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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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rr, ob er gleich an Jemanden verkaufen muß, kein- besondere Person dabei im
Auge bat, mich, sobald die rechte Zeit gekommen-' ist, eben wegen der Art seines
Geschäfts/ um Abnehmer nicht verlegen sein kann.

Während man in London auf die Ankunft der deutschen Opcrntruppc unter der
Direction des Herrn Schumann wartet, kündigt das Journal des Dcbats das nahe
Eintreffen derselben in Paris an, wo sie bereits am 16. d. M. ihre erste Vorstel¬
lung im Saale der italienischen Oper geben soll. Ihr Repertoire soll 8 Opern
umfassen, nämlich die drei Meisterwerke Webers, drei Opern von Mozart, Fidelio
von Beethoven und Glucks Armida. Wir haben keine großen Hoffnungen für das
'Gelingen dieser Unternehmung, da eS in Deutschland überhaupt wenige Sänger und
Sängerinnen giebt, welche die Feuerprobe vor dem Pariser Publikum bestehen könn¬
ten. Eine deutsche Opcrntruppe in Paris müßte, um zu reussiren, ausfolgenden
Mitgliedern zusammengesetzt sein: Prima Donna: Sophie Löwe, Jennv Lutzer, Has¬
se!-Barthz Tenore: Martius, Tichatschck, Schmelzer, Lasse, Staudigk und Rei¬
ches Baritone wachsen in Deutschland auf allen Zweigen, man braucht nur zuzu¬
greifen.

Von 50,000 Schriften, die im siebenzehnten Jahrhundert erschienen sind, zählt
man nur noch 50, die sich eines großen Rufs erfreuen und wieder aufgelegt wer¬
den. Von den 50,000 Schriften des achtzehnten Jahrhunderts hat die Nachwelt
nicht mehr aufbewahrt, als von denen des siebenzehnten. Seit 3000 Jahren wer¬
den Bücher geschrieben, und es giebt nur 500 Schriftsteller auf dem ganzen Erd¬
boden, die der vernichtenden Zeit entronnen sind. Diese statistischen Details bieten
auch eine moralische Seite dar, die gar sehr der Vetrachtnng würdig ist. Aber sind
darum die Tausende von vergessenen Schriften unnütz gewesen? Sollen nur die,
welche sich durch ihre Schriften unvergängliche Denkmäler zu setzen hoffen dürfen,
zur Feder greifen? So wenig Menschen Genies zu sein brauchen, um nützlich zu
sein, so wenig ihre Schriften. Jeder nur einigermaßen begabte und wirksame Mensch
ist ein zur Zeit unentbehrliches Glied in der Kette der Gesellschaft, und wer mag
den Segen ermessen, der von den im Zcitcnstrome fortgerissenen Schriften auf die
Mitwelt sich verbreitet, und die Impulse, Grundlagen, Stützpunkte und Wcgbah-
mmgen, die ihnen die überlebenden, unsterblichen verdanken? Die besonderen tem¬
porären Bedürfnisse fordern eben fo wohl ihre Befriedigung, als die allgemeinen
und ewigen, und wer mit seiner kleineren Kraft nur dem engeren Kreise und für
kürzere Zeit nützlich zu sein Vermag, der fürchte sich nicht, mit seinen wenigen
Pfunden auch als Schriftsteller zu wuchern; sein Same geht nicht verloren, wenn
auch sein Name. Noch Eins! In Deutschland erscheinen jetzt mehr als 3 Dutzend
Pädagogischer Zeitschriften.. Setzt jedes nur 500 Exemplare ab, und rechnen wir


rr, ob er gleich an Jemanden verkaufen muß, kein- besondere Person dabei im
Auge bat, mich, sobald die rechte Zeit gekommen-' ist, eben wegen der Art seines
Geschäfts/ um Abnehmer nicht verlegen sein kann.

Während man in London auf die Ankunft der deutschen Opcrntruppc unter der
Direction des Herrn Schumann wartet, kündigt das Journal des Dcbats das nahe
Eintreffen derselben in Paris an, wo sie bereits am 16. d. M. ihre erste Vorstel¬
lung im Saale der italienischen Oper geben soll. Ihr Repertoire soll 8 Opern
umfassen, nämlich die drei Meisterwerke Webers, drei Opern von Mozart, Fidelio
von Beethoven und Glucks Armida. Wir haben keine großen Hoffnungen für das
'Gelingen dieser Unternehmung, da eS in Deutschland überhaupt wenige Sänger und
Sängerinnen giebt, welche die Feuerprobe vor dem Pariser Publikum bestehen könn¬
ten. Eine deutsche Opcrntruppe in Paris müßte, um zu reussiren, ausfolgenden
Mitgliedern zusammengesetzt sein: Prima Donna: Sophie Löwe, Jennv Lutzer, Has¬
se!-Barthz Tenore: Martius, Tichatschck, Schmelzer, Lasse, Staudigk und Rei¬
ches Baritone wachsen in Deutschland auf allen Zweigen, man braucht nur zuzu¬
greifen.

Von 50,000 Schriften, die im siebenzehnten Jahrhundert erschienen sind, zählt
man nur noch 50, die sich eines großen Rufs erfreuen und wieder aufgelegt wer¬
den. Von den 50,000 Schriften des achtzehnten Jahrhunderts hat die Nachwelt
nicht mehr aufbewahrt, als von denen des siebenzehnten. Seit 3000 Jahren wer¬
den Bücher geschrieben, und es giebt nur 500 Schriftsteller auf dem ganzen Erd¬
boden, die der vernichtenden Zeit entronnen sind. Diese statistischen Details bieten
auch eine moralische Seite dar, die gar sehr der Vetrachtnng würdig ist. Aber sind
darum die Tausende von vergessenen Schriften unnütz gewesen? Sollen nur die,
welche sich durch ihre Schriften unvergängliche Denkmäler zu setzen hoffen dürfen,
zur Feder greifen? So wenig Menschen Genies zu sein brauchen, um nützlich zu
sein, so wenig ihre Schriften. Jeder nur einigermaßen begabte und wirksame Mensch
ist ein zur Zeit unentbehrliches Glied in der Kette der Gesellschaft, und wer mag
den Segen ermessen, der von den im Zcitcnstrome fortgerissenen Schriften auf die
Mitwelt sich verbreitet, und die Impulse, Grundlagen, Stützpunkte und Wcgbah-
mmgen, die ihnen die überlebenden, unsterblichen verdanken? Die besonderen tem¬
porären Bedürfnisse fordern eben fo wohl ihre Befriedigung, als die allgemeinen
und ewigen, und wer mit seiner kleineren Kraft nur dem engeren Kreise und für
kürzere Zeit nützlich zu sein Vermag, der fürchte sich nicht, mit seinen wenigen
Pfunden auch als Schriftsteller zu wuchern; sein Same geht nicht verloren, wenn
auch sein Name. Noch Eins! In Deutschland erscheinen jetzt mehr als 3 Dutzend
Pädagogischer Zeitschriften.. Setzt jedes nur 500 Exemplare ab, und rechnen wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/391>, abgerufen am 23.07.2024.