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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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/Die Piazzza'ti San Marco ist nicht das, was wir in unsern
gewöhnlichen Ideen 'unter einem öffentlichen Platze verstehen, da nur
dunkle, fast ausgangslose Gäßchen auf ihr ausmünden. Noch weniger
ist,-sie ein Forum im Sinne' der römischen Republik; dafür hatte die
Signoria schon seit langer Zeit gesorgt. Nein, sie ist so zu sagen der
innre Hof des unermeßlichen Palastes des Signoria, welcher nicht bloß
die Wohnung des Dogen in sich schloß, sondern auch die dem heiligen
Beschützer Venedigs errichtete Basilica, das berühmte Münzhaus (la
Z^eea), die Bibliothek, die den Procuratorem bestimmten Gebäude, der
Glockenthurm von Se. Marco, der das für Tage der Unruhen bestimm¬
te Sturmgeläute und die Fahnenmaste zur Verkündigung der Siege ent¬
hielt. Wenn man die Sachen so betrachtet, so bildete die Piazetta
eine Art Vorhof, auf der die beiden einzelstehenden Säulen das ideale
Thor vorstellten, durch welches die Dogen' gingen, wenn sie von den
Kämpfen zurückkamen, oder wenn sie sich einschifften, um sich mit dem
Meer, ihrer launischen Gemahlinn zu verbinden. Wie alle Macht und
aller ^Reichthum der Republik in Venedig concentrirt waren, so resu-
mirte sich ganz Venedig in den Umgebungen des Se. Marcus-Platzes.
Das P die Schaubühne, auf , welcher alle Scenen seiner langen Ge¬
schichte gespielt wurden, ich meine die Prunk-Scenen, diejenigen, welche
das Tageslicht schauen dursten. Was die-Tragödien der, Finsterniß be¬
trifft, die gingen hinter dem Vorhang vor, im Palast der Dogen, zu
dem die profanen Blicke der Menge keinen Zutritt hatten. -

Trotzdem aber daß seine Monumente so gut erhalten sind, hat der Platz
heut zu Tage bei Weitem nicht seine malerische Physionomie von ehemals,
selbst nicht an den großen Tagen. Nicht das Volk verdirbt ihn; man
muß ihm--die Gerechtigkeit widerfahren lassen. So lange es nur noch
einen Fetzen rothen Stoffes besitzen wird, wird es sich damit schmücken,
um die, Augen solcher Träumer, wie ich bin, zu erfreuen. Man möchte
sagen, daß es den , edlen Schauplatz, in dessen Mitte sich seine sorglose
Existenz bewegt, begreift. Es hat den Jnstinct der stummen Harmonieen
und es sucht dieser prunkhaften Architectur, diesem stets heitern Himmel,
die ihm um die Wette zulächeln, zu gefallen. Was diesen Platz verdirbt,
was ich auf diesem leeren Theater der Geschichte, wo Nichts mehr vor¬
gehen Wird, nicht gern sehe, das ist die Bürgerschaft, die ihren Zusam-
menkunstssälon daraus gemacht hat; denn es giebt in Venedig eine Bür¬
gerschaft, häßlich und Grimassen schneidend, wie alle neueren Bürger¬
schaften, Bürger, welche schwarze Röcke und runde Hüte tragen, Mir-


/Die Piazzza'ti San Marco ist nicht das, was wir in unsern
gewöhnlichen Ideen 'unter einem öffentlichen Platze verstehen, da nur
dunkle, fast ausgangslose Gäßchen auf ihr ausmünden. Noch weniger
ist,-sie ein Forum im Sinne' der römischen Republik; dafür hatte die
Signoria schon seit langer Zeit gesorgt. Nein, sie ist so zu sagen der
innre Hof des unermeßlichen Palastes des Signoria, welcher nicht bloß
die Wohnung des Dogen in sich schloß, sondern auch die dem heiligen
Beschützer Venedigs errichtete Basilica, das berühmte Münzhaus (la
Z^eea), die Bibliothek, die den Procuratorem bestimmten Gebäude, der
Glockenthurm von Se. Marco, der das für Tage der Unruhen bestimm¬
te Sturmgeläute und die Fahnenmaste zur Verkündigung der Siege ent¬
hielt. Wenn man die Sachen so betrachtet, so bildete die Piazetta
eine Art Vorhof, auf der die beiden einzelstehenden Säulen das ideale
Thor vorstellten, durch welches die Dogen' gingen, wenn sie von den
Kämpfen zurückkamen, oder wenn sie sich einschifften, um sich mit dem
Meer, ihrer launischen Gemahlinn zu verbinden. Wie alle Macht und
aller ^Reichthum der Republik in Venedig concentrirt waren, so resu-
mirte sich ganz Venedig in den Umgebungen des Se. Marcus-Platzes.
Das P die Schaubühne, auf , welcher alle Scenen seiner langen Ge¬
schichte gespielt wurden, ich meine die Prunk-Scenen, diejenigen, welche
das Tageslicht schauen dursten. Was die-Tragödien der, Finsterniß be¬
trifft, die gingen hinter dem Vorhang vor, im Palast der Dogen, zu
dem die profanen Blicke der Menge keinen Zutritt hatten. -

Trotzdem aber daß seine Monumente so gut erhalten sind, hat der Platz
heut zu Tage bei Weitem nicht seine malerische Physionomie von ehemals,
selbst nicht an den großen Tagen. Nicht das Volk verdirbt ihn; man
muß ihm—die Gerechtigkeit widerfahren lassen. So lange es nur noch
einen Fetzen rothen Stoffes besitzen wird, wird es sich damit schmücken,
um die, Augen solcher Träumer, wie ich bin, zu erfreuen. Man möchte
sagen, daß es den , edlen Schauplatz, in dessen Mitte sich seine sorglose
Existenz bewegt, begreift. Es hat den Jnstinct der stummen Harmonieen
und es sucht dieser prunkhaften Architectur, diesem stets heitern Himmel,
die ihm um die Wette zulächeln, zu gefallen. Was diesen Platz verdirbt,
was ich auf diesem leeren Theater der Geschichte, wo Nichts mehr vor¬
gehen Wird, nicht gern sehe, das ist die Bürgerschaft, die ihren Zusam-
menkunstssälon daraus gemacht hat; denn es giebt in Venedig eine Bür¬
gerschaft, häßlich und Grimassen schneidend, wie alle neueren Bürger¬
schaften, Bürger, welche schwarze Röcke und runde Hüte tragen, Mir-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/340>, abgerufen am 22.12.2024.