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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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wechselweise einander jagen, und wovon es bald der einen bald verän¬
dern gelingt, die andere zu unterjochen. Unter der holländischen Negierung
vergalt man der französischen Sprache all die Unbill wieder, die sie früher
gegen die flämische ausübte; man fiel von einem Extrem in's andere, und
wie man unter der französischen Herrschaft den Flamänder zwang, ftcmzösisch
zusprechen, so wollte man jetzt den französischen Theil der Niederlande--
die Wallonen -- holländisch zu sprechen zwingen. Die Folgen sind be¬
kannt; eine neue Revolution brach aus, von Neuem wurde das' süd¬
liche Niederland von dem nördlichen getrennt, und Belgien zu einem ei¬
genen Königreich erhoben. Wieder wechselte das Loos der Landesspra¬
chen. Die französische Sprache erhielt größern Einfluß als je, sie wurde
die Sprache der Negierung, der Gesetzgebung, der Kammern, und die
flamändische Mundart wurdejetzt um so mehr unterdrückt, da man alle, die
ihr anhingen, des Orangismus verdächtigte und Sympathien für die
holländische Negierung bei ihnen voraussetzte. Vor Kurzem noch die
Herrschende, die vielverehrte, wurde sie jetzt, wie ein plötzlich verarmter
Reicher, von allen Thüren gewiesen. Die "gute Gesellschaft", immer
bereit, dem Götzen der Mode als Priester zu dienen, verbannte sie aus
ihrer Mitte als ein gemeines Jargon, das den feinen Mund verun¬
ziert. Selbst aus dem Kreise der Familien, wo sie seit Jahrhunderten
der liebe gewohnte Gast, die bequeme, angeerbte Sprache gewesen, wurde
sie verdrängt; affektirte Mütter lehrten ihre Kinder, mit flamändischen
Accenten jenes sonderbare Geblöke, welches sie gern für französisch aus¬
geben möchten, während die komische Aussprache des äh (e) an eine Heerde
schreiender Schaafe erinnert und als ein ewiges Stichblatt für den Spott
der Franzosen dicni. Wahrlich, es ist eine schöne Sprache, die Sprache
Racine's und Montesquieu's; aber keine andere verliert in der Travestie
allen Neiz, so wie sie. Und doch schreckte dies keinen der Tausende ab,
die, um dem "guten Ton" zu stöhnen, ihr Erbe, die gute Münze ihrer
Muttersprache, gegen falsches fremdes Geld vertauschten. Dieser Zustand
der Dinge erregte den Stolz einiger Bessergesinnten, die, ohne den Werth
der belgischen Selbständigkeit zu verkennen, ohne der neuen Dynastie
minder ergeben zu sein, dennoch ihre Muttersprache nicht wie einen Bett¬
ler und Aussätzigen behandelt wissen wollten. In Gent und in Ant¬
werpen traten junge 'Leute zusammen und überdachten, wie man der
Muttersprache zu Hülse eilen könnte, ohne die Interessen des Vaterlands
zu gefährden, Pläne über Pläne wurden entworfen, aber unübersteigliche
Schwierigkeiten thürmten jsich überall entgegen.' Denn nicht nur das
Vorurtheck und die Furcht der Negierung vor einer Sprache, die wieder
zurück zu einem kaum abgeschüttelten Joch führen könnte, war zu fürch¬
ten, sondern was noch schwieriger war, das gesellschaftliche Vorurtheil,
die Weiber, die Gecken, und alle diejenigen, welche.das Französische als
das non plus ultra aller Bildung betrachten, waren zu bekämpfen, ein
Fluch, der stärker noch als Vaterfluch ist, war zu bannen: der Fluch
der Lächerlichkeit.


wechselweise einander jagen, und wovon es bald der einen bald verän¬
dern gelingt, die andere zu unterjochen. Unter der holländischen Negierung
vergalt man der französischen Sprache all die Unbill wieder, die sie früher
gegen die flämische ausübte; man fiel von einem Extrem in's andere, und
wie man unter der französischen Herrschaft den Flamänder zwang, ftcmzösisch
zusprechen, so wollte man jetzt den französischen Theil der Niederlande—
die Wallonen — holländisch zu sprechen zwingen. Die Folgen sind be¬
kannt; eine neue Revolution brach aus, von Neuem wurde das' süd¬
liche Niederland von dem nördlichen getrennt, und Belgien zu einem ei¬
genen Königreich erhoben. Wieder wechselte das Loos der Landesspra¬
chen. Die französische Sprache erhielt größern Einfluß als je, sie wurde
die Sprache der Negierung, der Gesetzgebung, der Kammern, und die
flamändische Mundart wurdejetzt um so mehr unterdrückt, da man alle, die
ihr anhingen, des Orangismus verdächtigte und Sympathien für die
holländische Negierung bei ihnen voraussetzte. Vor Kurzem noch die
Herrschende, die vielverehrte, wurde sie jetzt, wie ein plötzlich verarmter
Reicher, von allen Thüren gewiesen. Die "gute Gesellschaft", immer
bereit, dem Götzen der Mode als Priester zu dienen, verbannte sie aus
ihrer Mitte als ein gemeines Jargon, das den feinen Mund verun¬
ziert. Selbst aus dem Kreise der Familien, wo sie seit Jahrhunderten
der liebe gewohnte Gast, die bequeme, angeerbte Sprache gewesen, wurde
sie verdrängt; affektirte Mütter lehrten ihre Kinder, mit flamändischen
Accenten jenes sonderbare Geblöke, welches sie gern für französisch aus¬
geben möchten, während die komische Aussprache des äh (e) an eine Heerde
schreiender Schaafe erinnert und als ein ewiges Stichblatt für den Spott
der Franzosen dicni. Wahrlich, es ist eine schöne Sprache, die Sprache
Racine's und Montesquieu's; aber keine andere verliert in der Travestie
allen Neiz, so wie sie. Und doch schreckte dies keinen der Tausende ab,
die, um dem "guten Ton" zu stöhnen, ihr Erbe, die gute Münze ihrer
Muttersprache, gegen falsches fremdes Geld vertauschten. Dieser Zustand
der Dinge erregte den Stolz einiger Bessergesinnten, die, ohne den Werth
der belgischen Selbständigkeit zu verkennen, ohne der neuen Dynastie
minder ergeben zu sein, dennoch ihre Muttersprache nicht wie einen Bett¬
ler und Aussätzigen behandelt wissen wollten. In Gent und in Ant¬
werpen traten junge 'Leute zusammen und überdachten, wie man der
Muttersprache zu Hülse eilen könnte, ohne die Interessen des Vaterlands
zu gefährden, Pläne über Pläne wurden entworfen, aber unübersteigliche
Schwierigkeiten thürmten jsich überall entgegen.' Denn nicht nur das
Vorurtheck und die Furcht der Negierung vor einer Sprache, die wieder
zurück zu einem kaum abgeschüttelten Joch führen könnte, war zu fürch¬
ten, sondern was noch schwieriger war, das gesellschaftliche Vorurtheil,
die Weiber, die Gecken, und alle diejenigen, welche.das Französische als
das non plus ultra aller Bildung betrachten, waren zu bekämpfen, ein
Fluch, der stärker noch als Vaterfluch ist, war zu bannen: der Fluch
der Lächerlichkeit.


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[0494] wechselweise einander jagen, und wovon es bald der einen bald verän¬ dern gelingt, die andere zu unterjochen. Unter der holländischen Negierung vergalt man der französischen Sprache all die Unbill wieder, die sie früher gegen die flämische ausübte; man fiel von einem Extrem in's andere, und wie man unter der französischen Herrschaft den Flamänder zwang, ftcmzösisch zusprechen, so wollte man jetzt den französischen Theil der Niederlande— die Wallonen — holländisch zu sprechen zwingen. Die Folgen sind be¬ kannt; eine neue Revolution brach aus, von Neuem wurde das' süd¬ liche Niederland von dem nördlichen getrennt, und Belgien zu einem ei¬ genen Königreich erhoben. Wieder wechselte das Loos der Landesspra¬ chen. Die französische Sprache erhielt größern Einfluß als je, sie wurde die Sprache der Negierung, der Gesetzgebung, der Kammern, und die flamändische Mundart wurdejetzt um so mehr unterdrückt, da man alle, die ihr anhingen, des Orangismus verdächtigte und Sympathien für die holländische Negierung bei ihnen voraussetzte. Vor Kurzem noch die Herrschende, die vielverehrte, wurde sie jetzt, wie ein plötzlich verarmter Reicher, von allen Thüren gewiesen. Die "gute Gesellschaft", immer bereit, dem Götzen der Mode als Priester zu dienen, verbannte sie aus ihrer Mitte als ein gemeines Jargon, das den feinen Mund verun¬ ziert. Selbst aus dem Kreise der Familien, wo sie seit Jahrhunderten der liebe gewohnte Gast, die bequeme, angeerbte Sprache gewesen, wurde sie verdrängt; affektirte Mütter lehrten ihre Kinder, mit flamändischen Accenten jenes sonderbare Geblöke, welches sie gern für französisch aus¬ geben möchten, während die komische Aussprache des äh (e) an eine Heerde schreiender Schaafe erinnert und als ein ewiges Stichblatt für den Spott der Franzosen dicni. Wahrlich, es ist eine schöne Sprache, die Sprache Racine's und Montesquieu's; aber keine andere verliert in der Travestie allen Neiz, so wie sie. Und doch schreckte dies keinen der Tausende ab, die, um dem "guten Ton" zu stöhnen, ihr Erbe, die gute Münze ihrer Muttersprache, gegen falsches fremdes Geld vertauschten. Dieser Zustand der Dinge erregte den Stolz einiger Bessergesinnten, die, ohne den Werth der belgischen Selbständigkeit zu verkennen, ohne der neuen Dynastie minder ergeben zu sein, dennoch ihre Muttersprache nicht wie einen Bett¬ ler und Aussätzigen behandelt wissen wollten. In Gent und in Ant¬ werpen traten junge 'Leute zusammen und überdachten, wie man der Muttersprache zu Hülse eilen könnte, ohne die Interessen des Vaterlands zu gefährden, Pläne über Pläne wurden entworfen, aber unübersteigliche Schwierigkeiten thürmten jsich überall entgegen.' Denn nicht nur das Vorurtheck und die Furcht der Negierung vor einer Sprache, die wieder zurück zu einem kaum abgeschüttelten Joch führen könnte, war zu fürch¬ ten, sondern was noch schwieriger war, das gesellschaftliche Vorurtheil, die Weiber, die Gecken, und alle diejenigen, welche.das Französische als das non plus ultra aller Bildung betrachten, waren zu bekämpfen, ein Fluch, der stärker noch als Vaterfluch ist, war zu bannen: der Fluch der Lächerlichkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/494>, abgerufen am 22.12.2024.