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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Da erschien ein Mann auf dem Schauplatze, der lange Zeit die
Liebe zu seiner Muttersprache wie eine Leidenschaft im.Herzen getragen,
der er seine Nächte und Tage geweiht -- Willens.--> Die Ge¬
lehrten in unserm Deutschland, die das Studium der altdeutschen Lite¬
ratur zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, die Brüder Grimm, Mone,
Hoffmann von Fallersleben, u. s. w. haben die großen Verdienste die¬
ses Mannes, seine wichtigen Forschungen, 'sein tiefes Eindringen in den
Geist der mittelalterlichen Literatur im Detail beurtheilt. Wir jedoch,
die wir auf Einzelnes nicht einzugehen im Stande sind, müssen die
Erscheinung dieses Mannes im Zusammenhange mit der Zeit und mit
seinem Lande erfassen.

Man kann die ganze flamändische Bewegung, die jetzt eine solche
Ausdehnung erhalten hat, seit dem Jahre 1334 datiren, seit jener merk¬
würdigen Vorrede, die Willens zu seiner Uebersetzung des Reinaert de
Vos schrieb; diese Vorrede war eine Art Schlachtruf, der Jung und
Alt zur Fahne rief, für die Vertheidigung der Muttersprache und, des
angeerbten Idioms" Wie ein Blitz, fielen diese Worte in die Gemüther."
Der Zunder glimmte schon lange; die ganze Generation von jungen Leu¬
ten, die ihre Erziehung unter der holländischen Regierung gemacht,
war jetzt herangewachsen, in ihnen glühte mehr Liebe für ihre Sprache
als in ihren Eltern, in welchen noch die Ideen der Kmserzcit lebten.
Was die Jugend suchte, das sprach ein Mann aus, ein Mann, der
in alle Tiefen der nationalen Literatur eingeweiht war, ein Mann,
der den Muth hatte, aller politischen Verdächtigung, und was noch mehr
sagen will, der Lächerlichkeit zu trotzen. An ihn schlössen sich nun viele An¬
dere an, Ledegcmk, Bloinmaert, Serrure, Nees, Schapes, Van Dupse
u. s. w. Blommaert ließ ein Heldengedicht erscheinen, Liderik de Buel.
Man vereinigte sich zur gemeinschaftlichen Herausgabe einiger periodi¬
schen Schriften. Die //Letterkundige oeffeningen," das "Nederduitsch letter¬
kundig Jaerboekje// (welches jetzt bereits neun Jahrgänge zählt) begannen.
Allein die erwachende Literatur konnte ohne die Stütze des Publikums sich
nicht erheben, man mußte die Gesellschaft zu gewinnen suchen. Aber so
groß war das lächerliche Vorurtheil gegen diese Sprache, daß zu jener
Zeit, wo das Associationswesen in Belgien zu dem höchsten Grad von
Schwindelei anwuchs, keine zehn Männer zusammen zu finden waren,
um eine Gesellschaft zur Förderung der sprachlichen Interessen der Fla-
mänder zu bilden.

Und doch besitzt Belgien zwei Millionen fünfmalhunderttausend
Flamänder, und die flamändische Sprache zählt um eine Million mehr
Bekenner als die französische.

In Gent endlich, in dem alten unermüdlichen Gent, trat die erste
Gesellschaft auf. Man versammelte sich jeden Mittwoch, man besprach
Mittel und Wege, man scheuete keinerlei Opfer, und allmahlig vergrö¬
ßerte sich die Anzahl der Mitglieder dergestalt, daß sie in dem ganzen
Lande Verzweigungen hatte. Dieser Verein nannte sich: ,/de Tael is gansch


Da erschien ein Mann auf dem Schauplatze, der lange Zeit die
Liebe zu seiner Muttersprache wie eine Leidenschaft im.Herzen getragen,
der er seine Nächte und Tage geweiht — Willens.--> Die Ge¬
lehrten in unserm Deutschland, die das Studium der altdeutschen Lite¬
ratur zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, die Brüder Grimm, Mone,
Hoffmann von Fallersleben, u. s. w. haben die großen Verdienste die¬
ses Mannes, seine wichtigen Forschungen, 'sein tiefes Eindringen in den
Geist der mittelalterlichen Literatur im Detail beurtheilt. Wir jedoch,
die wir auf Einzelnes nicht einzugehen im Stande sind, müssen die
Erscheinung dieses Mannes im Zusammenhange mit der Zeit und mit
seinem Lande erfassen.

Man kann die ganze flamändische Bewegung, die jetzt eine solche
Ausdehnung erhalten hat, seit dem Jahre 1334 datiren, seit jener merk¬
würdigen Vorrede, die Willens zu seiner Uebersetzung des Reinaert de
Vos schrieb; diese Vorrede war eine Art Schlachtruf, der Jung und
Alt zur Fahne rief, für die Vertheidigung der Muttersprache und, des
angeerbten Idioms» Wie ein Blitz, fielen diese Worte in die Gemüther."
Der Zunder glimmte schon lange; die ganze Generation von jungen Leu¬
ten, die ihre Erziehung unter der holländischen Regierung gemacht,
war jetzt herangewachsen, in ihnen glühte mehr Liebe für ihre Sprache
als in ihren Eltern, in welchen noch die Ideen der Kmserzcit lebten.
Was die Jugend suchte, das sprach ein Mann aus, ein Mann, der
in alle Tiefen der nationalen Literatur eingeweiht war, ein Mann,
der den Muth hatte, aller politischen Verdächtigung, und was noch mehr
sagen will, der Lächerlichkeit zu trotzen. An ihn schlössen sich nun viele An¬
dere an, Ledegcmk, Bloinmaert, Serrure, Nees, Schapes, Van Dupse
u. s. w. Blommaert ließ ein Heldengedicht erscheinen, Liderik de Buel.
Man vereinigte sich zur gemeinschaftlichen Herausgabe einiger periodi¬
schen Schriften. Die //Letterkundige oeffeningen," das „Nederduitsch letter¬
kundig Jaerboekje// (welches jetzt bereits neun Jahrgänge zählt) begannen.
Allein die erwachende Literatur konnte ohne die Stütze des Publikums sich
nicht erheben, man mußte die Gesellschaft zu gewinnen suchen. Aber so
groß war das lächerliche Vorurtheil gegen diese Sprache, daß zu jener
Zeit, wo das Associationswesen in Belgien zu dem höchsten Grad von
Schwindelei anwuchs, keine zehn Männer zusammen zu finden waren,
um eine Gesellschaft zur Förderung der sprachlichen Interessen der Fla-
mänder zu bilden.

Und doch besitzt Belgien zwei Millionen fünfmalhunderttausend
Flamänder, und die flamändische Sprache zählt um eine Million mehr
Bekenner als die französische.

In Gent endlich, in dem alten unermüdlichen Gent, trat die erste
Gesellschaft auf. Man versammelte sich jeden Mittwoch, man besprach
Mittel und Wege, man scheuete keinerlei Opfer, und allmahlig vergrö¬
ßerte sich die Anzahl der Mitglieder dergestalt, daß sie in dem ganzen
Lande Verzweigungen hatte. Dieser Verein nannte sich: ,/de Tael is gansch


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[0495] Da erschien ein Mann auf dem Schauplatze, der lange Zeit die Liebe zu seiner Muttersprache wie eine Leidenschaft im.Herzen getragen, der er seine Nächte und Tage geweiht — Willens.--> Die Ge¬ lehrten in unserm Deutschland, die das Studium der altdeutschen Lite¬ ratur zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, die Brüder Grimm, Mone, Hoffmann von Fallersleben, u. s. w. haben die großen Verdienste die¬ ses Mannes, seine wichtigen Forschungen, 'sein tiefes Eindringen in den Geist der mittelalterlichen Literatur im Detail beurtheilt. Wir jedoch, die wir auf Einzelnes nicht einzugehen im Stande sind, müssen die Erscheinung dieses Mannes im Zusammenhange mit der Zeit und mit seinem Lande erfassen. Man kann die ganze flamändische Bewegung, die jetzt eine solche Ausdehnung erhalten hat, seit dem Jahre 1334 datiren, seit jener merk¬ würdigen Vorrede, die Willens zu seiner Uebersetzung des Reinaert de Vos schrieb; diese Vorrede war eine Art Schlachtruf, der Jung und Alt zur Fahne rief, für die Vertheidigung der Muttersprache und, des angeerbten Idioms» Wie ein Blitz, fielen diese Worte in die Gemüther." Der Zunder glimmte schon lange; die ganze Generation von jungen Leu¬ ten, die ihre Erziehung unter der holländischen Regierung gemacht, war jetzt herangewachsen, in ihnen glühte mehr Liebe für ihre Sprache als in ihren Eltern, in welchen noch die Ideen der Kmserzcit lebten. Was die Jugend suchte, das sprach ein Mann aus, ein Mann, der in alle Tiefen der nationalen Literatur eingeweiht war, ein Mann, der den Muth hatte, aller politischen Verdächtigung, und was noch mehr sagen will, der Lächerlichkeit zu trotzen. An ihn schlössen sich nun viele An¬ dere an, Ledegcmk, Bloinmaert, Serrure, Nees, Schapes, Van Dupse u. s. w. Blommaert ließ ein Heldengedicht erscheinen, Liderik de Buel. Man vereinigte sich zur gemeinschaftlichen Herausgabe einiger periodi¬ schen Schriften. Die //Letterkundige oeffeningen," das „Nederduitsch letter¬ kundig Jaerboekje// (welches jetzt bereits neun Jahrgänge zählt) begannen. Allein die erwachende Literatur konnte ohne die Stütze des Publikums sich nicht erheben, man mußte die Gesellschaft zu gewinnen suchen. Aber so groß war das lächerliche Vorurtheil gegen diese Sprache, daß zu jener Zeit, wo das Associationswesen in Belgien zu dem höchsten Grad von Schwindelei anwuchs, keine zehn Männer zusammen zu finden waren, um eine Gesellschaft zur Förderung der sprachlichen Interessen der Fla- mänder zu bilden. Und doch besitzt Belgien zwei Millionen fünfmalhunderttausend Flamänder, und die flamändische Sprache zählt um eine Million mehr Bekenner als die französische. In Gent endlich, in dem alten unermüdlichen Gent, trat die erste Gesellschaft auf. Man versammelte sich jeden Mittwoch, man besprach Mittel und Wege, man scheuete keinerlei Opfer, und allmahlig vergrö¬ ßerte sich die Anzahl der Mitglieder dergestalt, daß sie in dem ganzen Lande Verzweigungen hatte. Dieser Verein nannte sich: ,/de Tael is gansch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/495>, abgerufen am 24.07.2024.