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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Götter. Wer hat denn bei der Regierung Pathe gestanden? Hat sie
irgend ein Eigenthum, 'die Regierung/, das sie als Hypothek anbieten
könnte? -- ' , '

Mur könnte er allenfalls Grundbesitz erwerben; aber wer steht ihm
da, sagt er, für ein agrarisches Gesetz oder für eine dritte Auflage
der Kosaken? ' ' ,

Am Ende glauben Sie nun, meine lieben Leser, daß mein Nach¬
bar und seine ganze Klasse'weiter Nichts , als kalte Egoisten sind? Doch
nicht; er ist, obgleich Nomade, doch nicht mehr Egoist, als, ein andrer;
er ist es sogar weniger. Der Soldat im Bivouak knausert nicht mit
seinem Stücke Commisbrod, er theilt es brüderlich mit seinein Kamera¬
den; aber er hebt Nichts sür morgen aus; so auch der Nomade.,

Die politischen Meinungen des Nomaden im ,Allgemeinen, sind fast
null und nichtig. Er läßt die Kugel rollen, da er, fest überzeugt
ist, daß seine Bemühungen, sie aufzuhalten oder ihren, Lauf zu beschleu¬
nigen, vergebens sind. Wenn er in seine Mansarde heimgekehrt ist,
legt er sich in's, Fenster; wenn er nun da sieht, wie die Menge sich
in den Straßen drängt, während glänzende Wagen, feuersprühend über's
Pflaster rollen, wie die Stutzer, in ihren bunten Cravaten stolziren, wie
die Deputirten in die Kammer gehen,, um tauben Ohren M predigen,
und, wie die Schriftsteller Hre;Hohlen, ausgedroschenen Gedanken neu, zu
drapiren und zu verkaufen ^suchen, dann, reibt, er sich behaglich die Hände
und sagt: Wie , glücklich bin ich, daß ich kein solcher Narr bin!

Ist er selbst ein Narr, oder ist er etwa ein Philosoph? / Ich weiß
nur so viel, daß, da er selbst weder Möbel noch Bibliothek besitzt, er
sich durchaus nicht genirt, die Bücher und Sessel seines Nächsten, beson-
die meinigen zu-benutzen. -

Er könnte vielleicht, bei seinem -mannigfachen Wissen, auf eine
bessere Stellung Anspruch machen; aber er ist mit der seinigen zufrieden,
indem er mit dem Chor in der Braut von Messina sagt:


Aber hinter den großen Höhen
Folgt auch der tiefe, der donnernde Fall.

Er wünscht Nichts, er verlangt Nichts; er wartet ruhig die kom¬
menden Dinge ab. Er weiß nicht, was er morgen sein wird: Bischof
oder Sackträger, Gesandter oder Portier, Soldat in Europa oder Ta>
bakspflcmzer in Nordamerika; er ist ans Alles gefaßt, er ist auf Nichts


Götter. Wer hat denn bei der Regierung Pathe gestanden? Hat sie
irgend ein Eigenthum, 'die Regierung/, das sie als Hypothek anbieten
könnte? — ' , '

Mur könnte er allenfalls Grundbesitz erwerben; aber wer steht ihm
da, sagt er, für ein agrarisches Gesetz oder für eine dritte Auflage
der Kosaken? ' ' ,

Am Ende glauben Sie nun, meine lieben Leser, daß mein Nach¬
bar und seine ganze Klasse'weiter Nichts , als kalte Egoisten sind? Doch
nicht; er ist, obgleich Nomade, doch nicht mehr Egoist, als, ein andrer;
er ist es sogar weniger. Der Soldat im Bivouak knausert nicht mit
seinem Stücke Commisbrod, er theilt es brüderlich mit seinein Kamera¬
den; aber er hebt Nichts sür morgen aus; so auch der Nomade.,

Die politischen Meinungen des Nomaden im ,Allgemeinen, sind fast
null und nichtig. Er läßt die Kugel rollen, da er, fest überzeugt
ist, daß seine Bemühungen, sie aufzuhalten oder ihren, Lauf zu beschleu¬
nigen, vergebens sind. Wenn er in seine Mansarde heimgekehrt ist,
legt er sich in's, Fenster; wenn er nun da sieht, wie die Menge sich
in den Straßen drängt, während glänzende Wagen, feuersprühend über's
Pflaster rollen, wie die Stutzer, in ihren bunten Cravaten stolziren, wie
die Deputirten in die Kammer gehen,, um tauben Ohren M predigen,
und, wie die Schriftsteller Hre;Hohlen, ausgedroschenen Gedanken neu, zu
drapiren und zu verkaufen ^suchen, dann, reibt, er sich behaglich die Hände
und sagt: Wie , glücklich bin ich, daß ich kein solcher Narr bin!

Ist er selbst ein Narr, oder ist er etwa ein Philosoph? / Ich weiß
nur so viel, daß, da er selbst weder Möbel noch Bibliothek besitzt, er
sich durchaus nicht genirt, die Bücher und Sessel seines Nächsten, beson-
die meinigen zu-benutzen. -

Er könnte vielleicht, bei seinem -mannigfachen Wissen, auf eine
bessere Stellung Anspruch machen; aber er ist mit der seinigen zufrieden,
indem er mit dem Chor in der Braut von Messina sagt:


Aber hinter den großen Höhen
Folgt auch der tiefe, der donnernde Fall.

Er wünscht Nichts, er verlangt Nichts; er wartet ruhig die kom¬
menden Dinge ab. Er weiß nicht, was er morgen sein wird: Bischof
oder Sackträger, Gesandter oder Portier, Soldat in Europa oder Ta>
bakspflcmzer in Nordamerika; er ist ans Alles gefaßt, er ist auf Nichts


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[0429] Götter. Wer hat denn bei der Regierung Pathe gestanden? Hat sie irgend ein Eigenthum, 'die Regierung/, das sie als Hypothek anbieten könnte? — ' , ' Mur könnte er allenfalls Grundbesitz erwerben; aber wer steht ihm da, sagt er, für ein agrarisches Gesetz oder für eine dritte Auflage der Kosaken? ' ' , Am Ende glauben Sie nun, meine lieben Leser, daß mein Nach¬ bar und seine ganze Klasse'weiter Nichts , als kalte Egoisten sind? Doch nicht; er ist, obgleich Nomade, doch nicht mehr Egoist, als, ein andrer; er ist es sogar weniger. Der Soldat im Bivouak knausert nicht mit seinem Stücke Commisbrod, er theilt es brüderlich mit seinein Kamera¬ den; aber er hebt Nichts sür morgen aus; so auch der Nomade., Die politischen Meinungen des Nomaden im ,Allgemeinen, sind fast null und nichtig. Er läßt die Kugel rollen, da er, fest überzeugt ist, daß seine Bemühungen, sie aufzuhalten oder ihren, Lauf zu beschleu¬ nigen, vergebens sind. Wenn er in seine Mansarde heimgekehrt ist, legt er sich in's, Fenster; wenn er nun da sieht, wie die Menge sich in den Straßen drängt, während glänzende Wagen, feuersprühend über's Pflaster rollen, wie die Stutzer, in ihren bunten Cravaten stolziren, wie die Deputirten in die Kammer gehen,, um tauben Ohren M predigen, und, wie die Schriftsteller Hre;Hohlen, ausgedroschenen Gedanken neu, zu drapiren und zu verkaufen ^suchen, dann, reibt, er sich behaglich die Hände und sagt: Wie , glücklich bin ich, daß ich kein solcher Narr bin! Ist er selbst ein Narr, oder ist er etwa ein Philosoph? / Ich weiß nur so viel, daß, da er selbst weder Möbel noch Bibliothek besitzt, er sich durchaus nicht genirt, die Bücher und Sessel seines Nächsten, beson- die meinigen zu-benutzen. - Er könnte vielleicht, bei seinem -mannigfachen Wissen, auf eine bessere Stellung Anspruch machen; aber er ist mit der seinigen zufrieden, indem er mit dem Chor in der Braut von Messina sagt: Aber hinter den großen Höhen Folgt auch der tiefe, der donnernde Fall. Er wünscht Nichts, er verlangt Nichts; er wartet ruhig die kom¬ menden Dinge ab. Er weiß nicht, was er morgen sein wird: Bischof oder Sackträger, Gesandter oder Portier, Soldat in Europa oder Ta> bakspflcmzer in Nordamerika; er ist ans Alles gefaßt, er ist auf Nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/429>, abgerufen am 22.12.2024.