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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Säulenhallen keine marmornen Löwenrachen der Angeberei geöffnet sind,
und es keine Spione mehr giebt für Worte und Blicke, seit der Zeit ist
es das fteieste Volk unsres alten Europa's, nicht frei, nach unsern
traurigen Ideen mit schweren Abgaben, Handelskrisen, bürgerlichen Vor¬
rechten und Emeuten als Heilmittel, sondern frei, wie ein Luftgebilde,
frei wie ein Irrlicht, das auf der Erde herumhüpft. An allen 4 En¬
den der Welt können Vulcane entbrennen, es bewegt sich nicht; was
kümmert es sich drum? Der Band kann seinem Körper doch kein Leben ein¬
hauchen. Vom Orient erhebt sich plötzlich ein großer Lärm, es ist das
dunrpfe Krachen eines Reichs, dessen Entstehen es mit angesehen, mit
wogegen es ein Damm war; die mächtigsten Nationen der Erde sind
nahe daran, einander zu erwürgen, um dessen Trümmer zu besitzen. Ve¬
nedigs Volk hebt kaum den Kopf in die Höhe, um sie zu sehen. Denn
besitzt es das Recht zu sagen: diese Ufer des Orients, den ihr einer dem
andern entreißen wollt, ich habe sie einst besessen; ich hatte alle Straßen
nach Indien inne, die ihr jetzt wieder eröffnen wollt! Es lohnte sich
wohl der Mühe, Afrika zu umsegeln, meine Wege zu vernichten und
meinem Wohlstand den Todesstoß zu versetzen, um einst auf meine alten
Spuren zurückzukommen!

Und erkennen, wir hier ehrenvoll die Staatsweisheit des alten Oe¬
sterreichs an. Seit der Begründung seiner Macht ist es gewöhnt, die
verschiedenartigsten Völker unter seinem Scepter zu vereinen, und es hat
die Erfahrung erlangt, daß man nicht allen seinen Kindern eine gleiche Er¬
ziehung geben kann. Oesterreich schont die Nationalität seiner Volker,
und läßt den Naturen derselben ihre vollständige Geltung. Nußland
hingegen will alle gewaltsam zu Einem Körper verschmelzen; darumist
es ein Tyrann. Darum findet Polens Loos noch heute Thränen, wäh¬
rend Italien uns kalt läßt; der Eroberer kann wohl ein Reich sich un¬
terwerfen, aber ein Volk sterben lassen, das ist eine Macht, die nur Gott
zugehört.

Warschau und Venedig -- Welch ein Unterschied! Ich weiß nicht,
ob es Elend in Venedig giebt; aber es erscheint nicht. Auf den Quai's,
auf dem Se. Marcus-Platz, am Rialto, den einzigen Orten, wo man
die Menge findet, habe ich unter dem Volke nur starke Körper und zu¬
friedene Gesichter bemerkt. Die Race der Gondoliere ist prachtvoll; doch
scheinen diese braven Leute wenig zu ihrem Leben zu brauchen. Derje¬
nige, dessen Barke wir während der ganzen Dauer unsers Aufenthalts
in ber Wasserstadt nahmen, war unermüdlich und besaß eine Mäßigkeit,


Säulenhallen keine marmornen Löwenrachen der Angeberei geöffnet sind,
und es keine Spione mehr giebt für Worte und Blicke, seit der Zeit ist
es das fteieste Volk unsres alten Europa's, nicht frei, nach unsern
traurigen Ideen mit schweren Abgaben, Handelskrisen, bürgerlichen Vor¬
rechten und Emeuten als Heilmittel, sondern frei, wie ein Luftgebilde,
frei wie ein Irrlicht, das auf der Erde herumhüpft. An allen 4 En¬
den der Welt können Vulcane entbrennen, es bewegt sich nicht; was
kümmert es sich drum? Der Band kann seinem Körper doch kein Leben ein¬
hauchen. Vom Orient erhebt sich plötzlich ein großer Lärm, es ist das
dunrpfe Krachen eines Reichs, dessen Entstehen es mit angesehen, mit
wogegen es ein Damm war; die mächtigsten Nationen der Erde sind
nahe daran, einander zu erwürgen, um dessen Trümmer zu besitzen. Ve¬
nedigs Volk hebt kaum den Kopf in die Höhe, um sie zu sehen. Denn
besitzt es das Recht zu sagen: diese Ufer des Orients, den ihr einer dem
andern entreißen wollt, ich habe sie einst besessen; ich hatte alle Straßen
nach Indien inne, die ihr jetzt wieder eröffnen wollt! Es lohnte sich
wohl der Mühe, Afrika zu umsegeln, meine Wege zu vernichten und
meinem Wohlstand den Todesstoß zu versetzen, um einst auf meine alten
Spuren zurückzukommen!

Und erkennen, wir hier ehrenvoll die Staatsweisheit des alten Oe¬
sterreichs an. Seit der Begründung seiner Macht ist es gewöhnt, die
verschiedenartigsten Völker unter seinem Scepter zu vereinen, und es hat
die Erfahrung erlangt, daß man nicht allen seinen Kindern eine gleiche Er¬
ziehung geben kann. Oesterreich schont die Nationalität seiner Volker,
und läßt den Naturen derselben ihre vollständige Geltung. Nußland
hingegen will alle gewaltsam zu Einem Körper verschmelzen; darumist
es ein Tyrann. Darum findet Polens Loos noch heute Thränen, wäh¬
rend Italien uns kalt läßt; der Eroberer kann wohl ein Reich sich un¬
terwerfen, aber ein Volk sterben lassen, das ist eine Macht, die nur Gott
zugehört.

Warschau und Venedig — Welch ein Unterschied! Ich weiß nicht,
ob es Elend in Venedig giebt; aber es erscheint nicht. Auf den Quai's,
auf dem Se. Marcus-Platz, am Rialto, den einzigen Orten, wo man
die Menge findet, habe ich unter dem Volke nur starke Körper und zu¬
friedene Gesichter bemerkt. Die Race der Gondoliere ist prachtvoll; doch
scheinen diese braven Leute wenig zu ihrem Leben zu brauchen. Derje¬
nige, dessen Barke wir während der ganzen Dauer unsers Aufenthalts
in ber Wasserstadt nahmen, war unermüdlich und besaß eine Mäßigkeit,


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[0344] Säulenhallen keine marmornen Löwenrachen der Angeberei geöffnet sind, und es keine Spione mehr giebt für Worte und Blicke, seit der Zeit ist es das fteieste Volk unsres alten Europa's, nicht frei, nach unsern traurigen Ideen mit schweren Abgaben, Handelskrisen, bürgerlichen Vor¬ rechten und Emeuten als Heilmittel, sondern frei, wie ein Luftgebilde, frei wie ein Irrlicht, das auf der Erde herumhüpft. An allen 4 En¬ den der Welt können Vulcane entbrennen, es bewegt sich nicht; was kümmert es sich drum? Der Band kann seinem Körper doch kein Leben ein¬ hauchen. Vom Orient erhebt sich plötzlich ein großer Lärm, es ist das dunrpfe Krachen eines Reichs, dessen Entstehen es mit angesehen, mit wogegen es ein Damm war; die mächtigsten Nationen der Erde sind nahe daran, einander zu erwürgen, um dessen Trümmer zu besitzen. Ve¬ nedigs Volk hebt kaum den Kopf in die Höhe, um sie zu sehen. Denn besitzt es das Recht zu sagen: diese Ufer des Orients, den ihr einer dem andern entreißen wollt, ich habe sie einst besessen; ich hatte alle Straßen nach Indien inne, die ihr jetzt wieder eröffnen wollt! Es lohnte sich wohl der Mühe, Afrika zu umsegeln, meine Wege zu vernichten und meinem Wohlstand den Todesstoß zu versetzen, um einst auf meine alten Spuren zurückzukommen! Und erkennen, wir hier ehrenvoll die Staatsweisheit des alten Oe¬ sterreichs an. Seit der Begründung seiner Macht ist es gewöhnt, die verschiedenartigsten Völker unter seinem Scepter zu vereinen, und es hat die Erfahrung erlangt, daß man nicht allen seinen Kindern eine gleiche Er¬ ziehung geben kann. Oesterreich schont die Nationalität seiner Volker, und läßt den Naturen derselben ihre vollständige Geltung. Nußland hingegen will alle gewaltsam zu Einem Körper verschmelzen; darumist es ein Tyrann. Darum findet Polens Loos noch heute Thränen, wäh¬ rend Italien uns kalt läßt; der Eroberer kann wohl ein Reich sich un¬ terwerfen, aber ein Volk sterben lassen, das ist eine Macht, die nur Gott zugehört. Warschau und Venedig — Welch ein Unterschied! Ich weiß nicht, ob es Elend in Venedig giebt; aber es erscheint nicht. Auf den Quai's, auf dem Se. Marcus-Platz, am Rialto, den einzigen Orten, wo man die Menge findet, habe ich unter dem Volke nur starke Körper und zu¬ friedene Gesichter bemerkt. Die Race der Gondoliere ist prachtvoll; doch scheinen diese braven Leute wenig zu ihrem Leben zu brauchen. Derje¬ nige, dessen Barke wir während der ganzen Dauer unsers Aufenthalts in ber Wasserstadt nahmen, war unermüdlich und besaß eine Mäßigkeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/344>, abgerufen am 22.12.2024.