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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Brief ". U S HiSmbMPg.



Die schreckliche Katastrophe hat ihre endliche Größe erreicht; das Feuer welches
am Himmelfahrtsmorgen um 1 Uhr nach Mitternacht begann, hatte sich am vier¬
ten Tage, Sonntags Nachmittags selbst übersättigt, als habe es einen Gräuel an
sich selbst. Erwarten Sie keine genaue, ausführliche Schilderung; sie zu geben,
dazu gehört mehr Ruhe und Phlegma, als man in diesen Augenblicken besitzen
darf. Ich hebe Ihnen einzelne Momente aus dieser großen Calamität hervor, aus
denen Sie sich ein Ganzes zusammensetzen mögen. Aus der Trümmerwelt, die wie
ein ungeheures Dreieck mitten aus der Stadt heruntergeschnitten ist, heben sich zwei
Ruinen, gegen die alle übrigen zu verschwinden scheinen. Es sind die Brandmaus
ern der beiden schönen Thürme und Kirchen Se. Petri und Se. Nicolai. Die Häu¬
ser werden wieder aufgebaut und ausgebessert, die Speicher wieder gefüllt wer¬
den; aber diese Ruinen werden bleiben was sie geworden sind, während der Schrek-
kenStage; zu der Höhe, die sie vor ihrem Sturz einnahmen, reicht weder Kraft
noch Mittel, weder Glaube noch Wille; der moralische Einfluß, welcher dem Falle
dieser beiden schönen Monumente folgte, war tief ergreifend und allgemein. Das
Volk murmelte von einem Gottesgericht und die Reichen dachten an Sodom und
Gomorrha. Was sollte man noch retten nach solchem 'Verlust? Da hatte der
Plunder keinen Werth mehr, und Viele verließen das Dach ihrer Väter, ohne
Anderes mitzunehmen, als das Allernothwendigste; allgemeines Zagen herrschte,
die Männer betäubten sich durch berauschende Getränke, die Frauen hörten auf zu
weinen. Mit Höllenangst waren Aller Augen auf den Moment des Einstürzen"
gerichtet. Der Nicolaithurm gerieth zuerst in Brand, der offne Glockenstuhl bot
der steigenden Gluth eine unheilvolle Blöße dar, zwischen dem ausgedörrten Ge¬
bälk desselben nistete sich die rothe Flamme an, und spielte mit den großen und
kleinen Glocken, die theils t" Schwingung gerathen, theils im Schmelzen begrif¬
fe", eine Melodie anstimmten, bei der selbst der roheste, gefühlloseste Mensch sich


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Brief «. U S HiSmbMPg.



Die schreckliche Katastrophe hat ihre endliche Größe erreicht; das Feuer welches
am Himmelfahrtsmorgen um 1 Uhr nach Mitternacht begann, hatte sich am vier¬
ten Tage, Sonntags Nachmittags selbst übersättigt, als habe es einen Gräuel an
sich selbst. Erwarten Sie keine genaue, ausführliche Schilderung; sie zu geben,
dazu gehört mehr Ruhe und Phlegma, als man in diesen Augenblicken besitzen
darf. Ich hebe Ihnen einzelne Momente aus dieser großen Calamität hervor, aus
denen Sie sich ein Ganzes zusammensetzen mögen. Aus der Trümmerwelt, die wie
ein ungeheures Dreieck mitten aus der Stadt heruntergeschnitten ist, heben sich zwei
Ruinen, gegen die alle übrigen zu verschwinden scheinen. Es sind die Brandmaus
ern der beiden schönen Thürme und Kirchen Se. Petri und Se. Nicolai. Die Häu¬
ser werden wieder aufgebaut und ausgebessert, die Speicher wieder gefüllt wer¬
den; aber diese Ruinen werden bleiben was sie geworden sind, während der Schrek-
kenStage; zu der Höhe, die sie vor ihrem Sturz einnahmen, reicht weder Kraft
noch Mittel, weder Glaube noch Wille; der moralische Einfluß, welcher dem Falle
dieser beiden schönen Monumente folgte, war tief ergreifend und allgemein. Das
Volk murmelte von einem Gottesgericht und die Reichen dachten an Sodom und
Gomorrha. Was sollte man noch retten nach solchem 'Verlust? Da hatte der
Plunder keinen Werth mehr, und Viele verließen das Dach ihrer Väter, ohne
Anderes mitzunehmen, als das Allernothwendigste; allgemeines Zagen herrschte,
die Männer betäubten sich durch berauschende Getränke, die Frauen hörten auf zu
weinen. Mit Höllenangst waren Aller Augen auf den Moment des Einstürzen«
gerichtet. Der Nicolaithurm gerieth zuerst in Brand, der offne Glockenstuhl bot
der steigenden Gluth eine unheilvolle Blöße dar, zwischen dem ausgedörrten Ge¬
bälk desselben nistete sich die rothe Flamme an, und spielte mit den großen und
kleinen Glocken, die theils t» Schwingung gerathen, theils im Schmelzen begrif¬
fe», eine Melodie anstimmten, bei der selbst der roheste, gefühlloseste Mensch sich


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[0515] Brief «. U S HiSmbMPg. Die schreckliche Katastrophe hat ihre endliche Größe erreicht; das Feuer welches am Himmelfahrtsmorgen um 1 Uhr nach Mitternacht begann, hatte sich am vier¬ ten Tage, Sonntags Nachmittags selbst übersättigt, als habe es einen Gräuel an sich selbst. Erwarten Sie keine genaue, ausführliche Schilderung; sie zu geben, dazu gehört mehr Ruhe und Phlegma, als man in diesen Augenblicken besitzen darf. Ich hebe Ihnen einzelne Momente aus dieser großen Calamität hervor, aus denen Sie sich ein Ganzes zusammensetzen mögen. Aus der Trümmerwelt, die wie ein ungeheures Dreieck mitten aus der Stadt heruntergeschnitten ist, heben sich zwei Ruinen, gegen die alle übrigen zu verschwinden scheinen. Es sind die Brandmaus ern der beiden schönen Thürme und Kirchen Se. Petri und Se. Nicolai. Die Häu¬ ser werden wieder aufgebaut und ausgebessert, die Speicher wieder gefüllt wer¬ den; aber diese Ruinen werden bleiben was sie geworden sind, während der Schrek- kenStage; zu der Höhe, die sie vor ihrem Sturz einnahmen, reicht weder Kraft noch Mittel, weder Glaube noch Wille; der moralische Einfluß, welcher dem Falle dieser beiden schönen Monumente folgte, war tief ergreifend und allgemein. Das Volk murmelte von einem Gottesgericht und die Reichen dachten an Sodom und Gomorrha. Was sollte man noch retten nach solchem 'Verlust? Da hatte der Plunder keinen Werth mehr, und Viele verließen das Dach ihrer Väter, ohne Anderes mitzunehmen, als das Allernothwendigste; allgemeines Zagen herrschte, die Männer betäubten sich durch berauschende Getränke, die Frauen hörten auf zu weinen. Mit Höllenangst waren Aller Augen auf den Moment des Einstürzen« gerichtet. Der Nicolaithurm gerieth zuerst in Brand, der offne Glockenstuhl bot der steigenden Gluth eine unheilvolle Blöße dar, zwischen dem ausgedörrten Ge¬ bälk desselben nistete sich die rothe Flamme an, und spielte mit den großen und kleinen Glocken, die theils t» Schwingung gerathen, theils im Schmelzen begrif¬ fe», eine Melodie anstimmten, bei der selbst der roheste, gefühlloseste Mensch sich 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/515>, abgerufen am 22.12.2024.