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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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die grammatikalischen Fehler in den kleinern belletristischen Journalen. Der Autor,
der mit seinem geistigen Söhnlein zum ersten Male auf die hiesige Messe wall'
fahrtet, naht sich mit ehrfurchtsvoller Scheu der Buchhändlerbörse, wie ein Moslem,
wenn er zum ersten Male Mekka schaut, der Kaaba. Dagegen lächelt der Cinge-
vorne ironisch und sagt: "VrockhauS ist groß!" Er betrübt keine Mutter und er¬
zürnt keinen Vater, wenn er sich -der Literatur ergiebt, es mußte denn sein, daß er
blos Verse machte. Der Litcraturstand gilt ja hier für zünftig und beinahe ehrlich.
Freilich betrachtet dafür der gemeine Mann die Literatur als reine Buchhändler¬
sache und schätzt den Schriftsteller nach dem, was er (an Geld) verdient und nach
der Firma, für die er arbeitet. Das gebildete Publikum macht zu jeder neuen Er¬
scheinung kritischen Chorus; die Scheidewand zwischen Laien und Eingeweihten ist-
so ziemlich gefallen. Die sogenannten Orakel der Zeit, die Organe der öffentlichen
Meinung liest man nirgendswo mit größerem Fleiß und geringerem Glauben, als
auf einem leipziger Kaffeehause. Ueberdies giebt es hier Buchhändler, die in Mu¬
ßestunden Schriftstellern, und Schriftsteller, die in Stunden des Müssiggangs gern
Buchhändler würden. -- Leipzig hat im Auslande den Ruf eines Dcmagogennestes,
aber es ist viel besser, als seil? Ruf. Mag sein, daß zu Anfang des vorigen Dc-
cennittmö, als so viele edle Polmflüchtlinge hier ihre Wunden zeigten und ihren
Schmerz ausweinten, der leipziger Liberalismus einen höhern Schwung und eine
glühendere Färbung annahm.. Seitdem ist in Deutschland Vieles anders geworden.
Die- eigentlichen PdMo"I.'L?-i'"o-mMj,".d,le kleinen Encckskinder, find, ausgewandert,
todt-oder verheirathet, und die Harfenmädchen haben die Marseillaise vergessen/
Dabei muß man bedenken, daß in Leipzig die Gastfreiheit eines Wirthshauses herrscht
und die Frcmdcntolerauz- eines Badeorts. Darum kommen immer noch die politi¬
schen Flüchtlinge (mit guten Pässen) hcrgcflohcn, und die unangefochtene,Redefrei¬
heit läßt sie revolutionäre Vivats und. Pereats nach Belieben ausbringen; aber es
ist nur ein schattenhafter Hokus, Pokus, den diese demagogischen Hexenmeister auf
den Kreuzwegen treiben, und die guten Leipziger amüst'ren sich daran, wie am Gast¬
spiel fahrender Comödianten. - Der eigentliche Einwohner ist in der Regel freisinnig,
aber allen Ultras, kosmopolitischen wie nationalen, abhold. Für berliner Lißt- und
Königsjubel ist hier eben so wenig ein Resonanzboden, wie für den Rhcinlied-oder
DowbaucnthusiasmuS. Auch im Politischen herrscht eine gewisse, kritische Kälte, die
zwar vor Luftsprüngen bewahrt, aber auch die großen, Bewegungen ausschließt.
Die feste, aber gemäßigte constitutionelle Gesinnung Leipzigs wird die gewonnenen
Rechte zäh und standhaft behaupten, aber kaum jemals neue Eroberungen Machen.
Die famose leipziger Julirevolution ist mir noch immer ein Räthsel, und fast möchte
ich der Sage glauben, die da flüstert, daß man damals wildfremde Gesichter in
.den Straßen sah, propagandistische Gestalten mit auöländijchem Accent und poli-


die grammatikalischen Fehler in den kleinern belletristischen Journalen. Der Autor,
der mit seinem geistigen Söhnlein zum ersten Male auf die hiesige Messe wall'
fahrtet, naht sich mit ehrfurchtsvoller Scheu der Buchhändlerbörse, wie ein Moslem,
wenn er zum ersten Male Mekka schaut, der Kaaba. Dagegen lächelt der Cinge-
vorne ironisch und sagt: »VrockhauS ist groß!» Er betrübt keine Mutter und er¬
zürnt keinen Vater, wenn er sich -der Literatur ergiebt, es mußte denn sein, daß er
blos Verse machte. Der Litcraturstand gilt ja hier für zünftig und beinahe ehrlich.
Freilich betrachtet dafür der gemeine Mann die Literatur als reine Buchhändler¬
sache und schätzt den Schriftsteller nach dem, was er (an Geld) verdient und nach
der Firma, für die er arbeitet. Das gebildete Publikum macht zu jeder neuen Er¬
scheinung kritischen Chorus; die Scheidewand zwischen Laien und Eingeweihten ist-
so ziemlich gefallen. Die sogenannten Orakel der Zeit, die Organe der öffentlichen
Meinung liest man nirgendswo mit größerem Fleiß und geringerem Glauben, als
auf einem leipziger Kaffeehause. Ueberdies giebt es hier Buchhändler, die in Mu¬
ßestunden Schriftstellern, und Schriftsteller, die in Stunden des Müssiggangs gern
Buchhändler würden. — Leipzig hat im Auslande den Ruf eines Dcmagogennestes,
aber es ist viel besser, als seil? Ruf. Mag sein, daß zu Anfang des vorigen Dc-
cennittmö, als so viele edle Polmflüchtlinge hier ihre Wunden zeigten und ihren
Schmerz ausweinten, der leipziger Liberalismus einen höhern Schwung und eine
glühendere Färbung annahm.. Seitdem ist in Deutschland Vieles anders geworden.
Die- eigentlichen PdMo«I.'L?-i'«o-mMj,".d,le kleinen Encckskinder, find, ausgewandert,
todt-oder verheirathet, und die Harfenmädchen haben die Marseillaise vergessen/
Dabei muß man bedenken, daß in Leipzig die Gastfreiheit eines Wirthshauses herrscht
und die Frcmdcntolerauz- eines Badeorts. Darum kommen immer noch die politi¬
schen Flüchtlinge (mit guten Pässen) hcrgcflohcn, und die unangefochtene,Redefrei¬
heit läßt sie revolutionäre Vivats und. Pereats nach Belieben ausbringen; aber es
ist nur ein schattenhafter Hokus, Pokus, den diese demagogischen Hexenmeister auf
den Kreuzwegen treiben, und die guten Leipziger amüst'ren sich daran, wie am Gast¬
spiel fahrender Comödianten. - Der eigentliche Einwohner ist in der Regel freisinnig,
aber allen Ultras, kosmopolitischen wie nationalen, abhold. Für berliner Lißt- und
Königsjubel ist hier eben so wenig ein Resonanzboden, wie für den Rhcinlied-oder
DowbaucnthusiasmuS. Auch im Politischen herrscht eine gewisse, kritische Kälte, die
zwar vor Luftsprüngen bewahrt, aber auch die großen, Bewegungen ausschließt.
Die feste, aber gemäßigte constitutionelle Gesinnung Leipzigs wird die gewonnenen
Rechte zäh und standhaft behaupten, aber kaum jemals neue Eroberungen Machen.
Die famose leipziger Julirevolution ist mir noch immer ein Räthsel, und fast möchte
ich der Sage glauben, die da flüstert, daß man damals wildfremde Gesichter in
.den Straßen sah, propagandistische Gestalten mit auöländijchem Accent und poli-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/450>, abgerufen am 23.07.2024.