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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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im? die bis an den Leib ins Wasser getauchte Stadt zu entdecken, in
der man nur traurige , weiße Häuser und zerstörte Trümmer seltner
Denkmäler siebt, von, da sich in Wassergäßchen verlieren, die von an>
schculichen russigm Hütten eingeschlossen sind, in denen das Elend seine
stolzen Lumpen ausbreitet, und alle Häßlichkeiten einer großen Stadt
entdecken, wenn man ihre Schönheiten noch nicht kennt, das ist eine
peinliche Empfindung. Ich meinerseits sagte, mich einigermaßen schä¬
mend, wie Jemand, der auf frischer That bei einem^ zurückgeschlagenen
Enthusiasmus ertappt ist: "Wie! das ist Venedig, dieses Gedicht von
Porphyr, Bronze und Wasser, das zwanzig Generationen von Rei¬
senden besungen haben! Denen daher, welche diese fromme Pilgerfahrt
unternehmen wollen, denen, die auf seinem feuchten Lager dieses Vene¬
dig besuchen wollen, das Italiens Völker das Schöne beigenannt haben,
dieß Venedig, das ich jetzt liebe, wie alle Sachen, die ihrem Ende
zmhe sind, denen will ick) sagen: Kommt in die Lagunenstadt nicht vom
Festlande her, oder wenn von Westen kommend ihr gezwungen seid,
Euch in Mestreoder Fusine einzuschiffen, so befehle dem Schiffer, rasch
die Stadt in ihrer Breite zu durchschneiden, und euch über den Hafen,
über die ersten Inseln hinaus zu führen, z. B. bis an die von Se.
LaMro; dann legt euch im Hintergrund Eurer Gondel nieder, schließt
.die Augen und öffnet sie nicht eher, als bis der Fährmann euch zuge¬
rufen:, wir "sind da; dann dreht Euch um und betrachtet; und plötzlich
werdet ihr an den , Gewässern, die ihnen als Spiegel dienen, eine ganze
Linie von Palästen erscheinen sehen, eine ganze Anhäufung von Domen,
einen ganzen Wald von Glockcnthürmen, prächtige Quais, die von ei¬
ner, wie Ebbe und Fluch wogenden Volksmenge belebt sind, einen von
Schiffen durchschnittenen, und nach allen Richtungen hin von fröhlichen
Barken durchkreuzten Hafen, als hätte der Handel die Straße dahin
noch nicht vergessen^ einen linkszurückweichenden Platz zwischen zwei
Reihen stolzer Denkmäler, weiße moscheenartige Kirchen, orientalische
Dächer, einen rosenfarbenen Palast im Sonnenschein, den man für ein
arabisches Mährchen halten möchte, Straßen, die sich unter der anmu¬
thigen Krümmung anderswo unbekannter Brücken verlieren, Wasser,
Licht, Marmor und Gold alle Augen voll, etwas ganz Neues, etwas
ganz Unvermuthetes, das keiner Stadt der Welt gleicht, und das man
doch schon einmal gesehen zu haben glaubt--Venedig endlich, ich will
sagen, den Schatten Venedigs, das glänzende Luftbild derjenigen, die
einst , die Königin des adriatischen Meeres war.


im? die bis an den Leib ins Wasser getauchte Stadt zu entdecken, in
der man nur traurige , weiße Häuser und zerstörte Trümmer seltner
Denkmäler siebt, von, da sich in Wassergäßchen verlieren, die von an>
schculichen russigm Hütten eingeschlossen sind, in denen das Elend seine
stolzen Lumpen ausbreitet, und alle Häßlichkeiten einer großen Stadt
entdecken, wenn man ihre Schönheiten noch nicht kennt, das ist eine
peinliche Empfindung. Ich meinerseits sagte, mich einigermaßen schä¬
mend, wie Jemand, der auf frischer That bei einem^ zurückgeschlagenen
Enthusiasmus ertappt ist: „Wie! das ist Venedig, dieses Gedicht von
Porphyr, Bronze und Wasser, das zwanzig Generationen von Rei¬
senden besungen haben! Denen daher, welche diese fromme Pilgerfahrt
unternehmen wollen, denen, die auf seinem feuchten Lager dieses Vene¬
dig besuchen wollen, das Italiens Völker das Schöne beigenannt haben,
dieß Venedig, das ich jetzt liebe, wie alle Sachen, die ihrem Ende
zmhe sind, denen will ick) sagen: Kommt in die Lagunenstadt nicht vom
Festlande her, oder wenn von Westen kommend ihr gezwungen seid,
Euch in Mestreoder Fusine einzuschiffen, so befehle dem Schiffer, rasch
die Stadt in ihrer Breite zu durchschneiden, und euch über den Hafen,
über die ersten Inseln hinaus zu führen, z. B. bis an die von Se.
LaMro; dann legt euch im Hintergrund Eurer Gondel nieder, schließt
.die Augen und öffnet sie nicht eher, als bis der Fährmann euch zuge¬
rufen:, wir „sind da; dann dreht Euch um und betrachtet; und plötzlich
werdet ihr an den , Gewässern, die ihnen als Spiegel dienen, eine ganze
Linie von Palästen erscheinen sehen, eine ganze Anhäufung von Domen,
einen ganzen Wald von Glockcnthürmen, prächtige Quais, die von ei¬
ner, wie Ebbe und Fluch wogenden Volksmenge belebt sind, einen von
Schiffen durchschnittenen, und nach allen Richtungen hin von fröhlichen
Barken durchkreuzten Hafen, als hätte der Handel die Straße dahin
noch nicht vergessen^ einen linkszurückweichenden Platz zwischen zwei
Reihen stolzer Denkmäler, weiße moscheenartige Kirchen, orientalische
Dächer, einen rosenfarbenen Palast im Sonnenschein, den man für ein
arabisches Mährchen halten möchte, Straßen, die sich unter der anmu¬
thigen Krümmung anderswo unbekannter Brücken verlieren, Wasser,
Licht, Marmor und Gold alle Augen voll, etwas ganz Neues, etwas
ganz Unvermuthetes, das keiner Stadt der Welt gleicht, und das man
doch schon einmal gesehen zu haben glaubt—Venedig endlich, ich will
sagen, den Schatten Venedigs, das glänzende Luftbild derjenigen, die
einst , die Königin des adriatischen Meeres war.


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[0337] im? die bis an den Leib ins Wasser getauchte Stadt zu entdecken, in der man nur traurige , weiße Häuser und zerstörte Trümmer seltner Denkmäler siebt, von, da sich in Wassergäßchen verlieren, die von an> schculichen russigm Hütten eingeschlossen sind, in denen das Elend seine stolzen Lumpen ausbreitet, und alle Häßlichkeiten einer großen Stadt entdecken, wenn man ihre Schönheiten noch nicht kennt, das ist eine peinliche Empfindung. Ich meinerseits sagte, mich einigermaßen schä¬ mend, wie Jemand, der auf frischer That bei einem^ zurückgeschlagenen Enthusiasmus ertappt ist: „Wie! das ist Venedig, dieses Gedicht von Porphyr, Bronze und Wasser, das zwanzig Generationen von Rei¬ senden besungen haben! Denen daher, welche diese fromme Pilgerfahrt unternehmen wollen, denen, die auf seinem feuchten Lager dieses Vene¬ dig besuchen wollen, das Italiens Völker das Schöne beigenannt haben, dieß Venedig, das ich jetzt liebe, wie alle Sachen, die ihrem Ende zmhe sind, denen will ick) sagen: Kommt in die Lagunenstadt nicht vom Festlande her, oder wenn von Westen kommend ihr gezwungen seid, Euch in Mestreoder Fusine einzuschiffen, so befehle dem Schiffer, rasch die Stadt in ihrer Breite zu durchschneiden, und euch über den Hafen, über die ersten Inseln hinaus zu führen, z. B. bis an die von Se. LaMro; dann legt euch im Hintergrund Eurer Gondel nieder, schließt .die Augen und öffnet sie nicht eher, als bis der Fährmann euch zuge¬ rufen:, wir „sind da; dann dreht Euch um und betrachtet; und plötzlich werdet ihr an den , Gewässern, die ihnen als Spiegel dienen, eine ganze Linie von Palästen erscheinen sehen, eine ganze Anhäufung von Domen, einen ganzen Wald von Glockcnthürmen, prächtige Quais, die von ei¬ ner, wie Ebbe und Fluch wogenden Volksmenge belebt sind, einen von Schiffen durchschnittenen, und nach allen Richtungen hin von fröhlichen Barken durchkreuzten Hafen, als hätte der Handel die Straße dahin noch nicht vergessen^ einen linkszurückweichenden Platz zwischen zwei Reihen stolzer Denkmäler, weiße moscheenartige Kirchen, orientalische Dächer, einen rosenfarbenen Palast im Sonnenschein, den man für ein arabisches Mährchen halten möchte, Straßen, die sich unter der anmu¬ thigen Krümmung anderswo unbekannter Brücken verlieren, Wasser, Licht, Marmor und Gold alle Augen voll, etwas ganz Neues, etwas ganz Unvermuthetes, das keiner Stadt der Welt gleicht, und das man doch schon einmal gesehen zu haben glaubt—Venedig endlich, ich will sagen, den Schatten Venedigs, das glänzende Luftbild derjenigen, die einst , die Königin des adriatischen Meeres war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/337>, abgerufen am 24.07.2024.