seinen Tod<lb/>
in den Flammen gesunden haben soll. Sein beständiges Umherflattern<lb/>
erregte die Aufmerksamkeit aller Zuschauer und ihm dichtete man sogleich<lb/>
die nächste Ursache des Brandes an: sein Nest sollte den ersten Funken<lb/>
aufgefangen und Anlaß zum folgenden Thurm-Sturze gewesen sein. Auf<lb/>
dieser Gallerie wünschte man stehen zu können, und wirklich, wäre es<lb/>
nicht so höllenheiß gewesen, von dort aus hätte man über die Größe<lb/>
und Macht des rasenden Elements die Gefahr und den Jammer verges¬<lb/>
sen können. In jedem Winkel dieser Gallerie recken noch jetzt, wie die<lb/>
gräulichen Gethiere der Offenbarung, die großen kupfernen Thurmrin¬<lb/>
nen ihre geöffneten Drachenköpfe in die Luft. Einer von ihnen hat den<lb/>
zackichten Nacken ein wenig gebeugt; man sieht von unten tief in seinen<lb/>
geöffneten Schlund; die andren drei scheinen wüthend und höhnend über<lb/>
die klagenden Menschen Hinzugrinsen. Aus ihren Nachen floß wirklich<lb/>
in jenen verhängnisvollen Stunden ein wahrer Höllenbrei von Kohlen<lb/>
und geschmolzenem Metall. An ein Hinaufsteigen ist natürlich nicht zu den¬<lb/>
ken; aber der Erste, der diese Gallerie wieder betritt, wird sich von<lb/>
Grauen und Schwindel ergriffen fühlen und nichts haben, an dem er<lb/>
sich halten könnte. Die Sonne aufgehen sehen von dort, müßte ein<lb/>
andrer furchtbar schöner Augenblick sein. Ich habe als Kind auf dieser<lb/>
Gallerie gespielt; Mittags schlich ich aus dem Hause meiner Verwand¬<lb/>
ten und harrte, bis gegen ein Uhr der Glöckner kam, der mich freund¬<lb/>
lich mitgehen ließ und mich sorgsam wieder herunterbrachte, wenn er<lb/>
seinen Eh oral ausgespielt hatte. Mir summten dann die Ohren so ge¬<lb/>
waltig, daß ich nichts hören konnte, und der Weg nach Hause brachte<lb/>
mich dann erst wieder zu mir selbst/Als ich nach vielen Jahren Ham¬<lb/>
burg wiedersah, miethete ich ein Zimmer mit der unbeschränkten Aus¬<lb/>
sicht auf den Nicolaithurm, dessen schöne Formen sich in den Wassern</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 79</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0599] tisch erhalten ist. Sie besteht aus mächtigen, gehauenen Steinen, die ein schönes durchbrochenes Geländer bildeten, das den ersten Sturz des Thurmes auszuhalten hatte. Ueber den Rand dieser mächtigen Balu¬ strade wälzten sich die herunterrollenden Kupferplatten, und da, wo die einzelnen Steine noch stehen, sieht man die röthliche Belegung des Thur¬ mes in Fetzen herunterhängen. Auf dieser Gallerie sah man noch ein¬ zelne Menschen, während der Thurm in lichter Lohe brannte. Hier versammelten sich die aufgescheuchten Bewohner des hohen Baues, die verschiedenen nistenden Vögel, unter denen man vor Allen einen großen Habicht bemerkte, der durch die ganze Schreckensnacht in immer größe¬ ren Kreisen die immer hellere Gluth umschwärmte und endlich seinen Tod in den Flammen gesunden haben soll. Sein beständiges Umherflattern erregte die Aufmerksamkeit aller Zuschauer und ihm dichtete man sogleich die nächste Ursache des Brandes an: sein Nest sollte den ersten Funken aufgefangen und Anlaß zum folgenden Thurm-Sturze gewesen sein. Auf dieser Gallerie wünschte man stehen zu können, und wirklich, wäre es nicht so höllenheiß gewesen, von dort aus hätte man über die Größe und Macht des rasenden Elements die Gefahr und den Jammer verges¬ sen können. In jedem Winkel dieser Gallerie recken noch jetzt, wie die gräulichen Gethiere der Offenbarung, die großen kupfernen Thurmrin¬ nen ihre geöffneten Drachenköpfe in die Luft. Einer von ihnen hat den zackichten Nacken ein wenig gebeugt; man sieht von unten tief in seinen geöffneten Schlund; die andren drei scheinen wüthend und höhnend über die klagenden Menschen Hinzugrinsen. Aus ihren Nachen floß wirklich in jenen verhängnisvollen Stunden ein wahrer Höllenbrei von Kohlen und geschmolzenem Metall. An ein Hinaufsteigen ist natürlich nicht zu den¬ ken; aber der Erste, der diese Gallerie wieder betritt, wird sich von Grauen und Schwindel ergriffen fühlen und nichts haben, an dem er sich halten könnte. Die Sonne aufgehen sehen von dort, müßte ein andrer furchtbar schöner Augenblick sein. Ich habe als Kind auf dieser Gallerie gespielt; Mittags schlich ich aus dem Hause meiner Verwand¬ ten und harrte, bis gegen ein Uhr der Glöckner kam, der mich freund¬ lich mitgehen ließ und mich sorgsam wieder herunterbrachte, wenn er seinen Eh oral ausgespielt hatte. Mir summten dann die Ohren so ge¬ waltig, daß ich nichts hören konnte, und der Weg nach Hause brachte mich dann erst wieder zu mir selbst/Als ich nach vielen Jahren Ham¬ burg wiedersah, miethete ich ein Zimmer mit der unbeschränkten Aus¬ sicht auf den Nicolaithurm, dessen schöne Formen sich in den Wassern 79

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/599
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/599>, abgerufen am 23.07.2024.