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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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auch richtig von 1813 andiedeutschenundspäterenFeldzügemit, erwarb aber
darin nichts, als eine oberflächliche Kenntniß des Deutschen und einige tiefge¬
hende Wunden. Nach, dem Sturze des Kaiserreichs schickten ihn'seine Eltern
vom Neuen auf die Universität, und er mußte) ehe er zum Besuche der
Römischen Nechtöcollegien zugelassen ward, erst seine Gynasialstudien
wieder aufnehmen.. Er wurde endlich Advokat, und konnte bald zum
Substituten an einem Gerichtshöfe ernannt werden; aber er zog es vor,
Opposition zu machen, und ward Journalist.. Vor 1330 ernährte die
Journalistik noch ihren Mann; seitdem aber ist das Handwerk -- denn
mehr ist es in Frankreich nicht -- durch die Concurrenz heruntergekom¬
men, so daß mein Nachbar eine Zeitlang in ziemlich mißlichen Verb. M-
a'sser lebte. Jetzt ist es ihm gelungen, eine Lehrerstelle an einem Gym¬
nasium zu erwischen, und er würde mit seiner gegenwärtigen Lage sehr
zufrieden sein, wenn ihm Nicht die Erfahrung Mißtrauen gegen die Zu¬
kunft eingeflößt hätte; daher sieht er seine Lage immer nur als eine provi¬
sorische, sich selbst also nur als einen Nomciden an, Md demgemäß
handelt er. ,

Man sieht leicht ein , daß durch diese fortwährende Beschäftigung,
mit dein was die Zukunft bringen kann, seine Stellung durchaus schief wird.

, Obgleich Lehrer, schafft er sich doch keine Bücher an; denn er
müßte sie morgen vielleicht zu einem Spottpreis wieder verkaufen, wie
ihm dies 1S30 schon mit seiner juristischen Bibliothek passirt ist. Aus
demselben Grunde belästigt er sich auch nie mit Möbeln, denn er hat
in der Julirevolution die schönsten Möbeln für ein Lumpengeld verschleu¬
dern sehen. Und aus derselben Ursache heirathet er auch nicht; denn
einmal lebt' er nicht in England, wo man seine Frau verkaufen kann,
und sodann ist, wie er sagt, bei einem plötzlichen Tumulte eine Frau
nur ein Hinderniß. Man ist nicht immer so geschickt, seine Creusa in
einer Revolution zu verlieren.

- Sie sehen, meine lieben Leser, mein Nachbar siebt Alles voraus,
und berechnet Alles... Und doch giebt er mit der regelmäßigsten Ge¬
nauigkeit jeden Monat sein ganzes Einkommen aus, ohne an jene Tage
zu denken, von denen es heißt: "Sie, werden Dir nicht gefallen.// Aber
das ist eben seine Consequenz. Denn, wem sollte er seine Ersparnisse
anvertrauen? Ihm flößt keine Bank Europa's hinlängliches Zutrauen
ein. Die Negierung ,? ' '

Ich l)ore schon wie er frägt, wer das ist, die Regierung? Ge¬
stern Thiers, heute Guizot, morgen? Ja, das wissen die unsterblichen


auch richtig von 1813 andiedeutschenundspäterenFeldzügemit, erwarb aber
darin nichts, als eine oberflächliche Kenntniß des Deutschen und einige tiefge¬
hende Wunden. Nach, dem Sturze des Kaiserreichs schickten ihn'seine Eltern
vom Neuen auf die Universität, und er mußte) ehe er zum Besuche der
Römischen Nechtöcollegien zugelassen ward, erst seine Gynasialstudien
wieder aufnehmen.. Er wurde endlich Advokat, und konnte bald zum
Substituten an einem Gerichtshöfe ernannt werden; aber er zog es vor,
Opposition zu machen, und ward Journalist.. Vor 1330 ernährte die
Journalistik noch ihren Mann; seitdem aber ist das Handwerk — denn
mehr ist es in Frankreich nicht — durch die Concurrenz heruntergekom¬
men, so daß mein Nachbar eine Zeitlang in ziemlich mißlichen Verb. M-
a'sser lebte. Jetzt ist es ihm gelungen, eine Lehrerstelle an einem Gym¬
nasium zu erwischen, und er würde mit seiner gegenwärtigen Lage sehr
zufrieden sein, wenn ihm Nicht die Erfahrung Mißtrauen gegen die Zu¬
kunft eingeflößt hätte; daher sieht er seine Lage immer nur als eine provi¬
sorische, sich selbst also nur als einen Nomciden an, Md demgemäß
handelt er. ,

Man sieht leicht ein , daß durch diese fortwährende Beschäftigung,
mit dein was die Zukunft bringen kann, seine Stellung durchaus schief wird.

, Obgleich Lehrer, schafft er sich doch keine Bücher an; denn er
müßte sie morgen vielleicht zu einem Spottpreis wieder verkaufen, wie
ihm dies 1S30 schon mit seiner juristischen Bibliothek passirt ist. Aus
demselben Grunde belästigt er sich auch nie mit Möbeln, denn er hat
in der Julirevolution die schönsten Möbeln für ein Lumpengeld verschleu¬
dern sehen. Und aus derselben Ursache heirathet er auch nicht; denn
einmal lebt' er nicht in England, wo man seine Frau verkaufen kann,
und sodann ist, wie er sagt, bei einem plötzlichen Tumulte eine Frau
nur ein Hinderniß. Man ist nicht immer so geschickt, seine Creusa in
einer Revolution zu verlieren.

- Sie sehen, meine lieben Leser, mein Nachbar siebt Alles voraus,
und berechnet Alles... Und doch giebt er mit der regelmäßigsten Ge¬
nauigkeit jeden Monat sein ganzes Einkommen aus, ohne an jene Tage
zu denken, von denen es heißt: "Sie, werden Dir nicht gefallen.// Aber
das ist eben seine Consequenz. Denn, wem sollte er seine Ersparnisse
anvertrauen? Ihm flößt keine Bank Europa's hinlängliches Zutrauen
ein. Die Negierung ,? ' '

Ich l)ore schon wie er frägt, wer das ist, die Regierung? Ge¬
stern Thiers, heute Guizot, morgen? Ja, das wissen die unsterblichen


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[0428] auch richtig von 1813 andiedeutschenundspäterenFeldzügemit, erwarb aber darin nichts, als eine oberflächliche Kenntniß des Deutschen und einige tiefge¬ hende Wunden. Nach, dem Sturze des Kaiserreichs schickten ihn'seine Eltern vom Neuen auf die Universität, und er mußte) ehe er zum Besuche der Römischen Nechtöcollegien zugelassen ward, erst seine Gynasialstudien wieder aufnehmen.. Er wurde endlich Advokat, und konnte bald zum Substituten an einem Gerichtshöfe ernannt werden; aber er zog es vor, Opposition zu machen, und ward Journalist.. Vor 1330 ernährte die Journalistik noch ihren Mann; seitdem aber ist das Handwerk — denn mehr ist es in Frankreich nicht — durch die Concurrenz heruntergekom¬ men, so daß mein Nachbar eine Zeitlang in ziemlich mißlichen Verb. M- a'sser lebte. Jetzt ist es ihm gelungen, eine Lehrerstelle an einem Gym¬ nasium zu erwischen, und er würde mit seiner gegenwärtigen Lage sehr zufrieden sein, wenn ihm Nicht die Erfahrung Mißtrauen gegen die Zu¬ kunft eingeflößt hätte; daher sieht er seine Lage immer nur als eine provi¬ sorische, sich selbst also nur als einen Nomciden an, Md demgemäß handelt er. , Man sieht leicht ein , daß durch diese fortwährende Beschäftigung, mit dein was die Zukunft bringen kann, seine Stellung durchaus schief wird. , Obgleich Lehrer, schafft er sich doch keine Bücher an; denn er müßte sie morgen vielleicht zu einem Spottpreis wieder verkaufen, wie ihm dies 1S30 schon mit seiner juristischen Bibliothek passirt ist. Aus demselben Grunde belästigt er sich auch nie mit Möbeln, denn er hat in der Julirevolution die schönsten Möbeln für ein Lumpengeld verschleu¬ dern sehen. Und aus derselben Ursache heirathet er auch nicht; denn einmal lebt' er nicht in England, wo man seine Frau verkaufen kann, und sodann ist, wie er sagt, bei einem plötzlichen Tumulte eine Frau nur ein Hinderniß. Man ist nicht immer so geschickt, seine Creusa in einer Revolution zu verlieren. - Sie sehen, meine lieben Leser, mein Nachbar siebt Alles voraus, und berechnet Alles... Und doch giebt er mit der regelmäßigsten Ge¬ nauigkeit jeden Monat sein ganzes Einkommen aus, ohne an jene Tage zu denken, von denen es heißt: "Sie, werden Dir nicht gefallen.// Aber das ist eben seine Consequenz. Denn, wem sollte er seine Ersparnisse anvertrauen? Ihm flößt keine Bank Europa's hinlängliches Zutrauen ein. Die Negierung ,? ' ' Ich l)ore schon wie er frägt, wer das ist, die Regierung? Ge¬ stern Thiers, heute Guizot, morgen? Ja, das wissen die unsterblichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/428>, abgerufen am 04.07.2024.