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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Gewissen, Achtung gegen die Gesetze/ Schicklichkeit und Mä¬
ßigung eine solche Elasticität bekommen, daß Alles gesagt werden kann.
Man hat einen Advokaten, der zum ersten Male plaidirte, folgende
Worte sagen hören, ohne daß der Assismhof sich darüber- aufhielt: Ich
habe versprochen, mich mit Mäßigung auszudrücken; wahrlich,
ich muß mich an mein Versprechen erinnern, um mich auf
die Aeußerung "zu beschränken, daß die Anklage eine infame
Verleumdung ist. >.

Nach dein stage- oder Renum.gs-Advoka.ten sehen wir am Assisen-
hof den Gefängniß-Advokaten; er ist das beschäftigtste Mitglied seines
Standes; er,muß am selben Tage seine ö Franken an der Municipal¬
polizei, 10 Franken an der Strafpolizei und 20 Franken am Assisenhof
verdienen. Seine Erholungsstunden verbringt er im Gefängniß; er ist
der Freund des .Thürhüters' und der Wächter. Sein "Name ist, der
erste, .den'der Angeklagte zu hören bekömmt. Laßt Euch Meister X.
oder U , rufen,, sagt.>er Wächter; er hat den und jenen, und dann
den und den freisprechen lassen. So im Voraus- eingenommen, was soll
da ein. armer.Teufel thun? ,Er läßt den. Advokaten bitten, er möge
ihn mit feinem Besuche beehren.. Anfangs.scheint die Angelegenheit im¬
mer, bedenklich und verwickelt, die Geschwornen werden verteufelt schwie¬
rig sein. Der Angeklagte spricht von seiner Erkenntlichkeit für den großmü¬
thigen VerthM tauben Ohren, bis seine oder seiner
Freunde und Verwandten Erkenntlichkeit einen klingenden Ausdruck an¬
nimmt; da verschwinden auf einmal die Schwierigkeiten wie durch He¬
xerei; die'Freisprechung-ist sicher.. In Ermangelung baaren Gelbes läßt
man sich auch wohl zur Annahme einer Uhr, oder eines .Kleinods be¬
wegen; das. geschieht aber aus reiner Gefälligkeit, aus bloßer Menschen¬
liebe/aus Pflichtgefühl.

Vor Gericht ist oft die Person eines Gefängniß-Advokaten ein er¬
schwerender Umstand für. den Angeklagten, und doch ist sein Vertheidi-
güngssyftem nicht immer zu verachten. Da er sich immer rurale schlim¬
men Angelegenheiten beschäftigt, so hat er sich gewöhnt, immer den mög¬
lichsten' Nutzen daraus zu ziehen. Wenn die Anklage nur irgend eine
verwundbare Seite hat, so /wird er sie geschickt ergreifen/ wird lange
Plaidiren, wird repliciren, wird'dupliciren,- wird die'Aufmerksamkeit sei-
ner! Zuhörer/ und. oft. eine unverhoffte Lossprechung gleichsam im' Stur¬
me ^dffvozitrag.en. . In seiner'Vertheidigungsrede^ist übrigens!we.derOrd--
"Mg.,,,noch' Methode," noch Talent;'Ordnung, Methode und Talent


Gewissen, Achtung gegen die Gesetze/ Schicklichkeit und Mä¬
ßigung eine solche Elasticität bekommen, daß Alles gesagt werden kann.
Man hat einen Advokaten, der zum ersten Male plaidirte, folgende
Worte sagen hören, ohne daß der Assismhof sich darüber- aufhielt: Ich
habe versprochen, mich mit Mäßigung auszudrücken; wahrlich,
ich muß mich an mein Versprechen erinnern, um mich auf
die Aeußerung «zu beschränken, daß die Anklage eine infame
Verleumdung ist. >.

Nach dein stage- oder Renum.gs-Advoka.ten sehen wir am Assisen-
hof den Gefängniß-Advokaten; er ist das beschäftigtste Mitglied seines
Standes; er,muß am selben Tage seine ö Franken an der Municipal¬
polizei, 10 Franken an der Strafpolizei und 20 Franken am Assisenhof
verdienen. Seine Erholungsstunden verbringt er im Gefängniß; er ist
der Freund des .Thürhüters' und der Wächter. Sein «Name ist, der
erste, .den'der Angeklagte zu hören bekömmt. Laßt Euch Meister X.
oder U , rufen,, sagt.>er Wächter; er hat den und jenen, und dann
den und den freisprechen lassen. So im Voraus- eingenommen, was soll
da ein. armer.Teufel thun? ,Er läßt den. Advokaten bitten, er möge
ihn mit feinem Besuche beehren.. Anfangs.scheint die Angelegenheit im¬
mer, bedenklich und verwickelt, die Geschwornen werden verteufelt schwie¬
rig sein. Der Angeklagte spricht von seiner Erkenntlichkeit für den großmü¬
thigen VerthM tauben Ohren, bis seine oder seiner
Freunde und Verwandten Erkenntlichkeit einen klingenden Ausdruck an¬
nimmt; da verschwinden auf einmal die Schwierigkeiten wie durch He¬
xerei; die'Freisprechung-ist sicher.. In Ermangelung baaren Gelbes läßt
man sich auch wohl zur Annahme einer Uhr, oder eines .Kleinods be¬
wegen; das. geschieht aber aus reiner Gefälligkeit, aus bloßer Menschen¬
liebe/aus Pflichtgefühl.

Vor Gericht ist oft die Person eines Gefängniß-Advokaten ein er¬
schwerender Umstand für. den Angeklagten, und doch ist sein Vertheidi-
güngssyftem nicht immer zu verachten. Da er sich immer rurale schlim¬
men Angelegenheiten beschäftigt, so hat er sich gewöhnt, immer den mög¬
lichsten' Nutzen daraus zu ziehen. Wenn die Anklage nur irgend eine
verwundbare Seite hat, so /wird er sie geschickt ergreifen/ wird lange
Plaidiren, wird repliciren, wird'dupliciren,- wird die'Aufmerksamkeit sei-
ner! Zuhörer/ und. oft. eine unverhoffte Lossprechung gleichsam im' Stur¬
me ^dffvozitrag.en. . In seiner'Vertheidigungsrede^ist übrigens!we.derOrd--
"Mg.,,,noch' Methode,« noch Talent;'Ordnung, Methode und Talent


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[0561] Gewissen, Achtung gegen die Gesetze/ Schicklichkeit und Mä¬ ßigung eine solche Elasticität bekommen, daß Alles gesagt werden kann. Man hat einen Advokaten, der zum ersten Male plaidirte, folgende Worte sagen hören, ohne daß der Assismhof sich darüber- aufhielt: Ich habe versprochen, mich mit Mäßigung auszudrücken; wahrlich, ich muß mich an mein Versprechen erinnern, um mich auf die Aeußerung «zu beschränken, daß die Anklage eine infame Verleumdung ist. >. Nach dein stage- oder Renum.gs-Advoka.ten sehen wir am Assisen- hof den Gefängniß-Advokaten; er ist das beschäftigtste Mitglied seines Standes; er,muß am selben Tage seine ö Franken an der Municipal¬ polizei, 10 Franken an der Strafpolizei und 20 Franken am Assisenhof verdienen. Seine Erholungsstunden verbringt er im Gefängniß; er ist der Freund des .Thürhüters' und der Wächter. Sein «Name ist, der erste, .den'der Angeklagte zu hören bekömmt. Laßt Euch Meister X. oder U , rufen,, sagt.>er Wächter; er hat den und jenen, und dann den und den freisprechen lassen. So im Voraus- eingenommen, was soll da ein. armer.Teufel thun? ,Er läßt den. Advokaten bitten, er möge ihn mit feinem Besuche beehren.. Anfangs.scheint die Angelegenheit im¬ mer, bedenklich und verwickelt, die Geschwornen werden verteufelt schwie¬ rig sein. Der Angeklagte spricht von seiner Erkenntlichkeit für den großmü¬ thigen VerthM tauben Ohren, bis seine oder seiner Freunde und Verwandten Erkenntlichkeit einen klingenden Ausdruck an¬ nimmt; da verschwinden auf einmal die Schwierigkeiten wie durch He¬ xerei; die'Freisprechung-ist sicher.. In Ermangelung baaren Gelbes läßt man sich auch wohl zur Annahme einer Uhr, oder eines .Kleinods be¬ wegen; das. geschieht aber aus reiner Gefälligkeit, aus bloßer Menschen¬ liebe/aus Pflichtgefühl. Vor Gericht ist oft die Person eines Gefängniß-Advokaten ein er¬ schwerender Umstand für. den Angeklagten, und doch ist sein Vertheidi- güngssyftem nicht immer zu verachten. Da er sich immer rurale schlim¬ men Angelegenheiten beschäftigt, so hat er sich gewöhnt, immer den mög¬ lichsten' Nutzen daraus zu ziehen. Wenn die Anklage nur irgend eine verwundbare Seite hat, so /wird er sie geschickt ergreifen/ wird lange Plaidiren, wird repliciren, wird'dupliciren,- wird die'Aufmerksamkeit sei- ner! Zuhörer/ und. oft. eine unverhoffte Lossprechung gleichsam im' Stur¬ me ^dffvozitrag.en. . In seiner'Vertheidigungsrede^ist übrigens!we.derOrd-- "Mg.,,,noch' Methode,« noch Talent;'Ordnung, Methode und Talent

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/561>, abgerufen am 04.07.2024.