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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Sterl'einher waren dreimal vor dem Brutus-Schwert zurückgewichen, das
die Hand des neUen Cäsar Schwange Die ganze Halbinsel war bei Er¬
zählung dieser fabelhaften Feldzüge, welche das Alterthum weit hinter
sich ließen, von Bewunderung durchschauert. Was hatte das alte Ve¬
nedig, welches das Alter eiskalt gemacht, das nur noch durch seine Diät
lebte, mit diesen brennenden Ideen zu thun, welche allen, die sie
berührten, das Fieber der Neuerungssucht gaben 5 Die Signoria, die
Nur eine Politik hatte, nämlich sich in Nichts zu Mischen, was auf der
Welt vorging, ergriff ohne Mühe die Partei der Untätigkeit. Sie
that, als wäre nichts Neues in Italien vorgefallen; sie hielt die Au¬
gen und Ohren zu, und glaubte, die Gefahr sei vorübergegangen, weil
sie diese weder sehen ndch hören wollte; Kinder und Greise handeln nie
anders. Aber mit einem Manne wie Buonaparte, mit Soldaten wie
die der Republik an ihren Thoren, die herbeigeeilt waren, die doppelte
Fackel der Eroberung und der Revolution schwingend, war da eine solche
Stellung lange haltbar? Venedig mußte wohl am Ende, und sollte es
dadurch seinen Zorn erregen, seine natürliche Antipathie gegen den Sie¬
ger kund geben. Die erste Bewegung, die ihren bösett Willen anzeigte,
war das Signal zu ihrem Untergange, und der Aufstand von Bergamo
war das erste Factum, das ihr.c bis dahin aufrechte Macht danieder¬
riß. Im März ^l79? brach der Aufstand aus; und 9 Monate später,
(den Isten Januar 1793) nahmen die Oesterreicher Venedig in Besitz,
in Folge eines von dem glücklichen Eroberer, der im Namen der fran¬
zösischen Republik unterhandelte, unterzeichneten Tractats. Wie war
dies sonderbare Ereigniß vor sich gegangen? Wie war sie plötzlich aus
der Reihe der Nationen verschwunden, diese berühmte Republik, welche
die Liebe zur Unabhängigkeit gebildet, deren Größe der Patriotismus
aufgebaut, die fo oft die Kreuzfahrer nach Asien übergesetzt, die das
Reich der unwürdigen Nachfolger Constantins beschützt oder angegrif¬
fen, und die das beunruhigte Christenthum gegen die Anstrengungen der
Türken vertheidigt Hütte? Sie siel, weil sie ihre Zeit vollendet, weil
die Vorsehung ihrer nicht mehr bedürfte, um ihre geheimnißvollen Pläne
zu erfüllen. Sie war, ehe sie starb, schon so todt, daß sich auch nicht
ein Schrei gegen die Unbilligkeit erhob, welche sie aus' der Reihe' der
Nationen strich, um sie einem besiegten Feinde als Tauschgegenstand zu
geben; keine Zuckung bereitete ihren Todeskampf vor; kein Geräusch
kündigte ihren Sturz an; selbst jetzt, da diese' Ereignisse uns ferner ste¬
hen, und wir das, was unabänderlich ist, eher beklagen können, selbst


Sterl'einher waren dreimal vor dem Brutus-Schwert zurückgewichen, das
die Hand des neUen Cäsar Schwange Die ganze Halbinsel war bei Er¬
zählung dieser fabelhaften Feldzüge, welche das Alterthum weit hinter
sich ließen, von Bewunderung durchschauert. Was hatte das alte Ve¬
nedig, welches das Alter eiskalt gemacht, das nur noch durch seine Diät
lebte, mit diesen brennenden Ideen zu thun, welche allen, die sie
berührten, das Fieber der Neuerungssucht gaben 5 Die Signoria, die
Nur eine Politik hatte, nämlich sich in Nichts zu Mischen, was auf der
Welt vorging, ergriff ohne Mühe die Partei der Untätigkeit. Sie
that, als wäre nichts Neues in Italien vorgefallen; sie hielt die Au¬
gen und Ohren zu, und glaubte, die Gefahr sei vorübergegangen, weil
sie diese weder sehen ndch hören wollte; Kinder und Greise handeln nie
anders. Aber mit einem Manne wie Buonaparte, mit Soldaten wie
die der Republik an ihren Thoren, die herbeigeeilt waren, die doppelte
Fackel der Eroberung und der Revolution schwingend, war da eine solche
Stellung lange haltbar? Venedig mußte wohl am Ende, und sollte es
dadurch seinen Zorn erregen, seine natürliche Antipathie gegen den Sie¬
ger kund geben. Die erste Bewegung, die ihren bösett Willen anzeigte,
war das Signal zu ihrem Untergange, und der Aufstand von Bergamo
war das erste Factum, das ihr.c bis dahin aufrechte Macht danieder¬
riß. Im März ^l79? brach der Aufstand aus; und 9 Monate später,
(den Isten Januar 1793) nahmen die Oesterreicher Venedig in Besitz,
in Folge eines von dem glücklichen Eroberer, der im Namen der fran¬
zösischen Republik unterhandelte, unterzeichneten Tractats. Wie war
dies sonderbare Ereigniß vor sich gegangen? Wie war sie plötzlich aus
der Reihe der Nationen verschwunden, diese berühmte Republik, welche
die Liebe zur Unabhängigkeit gebildet, deren Größe der Patriotismus
aufgebaut, die fo oft die Kreuzfahrer nach Asien übergesetzt, die das
Reich der unwürdigen Nachfolger Constantins beschützt oder angegrif¬
fen, und die das beunruhigte Christenthum gegen die Anstrengungen der
Türken vertheidigt Hütte? Sie siel, weil sie ihre Zeit vollendet, weil
die Vorsehung ihrer nicht mehr bedürfte, um ihre geheimnißvollen Pläne
zu erfüllen. Sie war, ehe sie starb, schon so todt, daß sich auch nicht
ein Schrei gegen die Unbilligkeit erhob, welche sie aus' der Reihe' der
Nationen strich, um sie einem besiegten Feinde als Tauschgegenstand zu
geben; keine Zuckung bereitete ihren Todeskampf vor; kein Geräusch
kündigte ihren Sturz an; selbst jetzt, da diese' Ereignisse uns ferner ste¬
hen, und wir das, was unabänderlich ist, eher beklagen können, selbst


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[0342] Sterl'einher waren dreimal vor dem Brutus-Schwert zurückgewichen, das die Hand des neUen Cäsar Schwange Die ganze Halbinsel war bei Er¬ zählung dieser fabelhaften Feldzüge, welche das Alterthum weit hinter sich ließen, von Bewunderung durchschauert. Was hatte das alte Ve¬ nedig, welches das Alter eiskalt gemacht, das nur noch durch seine Diät lebte, mit diesen brennenden Ideen zu thun, welche allen, die sie berührten, das Fieber der Neuerungssucht gaben 5 Die Signoria, die Nur eine Politik hatte, nämlich sich in Nichts zu Mischen, was auf der Welt vorging, ergriff ohne Mühe die Partei der Untätigkeit. Sie that, als wäre nichts Neues in Italien vorgefallen; sie hielt die Au¬ gen und Ohren zu, und glaubte, die Gefahr sei vorübergegangen, weil sie diese weder sehen ndch hören wollte; Kinder und Greise handeln nie anders. Aber mit einem Manne wie Buonaparte, mit Soldaten wie die der Republik an ihren Thoren, die herbeigeeilt waren, die doppelte Fackel der Eroberung und der Revolution schwingend, war da eine solche Stellung lange haltbar? Venedig mußte wohl am Ende, und sollte es dadurch seinen Zorn erregen, seine natürliche Antipathie gegen den Sie¬ ger kund geben. Die erste Bewegung, die ihren bösett Willen anzeigte, war das Signal zu ihrem Untergange, und der Aufstand von Bergamo war das erste Factum, das ihr.c bis dahin aufrechte Macht danieder¬ riß. Im März ^l79? brach der Aufstand aus; und 9 Monate später, (den Isten Januar 1793) nahmen die Oesterreicher Venedig in Besitz, in Folge eines von dem glücklichen Eroberer, der im Namen der fran¬ zösischen Republik unterhandelte, unterzeichneten Tractats. Wie war dies sonderbare Ereigniß vor sich gegangen? Wie war sie plötzlich aus der Reihe der Nationen verschwunden, diese berühmte Republik, welche die Liebe zur Unabhängigkeit gebildet, deren Größe der Patriotismus aufgebaut, die fo oft die Kreuzfahrer nach Asien übergesetzt, die das Reich der unwürdigen Nachfolger Constantins beschützt oder angegrif¬ fen, und die das beunruhigte Christenthum gegen die Anstrengungen der Türken vertheidigt Hütte? Sie siel, weil sie ihre Zeit vollendet, weil die Vorsehung ihrer nicht mehr bedürfte, um ihre geheimnißvollen Pläne zu erfüllen. Sie war, ehe sie starb, schon so todt, daß sich auch nicht ein Schrei gegen die Unbilligkeit erhob, welche sie aus' der Reihe' der Nationen strich, um sie einem besiegten Feinde als Tauschgegenstand zu geben; keine Zuckung bereitete ihren Todeskampf vor; kein Geräusch kündigte ihren Sturz an; selbst jetzt, da diese' Ereignisse uns ferner ste¬ hen, und wir das, was unabänderlich ist, eher beklagen können, selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/342>, abgerufen am 22.12.2024.