Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre stark charakterisirteii Köpfe ankündigen, was sie sind, große Krieger
und große Politiker, alt geworden in den Höchsten Staatsämtern, aber
nicht erschöpft, und daß sie alle Kraft des Mannesalters unter dem schein¬
baren Cise des Greisensalters beibehalten. Ihre Züge sind mager, ihr
Profil winklicht, ihre Stirn offen und stark entwickelt; eine unbeschreib¬
liche Mischung von Feinheit, Lebhaftigkeit und Entschlossenheit liegt in
ihrem Blick; das sind die Dogen der guten Zeit. Bei den Dogen des
Verfalls haben die Gesichter diesen Charakter verloren, der ihnen allen
so viel gemeinschaftliche Aehnlichkeit verlieh; der Typus wird undeutlich
und verwischt sich bald ganz; das Gesicht wird voller; der Blick ver¬
liert sein Feuer; eine große Unsicherheit herrscht im Ausdruck der weicher
gewordenen Gesichtslinien, und daß deL' große Bart fehlt, benimmt ih¬
nen den letzten Nest ihrer äußern Würde. Wie aber die gepuderte Pe¬
rücke kömmt, auf der die gelbe phr^gische Dogcmnütze wie ein Anachro¬
nismus sich ausnimmt, da, mochte man fast sagen, verschlechtert sich die
Race der großen Familien immer mehr, und das venetianische Blut
wird ärmer. Es sind wohl noch dieselben Namen, wie in den schönen
Tagen der Republik, aber wie verschieden ^sind die Personen! Die he¬
roische Maske ist verschwunden, und wenn die Köpfe noch nicht gemein
sind, so fühlt man doch, daß sie Nichts mehr darstellen, daß nicht mehr
ausfallen ihren Poren Ein^ Gedanke-dringt, Äer daß, wenn sie'etwas
darstellend es der Verfall der menschlichen Größe ist. Man sage mir,
warum eine so große Aehnlichkeit zwischen den bleichen Nachfolgern Phi¬
lipps'11/ und den letzten Dogen von Venedig herrscht? Sollte Dyna-
stieen und Oligarchien gleichermaßen der unerklärbare Stempel der'Zer-
störung aufgedrückt werden, sobald die Vorsehung beschlossen, daß sie
erlöschen sollen, und sollte der Schöpfer in diesem feierlichen'Umstände
dem Gesetze folgen, das er sich selbst gegeben zu haben scheint, Allem,
Was er zum Sterben veruriheilt, den.Tod sanft und'unmerklich zu ma¬
chen? Das Portrait des letzten Dogen, Lodovico Mamin, ist vorzüglich
von diesem Punkte aus merkwürdig. Es ist ein armes Gesicht eines
bleichen, zusammengeschrumpften Greises, dessen Lippen der'letzte Athem- "
, zug zu entschweben scheint. Nun denke matt sich dieses Gesicht von zwei
ungeheuren schneeweiß gepuderten Taubenflügeln beschattet. Das Me¬
lancholische und das Groteske machen einander in diesem Bilde des letz¬
ten Herzogs von Venedig den Platz streitig; und doch trägt, wenn man
es aufmerksam betrachtet, das Mitleid den Sieg davon. Ich verweile
gern bei dem Gedanken, daß dieser arme Greis, der nicht die Kraft


ihre stark charakterisirteii Köpfe ankündigen, was sie sind, große Krieger
und große Politiker, alt geworden in den Höchsten Staatsämtern, aber
nicht erschöpft, und daß sie alle Kraft des Mannesalters unter dem schein¬
baren Cise des Greisensalters beibehalten. Ihre Züge sind mager, ihr
Profil winklicht, ihre Stirn offen und stark entwickelt; eine unbeschreib¬
liche Mischung von Feinheit, Lebhaftigkeit und Entschlossenheit liegt in
ihrem Blick; das sind die Dogen der guten Zeit. Bei den Dogen des
Verfalls haben die Gesichter diesen Charakter verloren, der ihnen allen
so viel gemeinschaftliche Aehnlichkeit verlieh; der Typus wird undeutlich
und verwischt sich bald ganz; das Gesicht wird voller; der Blick ver¬
liert sein Feuer; eine große Unsicherheit herrscht im Ausdruck der weicher
gewordenen Gesichtslinien, und daß deL' große Bart fehlt, benimmt ih¬
nen den letzten Nest ihrer äußern Würde. Wie aber die gepuderte Pe¬
rücke kömmt, auf der die gelbe phr^gische Dogcmnütze wie ein Anachro¬
nismus sich ausnimmt, da, mochte man fast sagen, verschlechtert sich die
Race der großen Familien immer mehr, und das venetianische Blut
wird ärmer. Es sind wohl noch dieselben Namen, wie in den schönen
Tagen der Republik, aber wie verschieden ^sind die Personen! Die he¬
roische Maske ist verschwunden, und wenn die Köpfe noch nicht gemein
sind, so fühlt man doch, daß sie Nichts mehr darstellen, daß nicht mehr
ausfallen ihren Poren Ein^ Gedanke-dringt, Äer daß, wenn sie'etwas
darstellend es der Verfall der menschlichen Größe ist. Man sage mir,
warum eine so große Aehnlichkeit zwischen den bleichen Nachfolgern Phi¬
lipps'11/ und den letzten Dogen von Venedig herrscht? Sollte Dyna-
stieen und Oligarchien gleichermaßen der unerklärbare Stempel der'Zer-
störung aufgedrückt werden, sobald die Vorsehung beschlossen, daß sie
erlöschen sollen, und sollte der Schöpfer in diesem feierlichen'Umstände
dem Gesetze folgen, das er sich selbst gegeben zu haben scheint, Allem,
Was er zum Sterben veruriheilt, den.Tod sanft und'unmerklich zu ma¬
chen? Das Portrait des letzten Dogen, Lodovico Mamin, ist vorzüglich
von diesem Punkte aus merkwürdig. Es ist ein armes Gesicht eines
bleichen, zusammengeschrumpften Greises, dessen Lippen der'letzte Athem- «
, zug zu entschweben scheint. Nun denke matt sich dieses Gesicht von zwei
ungeheuren schneeweiß gepuderten Taubenflügeln beschattet. Das Me¬
lancholische und das Groteske machen einander in diesem Bilde des letz¬
ten Herzogs von Venedig den Platz streitig; und doch trägt, wenn man
es aufmerksam betrachtet, das Mitleid den Sieg davon. Ich verweile
gern bei dem Gedanken, daß dieser arme Greis, der nicht die Kraft


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267589"/>
            <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372" next="#ID_1374"> ihre stark charakterisirteii Köpfe ankündigen, was sie sind, große Krieger<lb/>
und große Politiker, alt geworden in den Höchsten Staatsämtern, aber<lb/>
nicht erschöpft, und daß sie alle Kraft des Mannesalters unter dem schein¬<lb/>
baren Cise des Greisensalters beibehalten. Ihre Züge sind mager, ihr<lb/>
Profil winklicht, ihre Stirn offen und stark entwickelt; eine unbeschreib¬<lb/>
liche Mischung von Feinheit, Lebhaftigkeit und Entschlossenheit liegt in<lb/>
ihrem Blick; das sind die Dogen der guten Zeit. Bei den Dogen des<lb/>
Verfalls haben die Gesichter diesen Charakter verloren, der ihnen allen<lb/>
so viel gemeinschaftliche Aehnlichkeit verlieh; der Typus wird undeutlich<lb/>
und verwischt sich bald ganz; das Gesicht wird voller; der Blick ver¬<lb/>
liert sein Feuer; eine große Unsicherheit herrscht im Ausdruck der weicher<lb/>
gewordenen Gesichtslinien, und daß deL' große Bart fehlt, benimmt ih¬<lb/>
nen den letzten Nest ihrer äußern Würde. Wie aber die gepuderte Pe¬<lb/>
rücke kömmt, auf der die gelbe phr^gische Dogcmnütze wie ein Anachro¬<lb/>
nismus sich ausnimmt, da, mochte man fast sagen, verschlechtert sich die<lb/>
Race der großen Familien immer mehr, und das venetianische Blut<lb/>
wird ärmer. Es sind wohl noch dieselben Namen, wie in den schönen<lb/>
Tagen der Republik, aber wie verschieden ^sind die Personen! Die he¬<lb/>
roische Maske ist verschwunden, und wenn die Köpfe noch nicht gemein<lb/>
sind, so fühlt man doch, daß sie Nichts mehr darstellen, daß nicht mehr<lb/>
ausfallen ihren Poren Ein^ Gedanke-dringt, Äer daß, wenn sie'etwas<lb/>
darstellend es der Verfall der menschlichen Größe ist. Man sage mir,<lb/>
warum eine so große Aehnlichkeit zwischen den bleichen Nachfolgern Phi¬<lb/>
lipps'11/ und den letzten Dogen von Venedig herrscht? Sollte Dyna-<lb/>
stieen und Oligarchien gleichermaßen der unerklärbare Stempel der'Zer-<lb/>
störung aufgedrückt werden, sobald die Vorsehung beschlossen, daß sie<lb/>
erlöschen sollen, und sollte der Schöpfer in diesem feierlichen'Umstände<lb/>
dem Gesetze folgen, das er sich selbst gegeben zu haben scheint, Allem,<lb/>
Was er zum Sterben veruriheilt, den.Tod sanft und'unmerklich zu ma¬<lb/>
chen? Das Portrait des letzten Dogen, Lodovico Mamin, ist vorzüglich<lb/>
von diesem Punkte aus merkwürdig. Es ist ein armes Gesicht eines<lb/>
bleichen, zusammengeschrumpften Greises, dessen Lippen der'letzte Athem- «<lb/>
, zug zu entschweben scheint. Nun denke matt sich dieses Gesicht von zwei<lb/>
ungeheuren schneeweiß gepuderten Taubenflügeln beschattet. Das Me¬<lb/>
lancholische und das Groteske machen einander in diesem Bilde des letz¬<lb/>
ten Herzogs von Venedig den Platz streitig; und doch trägt, wenn man<lb/>
es aufmerksam betrachtet, das Mitleid den Sieg davon. Ich verweile<lb/>
gern bei dem Gedanken, daß dieser arme Greis, der nicht die Kraft</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] ihre stark charakterisirteii Köpfe ankündigen, was sie sind, große Krieger und große Politiker, alt geworden in den Höchsten Staatsämtern, aber nicht erschöpft, und daß sie alle Kraft des Mannesalters unter dem schein¬ baren Cise des Greisensalters beibehalten. Ihre Züge sind mager, ihr Profil winklicht, ihre Stirn offen und stark entwickelt; eine unbeschreib¬ liche Mischung von Feinheit, Lebhaftigkeit und Entschlossenheit liegt in ihrem Blick; das sind die Dogen der guten Zeit. Bei den Dogen des Verfalls haben die Gesichter diesen Charakter verloren, der ihnen allen so viel gemeinschaftliche Aehnlichkeit verlieh; der Typus wird undeutlich und verwischt sich bald ganz; das Gesicht wird voller; der Blick ver¬ liert sein Feuer; eine große Unsicherheit herrscht im Ausdruck der weicher gewordenen Gesichtslinien, und daß deL' große Bart fehlt, benimmt ih¬ nen den letzten Nest ihrer äußern Würde. Wie aber die gepuderte Pe¬ rücke kömmt, auf der die gelbe phr^gische Dogcmnütze wie ein Anachro¬ nismus sich ausnimmt, da, mochte man fast sagen, verschlechtert sich die Race der großen Familien immer mehr, und das venetianische Blut wird ärmer. Es sind wohl noch dieselben Namen, wie in den schönen Tagen der Republik, aber wie verschieden ^sind die Personen! Die he¬ roische Maske ist verschwunden, und wenn die Köpfe noch nicht gemein sind, so fühlt man doch, daß sie Nichts mehr darstellen, daß nicht mehr ausfallen ihren Poren Ein^ Gedanke-dringt, Äer daß, wenn sie'etwas darstellend es der Verfall der menschlichen Größe ist. Man sage mir, warum eine so große Aehnlichkeit zwischen den bleichen Nachfolgern Phi¬ lipps'11/ und den letzten Dogen von Venedig herrscht? Sollte Dyna- stieen und Oligarchien gleichermaßen der unerklärbare Stempel der'Zer- störung aufgedrückt werden, sobald die Vorsehung beschlossen, daß sie erlöschen sollen, und sollte der Schöpfer in diesem feierlichen'Umstände dem Gesetze folgen, das er sich selbst gegeben zu haben scheint, Allem, Was er zum Sterben veruriheilt, den.Tod sanft und'unmerklich zu ma¬ chen? Das Portrait des letzten Dogen, Lodovico Mamin, ist vorzüglich von diesem Punkte aus merkwürdig. Es ist ein armes Gesicht eines bleichen, zusammengeschrumpften Greises, dessen Lippen der'letzte Athem- « , zug zu entschweben scheint. Nun denke matt sich dieses Gesicht von zwei ungeheuren schneeweiß gepuderten Taubenflügeln beschattet. Das Me¬ lancholische und das Groteske machen einander in diesem Bilde des letz¬ ten Herzogs von Venedig den Platz streitig; und doch trägt, wenn man es aufmerksam betrachtet, das Mitleid den Sieg davon. Ich verweile gern bei dem Gedanken, daß dieser arme Greis, der nicht die Kraft

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/376>, abgerufen am 22.12.2024.