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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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die italienische Musik gegen die französische in zwei anonymen Schriften
Partei genommen. Sein Saal war also in gewisser Beziehung der
Areopag für Alles, was auf irgend einen Ruhm, Anspruch machte/ und
das Urtheil desselben war für den Erfolg unsrer deutschen Musiker von
höchster Wichtigkeit. Davon aber wußten beide Mozart Nichts; der .
Vater glaubte nur bei einem gewöhnlichen großen Herrn zu sein und
vertrieb sich die Zeit in Erwartung des Hausherrn damit, die pracht¬
volle und luxuriöse Ausmöblirung der Säle zu bewundern; Wolfgang
aber- war an ein prächtiges mit reichen Gemälden verziertes Blcmchet'-
sches Clavier getreten, hatte es geöffnet und mit träumerischer Sorglo¬
sigkeit seine Finger auf den Tasten umhergleiten lassen. Die Gedanken
kamen ihm in Menge;-er machte aus ihnen Gesangphrasen, in kühnen
Zügen, in harmonischen Uebergängen, die seine unergründlich tiefe und
frühzeitige Geisteskraft verriethen. Er hatte eben einen Marsch begon¬
nen, der durch die Macht des Systems und durch die glückliche Melo¬
die, die er dafür.gefunden, hinreißend war, als ihn ein Ausruf allge¬
meinen Erstaunens Plötzlich unterbrach. Denn von seinem musikalischen
Genius ganz absorbirt, hatte er nicht bemerkt, daß sich, während er
improvisirte, eine zahlreiche Gesellschaft hinter ihm versammelt hatte.
Die zuerst gekommen warm > hatten sich darin übereinvcrstanden, ihn
nicht zu unterbrechen, und den neuen Ankömmlingen gebot Baron Hol¬
bach Stillschweigen/ indem er den.Finger auf den Mund legte. Man
wär Wolfgang Näher getreten und sah ihm über die Schultern, wie
seine kleinen Finger mit fieberhafter Gelenkigkeit über die Tasten des
Clciviers hinliefen. Er selbst hörte Nichts; seine Augen hasteten festauf
einem prächtigen Seesturm von Vernet; er glaubte sich allein und über¬
ließ sich ganz dem phantastischen Schwunge seiner jungen Einbildungs¬
kraft. Jeder wollte ihn nun sehen> umarmen, den Kopf, der so außer¬
ordentliche Dinge dachte, und die Hände, die sie ausführten, berühren.
Diderot hatte sich seiner bemächtigt, studierte in seinem Blicke die Vor¬
zeichen, die ein Genie verkünden, und prophezeite der Welt einen großen
Musiker mehr. ' .

^- Mein Herr, sagte der Philosoph, Und wandte sich an Leopold
Mozart/ in welchem Alter hat Ihr Sohn denn das' Studium der Mu¬
sik angefangen, daß er jetzt schon ein solcher Künstler ist,'wie wir ihn
eben gehört haben? Fürchten Gie nicht,, daß seine Geisteskraft- durch
diese allzufrühe Anstrengung sich abstumpft? Bedenken Sie, daß, wenn
der Gedanke für Diejenigen, deren Organe sich vollkommen entwickelt


die italienische Musik gegen die französische in zwei anonymen Schriften
Partei genommen. Sein Saal war also in gewisser Beziehung der
Areopag für Alles, was auf irgend einen Ruhm, Anspruch machte/ und
das Urtheil desselben war für den Erfolg unsrer deutschen Musiker von
höchster Wichtigkeit. Davon aber wußten beide Mozart Nichts; der .
Vater glaubte nur bei einem gewöhnlichen großen Herrn zu sein und
vertrieb sich die Zeit in Erwartung des Hausherrn damit, die pracht¬
volle und luxuriöse Ausmöblirung der Säle zu bewundern; Wolfgang
aber- war an ein prächtiges mit reichen Gemälden verziertes Blcmchet'-
sches Clavier getreten, hatte es geöffnet und mit träumerischer Sorglo¬
sigkeit seine Finger auf den Tasten umhergleiten lassen. Die Gedanken
kamen ihm in Menge;-er machte aus ihnen Gesangphrasen, in kühnen
Zügen, in harmonischen Uebergängen, die seine unergründlich tiefe und
frühzeitige Geisteskraft verriethen. Er hatte eben einen Marsch begon¬
nen, der durch die Macht des Systems und durch die glückliche Melo¬
die, die er dafür.gefunden, hinreißend war, als ihn ein Ausruf allge¬
meinen Erstaunens Plötzlich unterbrach. Denn von seinem musikalischen
Genius ganz absorbirt, hatte er nicht bemerkt, daß sich, während er
improvisirte, eine zahlreiche Gesellschaft hinter ihm versammelt hatte.
Die zuerst gekommen warm > hatten sich darin übereinvcrstanden, ihn
nicht zu unterbrechen, und den neuen Ankömmlingen gebot Baron Hol¬
bach Stillschweigen/ indem er den.Finger auf den Mund legte. Man
wär Wolfgang Näher getreten und sah ihm über die Schultern, wie
seine kleinen Finger mit fieberhafter Gelenkigkeit über die Tasten des
Clciviers hinliefen. Er selbst hörte Nichts; seine Augen hasteten festauf
einem prächtigen Seesturm von Vernet; er glaubte sich allein und über¬
ließ sich ganz dem phantastischen Schwunge seiner jungen Einbildungs¬
kraft. Jeder wollte ihn nun sehen> umarmen, den Kopf, der so außer¬
ordentliche Dinge dachte, und die Hände, die sie ausführten, berühren.
Diderot hatte sich seiner bemächtigt, studierte in seinem Blicke die Vor¬
zeichen, die ein Genie verkünden, und prophezeite der Welt einen großen
Musiker mehr. ' .

^- Mein Herr, sagte der Philosoph, Und wandte sich an Leopold
Mozart/ in welchem Alter hat Ihr Sohn denn das' Studium der Mu¬
sik angefangen, daß er jetzt schon ein solcher Künstler ist,'wie wir ihn
eben gehört haben? Fürchten Gie nicht,, daß seine Geisteskraft- durch
diese allzufrühe Anstrengung sich abstumpft? Bedenken Sie, daß, wenn
der Gedanke für Diejenigen, deren Organe sich vollkommen entwickelt


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[0463] die italienische Musik gegen die französische in zwei anonymen Schriften Partei genommen. Sein Saal war also in gewisser Beziehung der Areopag für Alles, was auf irgend einen Ruhm, Anspruch machte/ und das Urtheil desselben war für den Erfolg unsrer deutschen Musiker von höchster Wichtigkeit. Davon aber wußten beide Mozart Nichts; der . Vater glaubte nur bei einem gewöhnlichen großen Herrn zu sein und vertrieb sich die Zeit in Erwartung des Hausherrn damit, die pracht¬ volle und luxuriöse Ausmöblirung der Säle zu bewundern; Wolfgang aber- war an ein prächtiges mit reichen Gemälden verziertes Blcmchet'- sches Clavier getreten, hatte es geöffnet und mit träumerischer Sorglo¬ sigkeit seine Finger auf den Tasten umhergleiten lassen. Die Gedanken kamen ihm in Menge;-er machte aus ihnen Gesangphrasen, in kühnen Zügen, in harmonischen Uebergängen, die seine unergründlich tiefe und frühzeitige Geisteskraft verriethen. Er hatte eben einen Marsch begon¬ nen, der durch die Macht des Systems und durch die glückliche Melo¬ die, die er dafür.gefunden, hinreißend war, als ihn ein Ausruf allge¬ meinen Erstaunens Plötzlich unterbrach. Denn von seinem musikalischen Genius ganz absorbirt, hatte er nicht bemerkt, daß sich, während er improvisirte, eine zahlreiche Gesellschaft hinter ihm versammelt hatte. Die zuerst gekommen warm > hatten sich darin übereinvcrstanden, ihn nicht zu unterbrechen, und den neuen Ankömmlingen gebot Baron Hol¬ bach Stillschweigen/ indem er den.Finger auf den Mund legte. Man wär Wolfgang Näher getreten und sah ihm über die Schultern, wie seine kleinen Finger mit fieberhafter Gelenkigkeit über die Tasten des Clciviers hinliefen. Er selbst hörte Nichts; seine Augen hasteten festauf einem prächtigen Seesturm von Vernet; er glaubte sich allein und über¬ ließ sich ganz dem phantastischen Schwunge seiner jungen Einbildungs¬ kraft. Jeder wollte ihn nun sehen> umarmen, den Kopf, der so außer¬ ordentliche Dinge dachte, und die Hände, die sie ausführten, berühren. Diderot hatte sich seiner bemächtigt, studierte in seinem Blicke die Vor¬ zeichen, die ein Genie verkünden, und prophezeite der Welt einen großen Musiker mehr. ' . ^- Mein Herr, sagte der Philosoph, Und wandte sich an Leopold Mozart/ in welchem Alter hat Ihr Sohn denn das' Studium der Mu¬ sik angefangen, daß er jetzt schon ein solcher Künstler ist,'wie wir ihn eben gehört haben? Fürchten Gie nicht,, daß seine Geisteskraft- durch diese allzufrühe Anstrengung sich abstumpft? Bedenken Sie, daß, wenn der Gedanke für Diejenigen, deren Organe sich vollkommen entwickelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/463>, abgerufen am 23.07.2024.