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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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religiösen Doctrinen, so Haben sie schon seit längerer Zeit ihre volle,
wissenschaftliche Begründung gesunden. Vielleicht werden manche Leser
der' Fichteschen Schrift eine ausdrückliche Rücksicht auf die neuern, über
Schelling und Hegel methodisch sich erhebenden, und Herrn Fichte's
eigner Ansichten am nächsten stehenden Lehren vermissen; doch kann ich
in dem Uebergehen derselben nur eine nothwendige, im Plane des Wer¬
kes liegende Folge sehen, da, wie schon der Titel aussagt, das von dem
Verfasser gewählte Feld mit Hegel abzuschließen war. Für uns reicht
es hin, die Bemerkung auszusprechen, daß die oben erwähnten Grund¬
gedanken und ihre wissenschaftliche Entwicklung am reinsten in den Krau¬
seschen Schriften niedergelegt ist. Es handelt sich hier nicht um bloße,
Forderungen des gemeinen Bewußtseins und Gefühls, sondern,um eine
wahrhaft' rationale Erkenntniß und organisch vollständige Darstellung
jener Begriffe, und um wissenschaftliche Einsicht in das Princip auf
welchem sie beruhen. Es ist eine erfreuliche Thatsache, die uns eine
endliche Versöhnung der metaphysischen mit den moralischen, politischen
und religiösen Wissenschaften und eine Höherbildung aller hoffen läßt,
daß jene erstwesentlichen Wahrheiten von mehren Seiten her, in unab¬
hängiger Untersuchung gefunden und festgestellt werden. Sehen wir frei¬
lich- in einem so ausgedehnten Werke,, wie das Fichtesche ist, jene Wahr¬
heiten noch ans dem Wege historischer Kritik angestrebt, sehen wir sie
als jüngstcrrichtete Pfeiler der Philosophie der Zukunft bezeich¬
net, so mag, es denen, die beim heutigen Auftreten dieser Thoren eine
theilweise Wiederholung ihrer jugendlichen Studien durchmachen, nicht
zu verargen sein, wenn sie, bei der Lectüre des Buches, des Gefühles
in eine frühere.Zeit zurückgerathm zu sein, sich nicht/ entschlagen
können. Sie werden aber auch in ihrer Ueberzeugung sich bestärken,
wenn sie sehen, welche Mittel der Gelehrsamkeit und Speculation auf¬
gewandt werden, um Wahrheiten als Endziele der wissenschaftlichen
Entwicklung zu verfolgen und zu. verkünden, die sie als erste philoso¬
phische Nahrung aufgenommen, als beständigen Boden ihres Sinnens
und Strebens bewahrt, die sie in Gewohnheit des Gefühls, Willens
und Lebens umgewandelt haben. Aber bei ihnen wird Herrn Fichte's,
Bemühen, der speculativen Theologie Geltung zu verschaffen,, am ^be¬
reitwilligsten gewürdigt und anerkannt, werden; ist es doch eine Grund¬
lage der Aufgabe, welche die gegenwärtig Philojophirenden vorzugsweise,
und gemeinsam angreifen sollten, die Philosophie der.Menschheit- und,,
der Geschichte, tiefer und lebmvoller auszugestalten.


religiösen Doctrinen, so Haben sie schon seit längerer Zeit ihre volle,
wissenschaftliche Begründung gesunden. Vielleicht werden manche Leser
der' Fichteschen Schrift eine ausdrückliche Rücksicht auf die neuern, über
Schelling und Hegel methodisch sich erhebenden, und Herrn Fichte's
eigner Ansichten am nächsten stehenden Lehren vermissen; doch kann ich
in dem Uebergehen derselben nur eine nothwendige, im Plane des Wer¬
kes liegende Folge sehen, da, wie schon der Titel aussagt, das von dem
Verfasser gewählte Feld mit Hegel abzuschließen war. Für uns reicht
es hin, die Bemerkung auszusprechen, daß die oben erwähnten Grund¬
gedanken und ihre wissenschaftliche Entwicklung am reinsten in den Krau¬
seschen Schriften niedergelegt ist. Es handelt sich hier nicht um bloße,
Forderungen des gemeinen Bewußtseins und Gefühls, sondern,um eine
wahrhaft' rationale Erkenntniß und organisch vollständige Darstellung
jener Begriffe, und um wissenschaftliche Einsicht in das Princip auf
welchem sie beruhen. Es ist eine erfreuliche Thatsache, die uns eine
endliche Versöhnung der metaphysischen mit den moralischen, politischen
und religiösen Wissenschaften und eine Höherbildung aller hoffen läßt,
daß jene erstwesentlichen Wahrheiten von mehren Seiten her, in unab¬
hängiger Untersuchung gefunden und festgestellt werden. Sehen wir frei¬
lich- in einem so ausgedehnten Werke,, wie das Fichtesche ist, jene Wahr¬
heiten noch ans dem Wege historischer Kritik angestrebt, sehen wir sie
als jüngstcrrichtete Pfeiler der Philosophie der Zukunft bezeich¬
net, so mag, es denen, die beim heutigen Auftreten dieser Thoren eine
theilweise Wiederholung ihrer jugendlichen Studien durchmachen, nicht
zu verargen sein, wenn sie, bei der Lectüre des Buches, des Gefühles
in eine frühere.Zeit zurückgerathm zu sein, sich nicht/ entschlagen
können. Sie werden aber auch in ihrer Ueberzeugung sich bestärken,
wenn sie sehen, welche Mittel der Gelehrsamkeit und Speculation auf¬
gewandt werden, um Wahrheiten als Endziele der wissenschaftlichen
Entwicklung zu verfolgen und zu. verkünden, die sie als erste philoso¬
phische Nahrung aufgenommen, als beständigen Boden ihres Sinnens
und Strebens bewahrt, die sie in Gewohnheit des Gefühls, Willens
und Lebens umgewandelt haben. Aber bei ihnen wird Herrn Fichte's,
Bemühen, der speculativen Theologie Geltung zu verschaffen,, am ^be¬
reitwilligsten gewürdigt und anerkannt, werden; ist es doch eine Grund¬
lage der Aufgabe, welche die gegenwärtig Philojophirenden vorzugsweise,
und gemeinsam angreifen sollten, die Philosophie der.Menschheit- und,,
der Geschichte, tiefer und lebmvoller auszugestalten.


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[0384] religiösen Doctrinen, so Haben sie schon seit längerer Zeit ihre volle, wissenschaftliche Begründung gesunden. Vielleicht werden manche Leser der' Fichteschen Schrift eine ausdrückliche Rücksicht auf die neuern, über Schelling und Hegel methodisch sich erhebenden, und Herrn Fichte's eigner Ansichten am nächsten stehenden Lehren vermissen; doch kann ich in dem Uebergehen derselben nur eine nothwendige, im Plane des Wer¬ kes liegende Folge sehen, da, wie schon der Titel aussagt, das von dem Verfasser gewählte Feld mit Hegel abzuschließen war. Für uns reicht es hin, die Bemerkung auszusprechen, daß die oben erwähnten Grund¬ gedanken und ihre wissenschaftliche Entwicklung am reinsten in den Krau¬ seschen Schriften niedergelegt ist. Es handelt sich hier nicht um bloße, Forderungen des gemeinen Bewußtseins und Gefühls, sondern,um eine wahrhaft' rationale Erkenntniß und organisch vollständige Darstellung jener Begriffe, und um wissenschaftliche Einsicht in das Princip auf welchem sie beruhen. Es ist eine erfreuliche Thatsache, die uns eine endliche Versöhnung der metaphysischen mit den moralischen, politischen und religiösen Wissenschaften und eine Höherbildung aller hoffen läßt, daß jene erstwesentlichen Wahrheiten von mehren Seiten her, in unab¬ hängiger Untersuchung gefunden und festgestellt werden. Sehen wir frei¬ lich- in einem so ausgedehnten Werke,, wie das Fichtesche ist, jene Wahr¬ heiten noch ans dem Wege historischer Kritik angestrebt, sehen wir sie als jüngstcrrichtete Pfeiler der Philosophie der Zukunft bezeich¬ net, so mag, es denen, die beim heutigen Auftreten dieser Thoren eine theilweise Wiederholung ihrer jugendlichen Studien durchmachen, nicht zu verargen sein, wenn sie, bei der Lectüre des Buches, des Gefühles in eine frühere.Zeit zurückgerathm zu sein, sich nicht/ entschlagen können. Sie werden aber auch in ihrer Ueberzeugung sich bestärken, wenn sie sehen, welche Mittel der Gelehrsamkeit und Speculation auf¬ gewandt werden, um Wahrheiten als Endziele der wissenschaftlichen Entwicklung zu verfolgen und zu. verkünden, die sie als erste philoso¬ phische Nahrung aufgenommen, als beständigen Boden ihres Sinnens und Strebens bewahrt, die sie in Gewohnheit des Gefühls, Willens und Lebens umgewandelt haben. Aber bei ihnen wird Herrn Fichte's, Bemühen, der speculativen Theologie Geltung zu verschaffen,, am ^be¬ reitwilligsten gewürdigt und anerkannt, werden; ist es doch eine Grund¬ lage der Aufgabe, welche die gegenwärtig Philojophirenden vorzugsweise, und gemeinsam angreifen sollten, die Philosophie der.Menschheit- und,, der Geschichte, tiefer und lebmvoller auszugestalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/384>, abgerufen am 23.07.2024.