Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Das erste beste Stück in alle möglichen Tonarten umzusetzen und
die verwinkeltsten Stellen, zu' entziffern, war e.me Kleinigkeit'für ihn ; je¬
doch unterwarf man ihn auch diesen beiden Proben, die ihm einen leich¬
ten Sieg boten. Man hatte bemerkt, daß, anstatt den Bewegungen fei¬
ner Finger auf dem Clavier mit Aufmerksamkeit zu folgen, er seine Blicke
auf den Umberstchenden oder auf den Verzierungen des Salons herum-
schweifen ließ. Eine der gegenwärtigen Personen frug ihn, ob er eben
so gut spielen würde, ohne von Zeit zu Zeit einen raschen Blick auf die
Tasten zu werfen. Nach seiner bejahenden Antwort verband man ihm
die Augen, und er fuhr fort zu improvisieren, ohne daß er die mindeste
Störung, zu empfinden, schien. Diese Kunststückchen trugen fast eben so
viel dazu bei, eine französische Gesellschaft in Verwunderung zu versetzen,
als die weit überraschenderen, aber ernsthafterer Züge des Genies des
Knaben. Der Enthusiasmus erreichte.feine höchste Stufe, als er.auf
die Frage einer Dame, ob er wohl nach dem Gehör und ohne zu sehen,
eine italienische Cavatine begleiten wolle, die sie auswendig könne, er sich
ohne Zaudern an's Klavier setzte und der Sängerin mit ziemlicher Ge¬
nauigkeit folgte, trotz der Schwierigkeit, die Begleitung eines Gesanges
zu improvisiren, den er vorher nicht kannte., Ein solcher Erfolg konnte
ihm nicht genügen.. Er bat die Dame noch einmal anzufangen, und bei
dieser Wiederholung spielte er die Melodie 'mit der rechten Hand, wäh¬
rend er mit der linken einen correcten Baß dazu hören ließ. Dasselbe
Experiment wiederholte er zehnmal, unh'/veränderte , zehnmal den Cha¬
rakter seiner Begleitung. Bald überzeugte Mu sich, daß dies gliche blos
ein intelligentes Kind sei,' bei dem man aus Specülati'on durch viele Ar¬
beit'einen glücklich vorgefundenen Keim entwickelt hatte; man sah viel¬
wehr, daß hier ein frühzeitiges Genie eristire, dem die Kunst eine Of-'
fenbärung sei. "Ich glaube", sagte Grimm, "daß, wenn ich dieses Kind
oft höre, es mir den Kopf verdreht. Jetzt begreife ich, daß eS schwer
ist, sich vor Wahnsinn zu hüten, wenn man Wunder siebt', und ich bin
nicht mehr erstaunt, daß Se. Paul verwirrt geworden nach der sonder¬
baren Bision, die er gehabt." ,' , > '
'''

LeopoldMozartbedürfte Beschützer, um seinen Kindern in den
großen Häusern von Versailles und Paris Eintritt zu verschaffen. Es
war sogar sein Vorhaben, daß sie sich vor der Königlichen Familie soll¬
tet: hören lassen,'und um,seinen Zweck zu erreichen, bedürfte^er mächti¬
ger'UWerstutzung. Zwanzig Personen boten ihm ihre Dienste an und
versprachen^/'ihm' aus Ueii Ihren Kräften nützlich zu sein. 'Er wurde


Das erste beste Stück in alle möglichen Tonarten umzusetzen und
die verwinkeltsten Stellen, zu' entziffern, war e.me Kleinigkeit'für ihn ; je¬
doch unterwarf man ihn auch diesen beiden Proben, die ihm einen leich¬
ten Sieg boten. Man hatte bemerkt, daß, anstatt den Bewegungen fei¬
ner Finger auf dem Clavier mit Aufmerksamkeit zu folgen, er seine Blicke
auf den Umberstchenden oder auf den Verzierungen des Salons herum-
schweifen ließ. Eine der gegenwärtigen Personen frug ihn, ob er eben
so gut spielen würde, ohne von Zeit zu Zeit einen raschen Blick auf die
Tasten zu werfen. Nach seiner bejahenden Antwort verband man ihm
die Augen, und er fuhr fort zu improvisieren, ohne daß er die mindeste
Störung, zu empfinden, schien. Diese Kunststückchen trugen fast eben so
viel dazu bei, eine französische Gesellschaft in Verwunderung zu versetzen,
als die weit überraschenderen, aber ernsthafterer Züge des Genies des
Knaben. Der Enthusiasmus erreichte.feine höchste Stufe, als er.auf
die Frage einer Dame, ob er wohl nach dem Gehör und ohne zu sehen,
eine italienische Cavatine begleiten wolle, die sie auswendig könne, er sich
ohne Zaudern an's Klavier setzte und der Sängerin mit ziemlicher Ge¬
nauigkeit folgte, trotz der Schwierigkeit, die Begleitung eines Gesanges
zu improvisiren, den er vorher nicht kannte., Ein solcher Erfolg konnte
ihm nicht genügen.. Er bat die Dame noch einmal anzufangen, und bei
dieser Wiederholung spielte er die Melodie 'mit der rechten Hand, wäh¬
rend er mit der linken einen correcten Baß dazu hören ließ. Dasselbe
Experiment wiederholte er zehnmal, unh'/veränderte , zehnmal den Cha¬
rakter seiner Begleitung. Bald überzeugte Mu sich, daß dies gliche blos
ein intelligentes Kind sei,' bei dem man aus Specülati'on durch viele Ar¬
beit'einen glücklich vorgefundenen Keim entwickelt hatte; man sah viel¬
wehr, daß hier ein frühzeitiges Genie eristire, dem die Kunst eine Of-'
fenbärung sei. „Ich glaube", sagte Grimm, „daß, wenn ich dieses Kind
oft höre, es mir den Kopf verdreht. Jetzt begreife ich, daß eS schwer
ist, sich vor Wahnsinn zu hüten, wenn man Wunder siebt', und ich bin
nicht mehr erstaunt, daß Se. Paul verwirrt geworden nach der sonder¬
baren Bision, die er gehabt." ,' , > '
'''

LeopoldMozartbedürfte Beschützer, um seinen Kindern in den
großen Häusern von Versailles und Paris Eintritt zu verschaffen. Es
war sogar sein Vorhaben, daß sie sich vor der Königlichen Familie soll¬
tet: hören lassen,'und um,seinen Zweck zu erreichen, bedürfte^er mächti¬
ger'UWerstutzung. Zwanzig Personen boten ihm ihre Dienste an und
versprachen^/'ihm' aus Ueii Ihren Kräften nützlich zu sein. 'Er wurde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267678"/>
          <p xml:id="ID_1650"> Das erste beste Stück in alle möglichen Tonarten umzusetzen und<lb/>
die verwinkeltsten Stellen, zu' entziffern, war e.me Kleinigkeit'für ihn ; je¬<lb/>
doch unterwarf man ihn auch diesen beiden Proben, die ihm einen leich¬<lb/>
ten Sieg boten. Man hatte bemerkt, daß, anstatt den Bewegungen fei¬<lb/>
ner Finger auf dem Clavier mit Aufmerksamkeit zu folgen, er seine Blicke<lb/>
auf den Umberstchenden oder auf den Verzierungen des Salons herum-<lb/>
schweifen ließ. Eine der gegenwärtigen Personen frug ihn, ob er eben<lb/>
so gut spielen würde, ohne von Zeit zu Zeit einen raschen Blick auf die<lb/>
Tasten zu werfen.  Nach seiner bejahenden Antwort verband man ihm<lb/>
die Augen, und er fuhr fort zu improvisieren, ohne daß er die mindeste<lb/>
Störung, zu empfinden, schien.  Diese Kunststückchen trugen fast eben so<lb/>
viel dazu bei, eine französische Gesellschaft in Verwunderung zu versetzen,<lb/>
als die weit überraschenderen, aber ernsthafterer Züge des Genies des<lb/>
Knaben. Der Enthusiasmus erreichte.feine höchste Stufe, als er.auf<lb/>
die Frage einer Dame, ob er wohl nach dem Gehör und ohne zu sehen,<lb/>
eine italienische Cavatine begleiten wolle, die sie auswendig könne, er sich<lb/>
ohne Zaudern an's Klavier setzte und der Sängerin mit ziemlicher Ge¬<lb/>
nauigkeit folgte, trotz der Schwierigkeit, die Begleitung eines Gesanges<lb/>
zu improvisiren, den er vorher nicht kannte., Ein solcher Erfolg konnte<lb/>
ihm nicht genügen.. Er bat die Dame noch einmal anzufangen, und bei<lb/>
dieser Wiederholung spielte er die Melodie 'mit der rechten Hand, wäh¬<lb/>
rend er mit der linken einen correcten Baß dazu hören ließ. Dasselbe<lb/>
Experiment wiederholte er zehnmal, unh'/veränderte , zehnmal den Cha¬<lb/>
rakter seiner Begleitung. Bald überzeugte Mu sich, daß dies gliche blos<lb/>
ein intelligentes Kind sei,' bei dem man aus Specülati'on durch viele Ar¬<lb/>
beit'einen glücklich vorgefundenen Keim entwickelt hatte; man sah viel¬<lb/>
wehr, daß hier ein frühzeitiges Genie eristire, dem die Kunst eine Of-'<lb/>
fenbärung sei. &#x201E;Ich glaube", sagte Grimm, &#x201E;daß, wenn ich dieses Kind<lb/>
oft höre, es mir den Kopf verdreht. Jetzt begreife ich, daß eS schwer<lb/>
ist, sich vor Wahnsinn zu hüten, wenn man Wunder siebt', und ich bin<lb/>
nicht mehr erstaunt, daß Se. Paul verwirrt geworden nach der sonder¬<lb/>
baren Bision, die er gehabt." ,' ,   &gt; '<lb/>
'''</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1651" next="#ID_1652"> LeopoldMozartbedürfte Beschützer, um seinen Kindern in den<lb/>
großen Häusern von Versailles und Paris Eintritt zu verschaffen. Es<lb/>
war sogar sein Vorhaben, daß sie sich vor der Königlichen Familie soll¬<lb/>
tet: hören lassen,'und um,seinen Zweck zu erreichen, bedürfte^er mächti¬<lb/>
ger'UWerstutzung.  Zwanzig Personen boten ihm ihre Dienste an und<lb/>
versprachen^/'ihm' aus Ueii Ihren Kräften nützlich zu sein. 'Er wurde</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] Das erste beste Stück in alle möglichen Tonarten umzusetzen und die verwinkeltsten Stellen, zu' entziffern, war e.me Kleinigkeit'für ihn ; je¬ doch unterwarf man ihn auch diesen beiden Proben, die ihm einen leich¬ ten Sieg boten. Man hatte bemerkt, daß, anstatt den Bewegungen fei¬ ner Finger auf dem Clavier mit Aufmerksamkeit zu folgen, er seine Blicke auf den Umberstchenden oder auf den Verzierungen des Salons herum- schweifen ließ. Eine der gegenwärtigen Personen frug ihn, ob er eben so gut spielen würde, ohne von Zeit zu Zeit einen raschen Blick auf die Tasten zu werfen. Nach seiner bejahenden Antwort verband man ihm die Augen, und er fuhr fort zu improvisieren, ohne daß er die mindeste Störung, zu empfinden, schien. Diese Kunststückchen trugen fast eben so viel dazu bei, eine französische Gesellschaft in Verwunderung zu versetzen, als die weit überraschenderen, aber ernsthafterer Züge des Genies des Knaben. Der Enthusiasmus erreichte.feine höchste Stufe, als er.auf die Frage einer Dame, ob er wohl nach dem Gehör und ohne zu sehen, eine italienische Cavatine begleiten wolle, die sie auswendig könne, er sich ohne Zaudern an's Klavier setzte und der Sängerin mit ziemlicher Ge¬ nauigkeit folgte, trotz der Schwierigkeit, die Begleitung eines Gesanges zu improvisiren, den er vorher nicht kannte., Ein solcher Erfolg konnte ihm nicht genügen.. Er bat die Dame noch einmal anzufangen, und bei dieser Wiederholung spielte er die Melodie 'mit der rechten Hand, wäh¬ rend er mit der linken einen correcten Baß dazu hören ließ. Dasselbe Experiment wiederholte er zehnmal, unh'/veränderte , zehnmal den Cha¬ rakter seiner Begleitung. Bald überzeugte Mu sich, daß dies gliche blos ein intelligentes Kind sei,' bei dem man aus Specülati'on durch viele Ar¬ beit'einen glücklich vorgefundenen Keim entwickelt hatte; man sah viel¬ wehr, daß hier ein frühzeitiges Genie eristire, dem die Kunst eine Of-' fenbärung sei. „Ich glaube", sagte Grimm, „daß, wenn ich dieses Kind oft höre, es mir den Kopf verdreht. Jetzt begreife ich, daß eS schwer ist, sich vor Wahnsinn zu hüten, wenn man Wunder siebt', und ich bin nicht mehr erstaunt, daß Se. Paul verwirrt geworden nach der sonder¬ baren Bision, die er gehabt." ,' , > ' ''' LeopoldMozartbedürfte Beschützer, um seinen Kindern in den großen Häusern von Versailles und Paris Eintritt zu verschaffen. Es war sogar sein Vorhaben, daß sie sich vor der Königlichen Familie soll¬ tet: hören lassen,'und um,seinen Zweck zu erreichen, bedürfte^er mächti¬ ger'UWerstutzung. Zwanzig Personen boten ihm ihre Dienste an und versprachen^/'ihm' aus Ueii Ihren Kräften nützlich zu sein. 'Er wurde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/465>, abgerufen am 23.12.2024.