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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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nicht bevorzuge. Er meinte damit, daß er kein Freund der Literatur und
der schönen Wissenschaften sei. Und wie schön Herr Saint-Marc
Girardin in seinem Werke über die Mittelschulen bemerkt hat, kann zwar
jenes Wort, nach dieser Auslegung, immer noch anstößig erscheinen, aber
es ist damit keine Lästerung gegen die Bildung überhaupt ausgesprochen.
Kaiser Franz zog die nützlichen Kenntnisse den schönen Wissenschaften
vor, er legte mehr Werth auf solche Studien, die auf ein Geschäft und
einen Stand hinzielen, als auf die sogenannten freien Studien, die nur
dazu dienen sollen, den Geist zu schmücken und zu entwickeln. Er war
ein Freund des gemeinen Unterrichts und ein Gegner des classischen,
weiter hat jene Aeußerung in Lapbach keine Bedeutung. Die völlige
Nichtigkeit dieser Erklärung des Herrn Saint-Marc Girardin beweist
der Umstand, daß in Oesterreich der Primärunterricht gesetzlich vorge¬
schrieben ist. Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken, fallen
in Strafe. Man befördert in diesem Lande den, praktischen und profes¬
sionellen Unterricht. ,/Die österreichische Negierung", sagt Herr Saint-
Marc Girardin, "bestrebt sich, dem Volke diejenige Unterweisung zukom¬
men zu lassen, welche dem Menschen lehrt, sich seiner eignen und der
Kräfte der Natur besser zu bedienen,, und gute Handwerker, gute Land-
bauer bildet; nicht, aber,jenes Wissen, das den Verstand reizt, und ihn
gewohnt, zu untersuchen, nachzudenken und zu zweifeln. Wollt ihr Me¬
chaniker, Manufacturist, Landwirth, Baumeister werden, ihr findet dafür>
in Oesterreich Alles, was ihr bedürft, Schulen Collegicn, Lehrer, Labo¬
ratorien und Sammlungen. Wollt ihr Advocat, Publicist, Gelehrter
werden, d. h. wollt ihr denken, discutiren, zweifeln, so geht anderswo¬
hin, :c."

Auf diese Weise giebt sich in Oesterreich diese äußerste Fürsorge'
für Gehorsam und Glauben kund. Ich übernehme hier nicht das Ge¬
schäft des.Apologisten, sondern das des Historikers; ich urtheile nicht
über die Thatsachen, ich sage nur, wie sie sind. Die Franzosen sind
auf der Welt das Volk, das am meisten raisonnirt. Darum würdein,
Frankreich ein derartiges System verderblich und verwerflich sein; aber'
in Oesterreich scheint die Bevölkerung aufs vollkommenste dazu einzu¬
stimmen; bis jetzt wenigstens ist sie glücklich und zufrieden. Sollte ich
über diese Politik mit Bestimmtheit aburtheilen, so möchte ich durchaus
nicht sagen, daß sie retrograd ist;, ich halte, sie vielmehr für eine arg¬
wöhnische Klugheit? die, ohne den Fortschritt auszuschließen, doch die


nicht bevorzuge. Er meinte damit, daß er kein Freund der Literatur und
der schönen Wissenschaften sei. Und wie schön Herr Saint-Marc
Girardin in seinem Werke über die Mittelschulen bemerkt hat, kann zwar
jenes Wort, nach dieser Auslegung, immer noch anstößig erscheinen, aber
es ist damit keine Lästerung gegen die Bildung überhaupt ausgesprochen.
Kaiser Franz zog die nützlichen Kenntnisse den schönen Wissenschaften
vor, er legte mehr Werth auf solche Studien, die auf ein Geschäft und
einen Stand hinzielen, als auf die sogenannten freien Studien, die nur
dazu dienen sollen, den Geist zu schmücken und zu entwickeln. Er war
ein Freund des gemeinen Unterrichts und ein Gegner des classischen,
weiter hat jene Aeußerung in Lapbach keine Bedeutung. Die völlige
Nichtigkeit dieser Erklärung des Herrn Saint-Marc Girardin beweist
der Umstand, daß in Oesterreich der Primärunterricht gesetzlich vorge¬
schrieben ist. Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken, fallen
in Strafe. Man befördert in diesem Lande den, praktischen und profes¬
sionellen Unterricht. ,/Die österreichische Negierung", sagt Herr Saint-
Marc Girardin, „bestrebt sich, dem Volke diejenige Unterweisung zukom¬
men zu lassen, welche dem Menschen lehrt, sich seiner eignen und der
Kräfte der Natur besser zu bedienen,, und gute Handwerker, gute Land-
bauer bildet; nicht, aber,jenes Wissen, das den Verstand reizt, und ihn
gewohnt, zu untersuchen, nachzudenken und zu zweifeln. Wollt ihr Me¬
chaniker, Manufacturist, Landwirth, Baumeister werden, ihr findet dafür>
in Oesterreich Alles, was ihr bedürft, Schulen Collegicn, Lehrer, Labo¬
ratorien und Sammlungen. Wollt ihr Advocat, Publicist, Gelehrter
werden, d. h. wollt ihr denken, discutiren, zweifeln, so geht anderswo¬
hin, :c."

Auf diese Weise giebt sich in Oesterreich diese äußerste Fürsorge'
für Gehorsam und Glauben kund. Ich übernehme hier nicht das Ge¬
schäft des.Apologisten, sondern das des Historikers; ich urtheile nicht
über die Thatsachen, ich sage nur, wie sie sind. Die Franzosen sind
auf der Welt das Volk, das am meisten raisonnirt. Darum würdein,
Frankreich ein derartiges System verderblich und verwerflich sein; aber'
in Oesterreich scheint die Bevölkerung aufs vollkommenste dazu einzu¬
stimmen; bis jetzt wenigstens ist sie glücklich und zufrieden. Sollte ich
über diese Politik mit Bestimmtheit aburtheilen, so möchte ich durchaus
nicht sagen, daß sie retrograd ist;, ich halte, sie vielmehr für eine arg¬
wöhnische Klugheit? die, ohne den Fortschritt auszuschließen, doch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/506>, abgerufen am 23.07.2024.