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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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nicht für die Advokaten am Cassationshofe gemacht worden; sie haben
ihn aber besser verstanden, als diejenigen, denen die unmittelbare An¬
wendung desselben anvertraut ist.

Ein zweites Faktum, das wir hier als ermunterndes und nachah¬
mungswerthes Beispiel geben, ist folgendes: Vor etwa drei Jahren ge¬
langte der königliche Gerichtshof zu Paris zu der Ueberzeugung, daß
die Vertheidigung der Angeklagten der Unerfahrenheit der stage-Advo-
kcttcn anzuvertrauen, eine fehlerhafte Auslegung des Artikels 294 sei,
und verlangte demzufolge von dem Conseil des Ädvokatenstandcö eine
Liste erfahrener Advokaten, unter denen die Präsidenten der Assisenhofe
die Vertheidiger ex oLin'o wählen könnten, ohne nachteilige Folgen
befürchten zu müssen. Der Pariser Advokatenstand reichte natürlich so¬
fort die verlangte Liste ein, an deren Spitze sich Herr Teste, damals
Syndikus des Standes, bald darauf Justizminister, und alle Mitglieder des
Conseils befanden; und ganz kurze' Zeit vor seiner Ernennung zum Mi¬
nister hat noch Herr Teste eine Frau vertheidigt, die eines Verbrechens,-
worauf Todesstrafe stand, angeklagt war.

Nach dieser, -- wir wollen hoffen, nicht ganz unnützen -- Ab¬
schweifung kehren wir zu dem bisher nun einmal bestehenden Brauche
zurück, in Folge dessen die Sache der Angeklagten, dem es an allen
Hülfsmitteln fehlt, dem Advokaten-Lehrling anheimfallt. Wir wollen
nun den Wem: etwas genauer ,Vs Auge fassen. Er ist nun ange¬
langt, und 'hat bei feinem Mcnheft noch drei oder vier dicke Bände,-
denen er Citate entlehnen wird. Die ersten Sätze seiner Vertheidigung
sind schon den Voraus auf einen schönen halb gebrochenen Bogen Pa¬
pier geschrieben, und man kann obenauf in großen Buchstaben das Wort
Erordium oder Einleitung lesen. Der junge' Advokat hat plaj-
diren hören, und öfters schlecht als gut. Was er davon für seinen
Gebrauch behalten hat, ist minder die Art der vernünftigen und logi¬
schen Beweisführung, als die effectmachendcn Worte, diejenigen, welchen
das Auditorium Beifall klatscht. Vier Redensarten muß er um jeden
Preis unter den andern stolz-bescheidenen Gemeinplätzen seines Plaidopers
anbringen; ohne diese gilt keine Vertheidigung vor dem AWnhos für
gut. Diese Phrasen sind:

Sie sehen es, meine Herren Geschwornen, das Gespenst
der Anklage erbleicht.

Die Anklage zerfällt in Staub.


nicht für die Advokaten am Cassationshofe gemacht worden; sie haben
ihn aber besser verstanden, als diejenigen, denen die unmittelbare An¬
wendung desselben anvertraut ist.

Ein zweites Faktum, das wir hier als ermunterndes und nachah¬
mungswerthes Beispiel geben, ist folgendes: Vor etwa drei Jahren ge¬
langte der königliche Gerichtshof zu Paris zu der Ueberzeugung, daß
die Vertheidigung der Angeklagten der Unerfahrenheit der stage-Advo-
kcttcn anzuvertrauen, eine fehlerhafte Auslegung des Artikels 294 sei,
und verlangte demzufolge von dem Conseil des Ädvokatenstandcö eine
Liste erfahrener Advokaten, unter denen die Präsidenten der Assisenhofe
die Vertheidiger ex oLin'o wählen könnten, ohne nachteilige Folgen
befürchten zu müssen. Der Pariser Advokatenstand reichte natürlich so¬
fort die verlangte Liste ein, an deren Spitze sich Herr Teste, damals
Syndikus des Standes, bald darauf Justizminister, und alle Mitglieder des
Conseils befanden; und ganz kurze' Zeit vor seiner Ernennung zum Mi¬
nister hat noch Herr Teste eine Frau vertheidigt, die eines Verbrechens,-
worauf Todesstrafe stand, angeklagt war.

Nach dieser, — wir wollen hoffen, nicht ganz unnützen — Ab¬
schweifung kehren wir zu dem bisher nun einmal bestehenden Brauche
zurück, in Folge dessen die Sache der Angeklagten, dem es an allen
Hülfsmitteln fehlt, dem Advokaten-Lehrling anheimfallt. Wir wollen
nun den Wem: etwas genauer ,Vs Auge fassen. Er ist nun ange¬
langt, und 'hat bei feinem Mcnheft noch drei oder vier dicke Bände,-
denen er Citate entlehnen wird. Die ersten Sätze seiner Vertheidigung
sind schon den Voraus auf einen schönen halb gebrochenen Bogen Pa¬
pier geschrieben, und man kann obenauf in großen Buchstaben das Wort
Erordium oder Einleitung lesen. Der junge' Advokat hat plaj-
diren hören, und öfters schlecht als gut. Was er davon für seinen
Gebrauch behalten hat, ist minder die Art der vernünftigen und logi¬
schen Beweisführung, als die effectmachendcn Worte, diejenigen, welchen
das Auditorium Beifall klatscht. Vier Redensarten muß er um jeden
Preis unter den andern stolz-bescheidenen Gemeinplätzen seines Plaidopers
anbringen; ohne diese gilt keine Vertheidigung vor dem AWnhos für
gut. Diese Phrasen sind:

Sie sehen es, meine Herren Geschwornen, das Gespenst
der Anklage erbleicht.

Die Anklage zerfällt in Staub.


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[0558] nicht für die Advokaten am Cassationshofe gemacht worden; sie haben ihn aber besser verstanden, als diejenigen, denen die unmittelbare An¬ wendung desselben anvertraut ist. Ein zweites Faktum, das wir hier als ermunterndes und nachah¬ mungswerthes Beispiel geben, ist folgendes: Vor etwa drei Jahren ge¬ langte der königliche Gerichtshof zu Paris zu der Ueberzeugung, daß die Vertheidigung der Angeklagten der Unerfahrenheit der stage-Advo- kcttcn anzuvertrauen, eine fehlerhafte Auslegung des Artikels 294 sei, und verlangte demzufolge von dem Conseil des Ädvokatenstandcö eine Liste erfahrener Advokaten, unter denen die Präsidenten der Assisenhofe die Vertheidiger ex oLin'o wählen könnten, ohne nachteilige Folgen befürchten zu müssen. Der Pariser Advokatenstand reichte natürlich so¬ fort die verlangte Liste ein, an deren Spitze sich Herr Teste, damals Syndikus des Standes, bald darauf Justizminister, und alle Mitglieder des Conseils befanden; und ganz kurze' Zeit vor seiner Ernennung zum Mi¬ nister hat noch Herr Teste eine Frau vertheidigt, die eines Verbrechens,- worauf Todesstrafe stand, angeklagt war. Nach dieser, — wir wollen hoffen, nicht ganz unnützen — Ab¬ schweifung kehren wir zu dem bisher nun einmal bestehenden Brauche zurück, in Folge dessen die Sache der Angeklagten, dem es an allen Hülfsmitteln fehlt, dem Advokaten-Lehrling anheimfallt. Wir wollen nun den Wem: etwas genauer ,Vs Auge fassen. Er ist nun ange¬ langt, und 'hat bei feinem Mcnheft noch drei oder vier dicke Bände,- denen er Citate entlehnen wird. Die ersten Sätze seiner Vertheidigung sind schon den Voraus auf einen schönen halb gebrochenen Bogen Pa¬ pier geschrieben, und man kann obenauf in großen Buchstaben das Wort Erordium oder Einleitung lesen. Der junge' Advokat hat plaj- diren hören, und öfters schlecht als gut. Was er davon für seinen Gebrauch behalten hat, ist minder die Art der vernünftigen und logi¬ schen Beweisführung, als die effectmachendcn Worte, diejenigen, welchen das Auditorium Beifall klatscht. Vier Redensarten muß er um jeden Preis unter den andern stolz-bescheidenen Gemeinplätzen seines Plaidopers anbringen; ohne diese gilt keine Vertheidigung vor dem AWnhos für gut. Diese Phrasen sind: Sie sehen es, meine Herren Geschwornen, das Gespenst der Anklage erbleicht. Die Anklage zerfällt in Staub.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/558>, abgerufen am 04.07.2024.